»Das Wohnzimer der Medizintechnik«

Zuschlag für Stuttgart: MedtecLIVE geht in Zweijahresrhythmus

24. Juni 2024, 12:27 Uhr | Ute Häußler
Die Messe-Plaza am Flughafen Stuttgart, hier findet die MedtecLIVE künftig immer alle zwei Jahre statt.
© WFM (uh)

Nach Ende der MedtecLIVE 2024 steht fest: Stuttgart wird zum festen Zulieferertreffpunkt der europäischen Medizintechnik und punktet u.a. mit der Nähe zu Tuttlingen. Statt bisher jährlich, geht es 2026 weiter, für die Jahre dazwischen gibt es Kooperationen mit dem Medtec Summit und der Automatica.

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Die MedtecLIVE 2024 ist vorüber und pendelt nach Corona-Krise 2020/2021, T4M-Inklusion 2023 und dem Wechsel zwischen Nürnberg und Stuttgart noch immer gefühlt zwischen Stabilisierung und Neuausrichtung. Mit 326 Ausstellern aus 26 Ländern und über 3.700 Besuchern wurden dieses Jahr auf der Baden-Württembergischen Landesmesse fast exakt dieselben Zahlen wie 2023 in Nürnberg erreicht. Das ist in momentan eher durchwachsen wahrgenommenen Zeiten als Erfolg zu werten, zumal einige Formate wie der Ideation Day mit rund 300 Besuchern dieses Jahr fehlten. Nach Aussage der Messegesellschaft und deren Besucherbefragung sowie Ausstellerfeedback sei »die Qualität der Besucher im Vergleich zu Nürnberg deutlich gestiegen«.

Standort Stuttgart als Industriemesse

Es ist dennoch ein schweres Erbe, das Stuttgart für die MedtecLIVE künftig im Zwei-Jahres-Rhythmus antreten wird: Die Messe kommt damit nach eigenen Angaben einem »Großteil der Aussteller und Partner entgegen, die sich für den Standort Stuttgart als Industriemesse ausgesprochen haben«. In einzelnen Standgesprächen zeigte sich jedoch ein eher »verhaltener Vibe«. Nürnberg hatte mit zwei Hallen und vielen größeren Automatisierungspartnern 2023 sowie einer Transformation aus der Automobiltechnik einen hohen Benchmark gesetzt. Branchengrößen wie Schaeffler fehlten heuer, auch Produktionsstraßen (wie 2022) und mehr LIVE-Anwendungen hätten der nicht vollständig gefüllten Halle 1 in Stuttgart gut zu Gesicht gestanden. Die angekündigte Transformation aus Halbleiter und Elektronik in die Medizintechnik war mit noch nicht mal einer Handvoll Ausstellern ein eher halbherziger Versuch, in Richtung Medtech-Elektrifizierung und -Digitalisierung zu punkten.

Fertigungstechnik, Werkstoffe wie Kunststoff und Metall, und vor allem Entwicklungsdienstleister jeder Couleur zeigten Präsenz in Stuttgart; als Erfolgsrezept stellten sich die Gemeinschaftsstände von Medical Mountains, Bayern Innovation, dem Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA), dem Verband Deutscher Werkzeug- und Formenbauer (VDWF) sowie Innonet Kunststoff und Swiss Medtech heraus. Die Verbände und Branchenvereinigungen bildeten tatsächlich ein starkes Rückgrat für die MedtecLIVE, die spannenden Themen wurden im Netzwerk, den Podiumsdiskussionen der Foren und der Exhibitor-Bühne angesprochen: Der Themenfokus richtete sich in diesem Jahr insbesondere auf Automatisierung, Regulierung sowie Circular Economy und deren gravierenden Auswirkungen auf die Entwicklung und Herstellung von Medizintechnik in Europa.

Regulierung und PFAS

Selbst wenn es um Digitalisierung und Technologien wie 6G oder die KI-Entwicklung für Medizingeräte ging: im Mittelpunkt der Betrachtungen stand der Umgang mit MDR, dem AI Act und den notwendigen Zertifizierungen. Das treibt die Zulieferer und Hersteller gerade und immer noch um, diese Themen machen Bauchschmerzen. »Die Alternative zu Fluorpolymeren muss noch erfunden werden,« sagt Miroslav Dimitrov von Elring Klinger zum Schmerzthema PFAS. Alternativen gäbe es trotz über 100 eingereichter und klassifizierter Teile für den Kunststoffexperten nur anwendungsbasiert. »Das ist ein langer Prozess«, so Dimitrov, die exakten und einzigartigen Charakteristika seien eben nicht nachzubauen. Während die Teilnehmer der Podiumsdiskussion »Quo Vadis, PFAS« unter Moderation von Medical Mountains-Geschäftsführerin Yvonne Glienke auf eine Herausnahme der ca. 50 Fluorpolymere aus der PFAS-Richtlinie setzen, hofft Elring Klinger auf längere Übergangszeiten für die Alternativenforschung. »Da hängt das Überleben der Firma dran, das kostet Umsatz«, fasst Dimitrov die Unsicherheit der Kunden zusammen, die teilweise bereits vereinbarte Projekte zurücknähmen. Doch »die Politik bekommt kein schnelleres Signal« meint Meinrad Kempf, Projektmanager bei Medical Mountains. Laut dem PFAS-Experten könnten Firmen derzeit nur ausharren und proaktiv auf die PFAS-Kritiker zugehen. Sie müssten insbesondere die medizinische Notwendigkeit und auch Unbedenklichkeit der Fluorpolymere herausstellen - und hoffen.

Gerade das Netzwerken und Austauschen hat auch 2024 auf der MedtecLIVE in Stuttgart wieder gut funktioniert. So stellt Sonja Großmann, Regionalleiterin Auditing & Testing beim TÜV Rheinland, die Fachgespräche zur Regulatorik über die gesamte Fertigungskette heraus. »Wir finden hier unglaublich viele Hersteller und Provider, die die ganzen Herstellprozesse von der Idee bis ins Feld bereitstellen. Für uns ist dies das Besondere der MedtecLIVE, wir finden aus allen Bereichen Sparringpartner.« Auch für Dr. Bernd Block, Industriemanager Medizintechnologie bei Trumpf, ist die MedtecLIVE ein fester Bestandteil, er findet fast liebevolle Worte für die Messe: »Die MedtecLIVE ist für uns DER Platz, wo wir uns mit Kunden und Kollegen austauschen. Das ist so ein bisschen das Wohnzimmer der Medizintechnikfertigung in Deutschland.«

Kooperation mit Medtec Summit und Automatica

Ob das Wohnzimmer-Feeling die Messe in die Zukunft tragen kann, wird sich in den nächsten Jahren zeigen: Die kommende MedtecLIVE findet erstmals im Zwei-Jahres-Rythmus vom 5. bis 7. Mai 2026 in Stuttgart statt. Für die Zwischenzeit wird es 2025 wieder eine Kooperation mit Bayern Innovativ geben. 2023 fand der Medtec Summit im Rahmen der MedtecLIVE statt, nächstes Jahr werden sich im Rahmen des Medtec Summit auf der MedtecLIVE Innovation Expo vom 19. bis 20. Februar 2025 rund 30 Unternehmen in Nürnberg präsentieren können. Im Fokus stehen am Technologie- und Wissenschaftsstandort Nürnberg-Fürth-Erlangen Innovationen mit F&E Fokus, Neuerungen zu Innovationsprozessen sowie der Austausch mit Wirtschaft, Anwendung, Wissenschaft und Politik.

Von großem Interesse für technologie-orientierte Hersteller und Zulieferer dürfte auch die neu geschlossene MedtecLIVE-Partnerschaft mit der Automatica in München sein, die vom 24. bis 27. Juni mit der Laser-World of Photonics stattfindet. Mit dem MedtecLIVE Healthtech Pavilion wird es erstmals einen Gemeinschaftsstand geben, der für etwa 20 Unternehmen Medizintechnik mit Robotik und Automation verbindet. Das Thema Medizintechnik soll laut der Messegesellschaft dabei als verbindendes Anwendungsfeld fungieren, neue Anwendungsbereiche und Zielgruppen erschließen sowie ein interessantes Vortragsprogramm bieten. Der Pavillon wird sich in einer Automatica-Halle befinden, jedoch auch unmittelbar zugänglich für Besucher aus dem Laser-Bereich sein.  Parallel dazu besteht für Aussteller die Möglichkeit, individuell, jedoch im Dunstkreis des Gemeinschafsstandes ab einer Fläche von 20 m² auszustellen. 

Drei statt eines Medtech-Treffpunkts

Die Austeller können zukünftig also unter drei MedtecLIVE-Formaten wählen, was per se eine Aufteilung mit sich bringt. Das eine Umstellung der Hauptmesse auf einen Zwei-Jahres-Rhythmus den Besucher- und Ausstellerzahlen guttun kann, zeigt die Erfahrung der ebenfalls in Stuttgart stattfindenden Bildverarbeitungsmesse Vision. Nach 2014 folgte 2016, das damalige Argument der längeren Innovationszyklen der Branche könnte auch in der Medizintechnik greifen. So wie die Medizintechnik sich verändert, transformiert sich auch die MedtecLIVE. Inwieweit allerdings die Verzweigung in Hauptmesse, Innovation Expo und Automatica-Partierung - und damit auch in gewisser Weise in unterschiedliche Klassen an Ausstellern auswirken wird, wird erst die Erfahrung und die Akzeptanz der Branche zeigen. (uh)


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