Eine smarte Gesundheitsversorgung basiert auf intelligenter Datenverarbeitung. Erst die Datenintegration über KI und der Aufbau vernetzter Medizinsysteme machen eine effiziente, P4-basierte Behandlung möglich. RTI-CEO Stan Schneider nimmt uns mit auf eine Reise in die Zukunft der Medizin.
Gesundheitsexperten und Medizingerätehersteller klagen gerne darüber, wie langsam sich die Branche verändert. Das kann man unterschiedlich sehen. Der Wandel mag langsam und kaum wahrnehmbar sein, aber der Gesamteffekt ist geradezu transformativ.
Man muss nur einen Schritt zurücktreten und prüfen, was sich wirklich verändert hat: In den letzten Jahrzehnten haben viele neue Technologien Einzug in die Krankenhäuser gehalten und alles verändert: Bildgebung, Patientenüberwachung, elektronische Patientenakten (EHRs), die Roboterchirurgie, Telemedizin und vieles mehr wären bis vor wenigen Jahren nicht denkbar gewesen. Der Krankenhausaufenthalt ist heute eine völlig andere Erfahrung als noch vor 30 Jahren. Heute ist es durchaus möglich, in einem Krankenhaus einen neuen Arzt zu treffen, der die gesamte Krankengeschichte kennt, ohne dass man sich zuvor getroffen hat. Vor 30 Jahren völlig unmöglich. Dies ist das Ergebnis eines »langsamen« Wandels in der Branche, der sich zu den größten Fortschritten in Wissenschaft und Praxis des Gesundheitswesens in der Geschichte verdichtet hat.
All diese Veränderungen sind auf Fortschritte in der Datenverarbeitung zurückzuführen. Die exponentielle Zunahme der Rechenleistung, die weit verbreitete Vernetzung und die Datenintegration machen die medizinischen Systeme intelligenter. Und intelligente Systeme führen zu besseren Patientenergebnissen.
Die Nachrichten sind voll vom Hype um das Potenzial der KI, die sich auf jede Branche auswirkt. Das Gesundheitswesen, eine der teuersten und am wenigsten automatisierten Branchen, ist ein verlockendes Ziel. Die Art und Weise, wie Patienten analysiert, überwacht, behandelt und gepflegt werden, ist meist manuell, fehleranfällig und ineffizient. Offen gesagt braucht das Gesundheitswesen dringend Intelligenz. Sie kann aber dereit nicht entstehen, weil oftmals die notwendigen Daten als Schlüssel zur Intelligenz fehlen.
Die Verfügbarkeit von Daten ist eine zentrale Voraussetzung für eine intelligentere Gesundheitsversorgung. Der klinische Datenfluss ist anspruchsvoll - Unternehmens-IT und Cloud-Systeme können die Informationen nicht schnell oder zuverlässig genug bereitstellen, um physische Systeme zu betreiben. Anstelle von historisch »gesammelten« Daten müssen koordinierte Informationen von mehreren Medizingeräten, Instrumenten - ja quasi der gesamten vernetzen Medizintechnik - an KI-Algorithmen und zurück an das Pflegeteam oder die Behandlungssysteme geliefert werden. Und zwar schnell genug, je nach Anwendung bestenfalls in Echtzeit, um die lebenswichtige Pflege und Behandlung zu unterstützen.
Die Einführung intelligenter Gesundheitssysteme klappt ohne relevante Informationen zum Patientenverständnis nicht. Entscheidend ist eine nahtlose Interoperabilität des Datenflusses zwischen integrierten Geräten und Systemen, so dass die richtigen Daten zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind.
Angenommen ...
Das Potenzial der KI-Technologie liegt darin, dass sie eine Schlüsselrolle bei der Steigerung der klinischen Effizienz, der besseren Nutzung des knappen medizinischen Personals und der Verbesserung des Gesundheitswesens spielt. KI kann Kosten senken, indem sie gestresste Pflegeteams von repetitiven Aufgaben entlastet, viele Fehler durch automatisierte Kontrollen eliminiert und die Chancengleichheit im Gesundheitswesen fördert, indem sie lokale Talente durch erlerntes Fachwissen ergänzt. KI kann die größte Verbesserung der Gesundheitsversorgung in der Geschichte darstellen und das Pflegeteam wirklich ergänzen.
Wie vielversprechend das sein kann, zeigen folgende Beispiele der intelligenten Patientenüberwachung und der robotergestützten Chirurgie.
Obwohl die Patientenüberwachung wahrscheinlich eine der wichtigsten technologischen Errungenschaften der letzten 30 Jahre ist, kann sie heute noch nicht ohne Aufsicht zur Diagnose beitragen. Kein Gerät allein liefert genügend Informationen, um den Zustand des Patienten zu beurteilen, und es gibt keine einfache Möglichkeit, die Messwerte miteinander zu korrelieren. Die verschiedenen Devices wissen nicht einmal, dass sie mit demselben Patienten verbunden sind. Da ein einzelnes Instrument viele Ursachen für unerwartete Daten haben kann, kommt es häufig zu Fehlalarmen (die in der Regel abgeschaltet werden). So sind die aktuellen Patientenüberwachungssysteme eine Sammlung unabhängiger Messwerte ohne die Möglichkeit einer intelligenteren Analyse.
Zwar gibt es eine elektronische Patientenakte, aber sie ist für die Pflege nicht nutzbar, weil die Verbindungen zur Datenbank viel zu langsam, unvollständig und nicht synchronisiert sind. So enthalten die medizinischen Aufzeichnungen wahrscheinlich nur die Vitalwerte (z.B. Herzfrequenz), nicht aber die für die Diagnose notwendigen Wellenformen. Nicht einmal die Uhren der Geräte sind synchronisiert, das macht eine nachträgliche Analyse unmöglich. Zur Untersuchung eines Patienten müsste man das Zimmer betreten oder sich am Telemetrie-Schwesternarbeitsplatz die Informationen der einzelnen Geräte live ansehen. Um die Kurvenform aufzuzeichnen, muss man sie auf Papier ausdrucken, einscannen und das Bild in die elektronische Patientenakte eingeben. Es gibt einfach nicht genug Datenfluss, um das System intelligent zu machen.
Vernetzung rettet Leben
Als Folge davon ist die Wahrscheinlichkeit, dass chirurgische Patienten nach der Operation sterben, 1.000 Mal höher als während des Eingriffs. Das liegt nicht daran, dass sich ihr Zustand plötzlich verschlechtert oder die Überwachungsinstrumente versagen. Vielmehr ist die sporadische gründliche Analyse der Daten durch gestresste Pflegeteams nicht schnell genug, um selbst eine langsame Verschlechterung im Laufe der Zeit zu erkennen.
Angenommen, die Monitore wären drahtlos, die Instrumente könnten zusammenarbeiten und die Daten wären für eine intelligente automatische Analyse verfügbar – dann könnte man die Patienten an die Monitore anschließen und sie in der gesamten Klinik überwachen. Ihr Zustand wäre auf einem iPad abrufbar, und Medikamente könnten von überall verschrieben werden, auf der Station, im eigenen Büro oder in der Cafeteria. Noch besser wäre es, die hochwertigen Daten vieler Geräte würden mithilfe einer künstlichen Intelligenz jede Millisekunde nach Anzeichen für Probleme geprüft. Anstatt das Pflegeteam nur zu unterstützen, würde die Technik das Pflegeteam ergänzen.
Dabei geht es natürlich nicht nur um einzelne Patienten, sondern das Krankenhaus könnte auch die Pflege bewerten und optimieren. Will man beispielsweise die Sepsissterblichkeit besser verstehen, könnte das System eine Prognose erstellen und entscheiden, ob ein Patient septisch sein wird, noch bevor die Ärzte es wissen. Die können dann die Daten und Ergebnisse nutzen, um die Versorgung zu verbessern.
Portrait Mobile und seine Herausforderungen
Tatsächlich gibt es dieses magische, drahtlose und intelligente System bereits: Es ist das Ergebnis einer zehnjährigen Entwicklungsarbeit von GE Healthcare. Das Portrait Mobile System ist drahtlos und hat keine Anschlüsse. Es unterstützt mehrere koordinierte Instrumente, die mit dem Patienten verbunden sind und liefert die richtigen Daten an hochentwickelte Algorithmen, um intelligente Alarme auszulösen und Patientenprobleme zu erkennen. Das ist wirklich eine Revolution in der Gesundheitstechnologie. Aber es war nicht einfach. Portrait Mobile muss rund um die Uhr in jedem Krankenhausnetzwerk funktionieren, skalierbar sein, Daten speichern, Patienten registrieren und die Privatsphäre schützen. Es muss batteriebetrieben laufen, Netzwerke unterbrechungsfrei durchqueren, Störungen tolerieren und viele verschiedene Gerätetypen kombinieren, die jederzeit kommen und gehen können. Dazu muss es schnell, sicher und zuverlässig arbeiten und eine Überprüfung der Patientenhistorie ermöglichen. Nicht zu vergessen die einfache Bedienbarkeit in einem dynamischen klinischen Umfeld. Es muss riesige Datenmengen filtern und an Analysealgorithmen weiterleiten und über Tage, Monate und Jahre fehlerfrei funktionieren. Und das alles bei gleichzeitiger Bereitstellung der richtigen Daten zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Ein weiteres Beispiel ist die Knieersatzoperation. Heute sind Knieprothesen alltäglich – alleine in den USA führen Chirurgen jährlich fast eine Million Operationen durch. Noch erfolgen diese Eingriffe größtenteils manuell, doch schon jetzt können spezielle Robotersysteme die Arbeit übernehmen - der Eingriff wird bald routinemäßig automatisiert ablaufen.
Voraussetzung dafür ist Präzision - die Biomechanik muss stimmen, und viele Faktoren müssen ausbalanciert werden. Der bei weitem schwierigste und wichtigste Teil der Operation ist die präzise Schnittführung. Es kann 2 bis 3 Stunden dauern, bis alle für die Operation erforderlichen Teile richtig positioniert sind. Einrichten, Schnittplanung und Analyse machen einen Großteil der Kosten und Risiken aus. Aber Präzision ist nun einmal nicht die Stärke des Menschen. Selbst ausgebildete Chirurgen können keine perfekten Winkelschnitte ausführen. Und die Anpassung der Vielfalt menschlicher Knochen an Standardteile bedeutet, dass die meisten Patienten kein optimales Ergebnis erhalten. Hier kann die Robotik Abhilfe schaffen, indem sie Roboter dazu bringt, extrem präzisen Schnittbahnen zu folgen, die durch bildgebende Verfahren und CAD-Pläne erzeugt werden. Die sich daraus ergebenden präzisen Winkel und ultraglatten Oberflächen sind so sauber, dass bei vielen chirurgischen Eingriffen auf die Verwendung von Zement verzichtet werden kann - das Implantat wird einfach eingedrückt, und der Knochen wächst wie bei einem natürlichen Gelenk in das Teil ein. Durch die Präzision und Flexibilität des Roboters wird die Implantation individueller Gelenke realistisch. Anstatt den Patienten an ein Standardteil anzupassen, kann ein individuelles Teil anhand der Bilddaten in 3D gedruckt werden. Die manuelle Justierung dieser Unikate ist für den Menschen nicht machbar - für einen Roboter ist dies durchaus möglich.
Ganz so einfach ist es in der klinischen Praxis natürlich nicht bzw. es ist ein weiter Weg von der machbaren Vision in den Klinikalltag. Wichtig ist, dass der Roboter genau weiß, wo sich der Knochen befindet. Dies geschieht mit Hilfe eines bildgebenden Systems, das etwas verfolgt, das wie eine Antenne mit reflektierenden Zielen darauf aussieht. Diese Antenne wird am Knochen befestigt (verschraubt), dann erfolgt die genaue Lokalisierung der Knochenpunkte mithilfe einer weiteren Sonde mit Zielmarken. Danach weiß das Bildverarbeitungssystem genau, wo sich der Knochen befindet, während es schneidet.
Auch hier müssen die Daten zur richtigen Zeit am richtigen Ort ankommen, damit das Ganze funktioniert. Das Bildverarbeitungssystem teilt dem Chirurgen mit, wo sich der Knochen befindet - auch dann, wenn er sich bewegt. Der Chirurg bestimmt, wann und wie schnell zu schneiden ist. Mit diesen Daten führt der Roboter einen perfekten Schnitt im vorher geplanten Winkel aus. Das Ganze ist so weit automatisiert, dass es sogar aus der Ferne geschehen kann, selbst wenn der Chirurg Tausende von Kilometern entfernt ist. Eine neue, intelligente Welt. Der Kniegelenkersatz-Roboter kopiert im Wesentlichen die Arbeitsweise des Chirurgen, allerdings mit höherer Präzision und Effizienz. Es gibt immer mehr Belege dafür, dass der robotergestützte Gelenkersatz zu besseren Ergebnissen führt – so verbesserte in diesen Studien die Roboterchirurgie die Positionierung der Implantate, die Ausrichtung und das Gleichgewicht der Bänder.
Dies sind nur zwei von unzähligen möglichen Anwendungen intelligenter Gesundheitsfürsorge. Beide integrieren modernste Computertechnologie und -intelligenz, um die Art der Behandlung und Pflege zu verändern. Sie nutzen Informationen aus vielen Quellen und kombinieren künstliche Intelligenz oder intelligente Algorithmen mit hochentwickelten Sensoren, detaillierten 3D-Modellen von Scannern, Präzisionsmotoren, elektronischen Patientenakten und vielem mehr. Diese Anwendungen sind bahnbrechend.
Die Entwicklung intelligenter medizinischer Systeme kostet Millionen von Dollar und dauert viele Jahre. Für Patienten und Pflegepersonal steht viel auf dem Spiel. Jeder Fortschritt muss getestet, angepasst, zugelassen und gewartet werden. Die Entwicklung von KI-gesteuerten medizinischen Systemen ist teuer, langwierig und riskant. Aber der Fortschritt ist unbestreitbar. (uh)