Halbleiter-Zölle, Cut-Offs in den US-Gesundheitsbehörden und geopolitische Lieferketten-Verschiebungen - auch für die Medizintechnikbranche ist der Handelsstreit und die amerikanische Innenpolitik zum Pulverfass geworden. Eine Einordnung zu den Medtech-Auswirkungen auf die USA und Europa.
Wahrlich keine Überraschung in all dem Wirtschaftschaos seit Amtsantritt des 45. und nun auch 47. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika: Donald Trumps geplante Halbleiterzölle drohen, auch die Medizintechnikindustrie in den USA und weltweit empfindlich zu treffen – und das ausgerechnet in einer Zeit, in der Hightech-Komponenten für die Patientenversorgung immer wichtiger werden. Über die Hälfte aller Medizingeräte ist heute auf Halbleiter angewiesen, Tendenz steigend. Die angekündigten Zölle könnten daher nicht nur die Kosten für Hersteller und Gesundheitssysteme in die Höhe treiben, sondern auch die Innovationskraft der gesamten Branche ausbremsen, wie Global Data in einer aktuellen Studie ausführt.
Die US-Regierung sendet aktuell widersprüchliche Signale: Während Smartphones, Computer und Halbleiter zwischenzeitlich von Zöllen ausgenommen waren, ist nun wieder von Sonderabgaben auf Chips die Rede – mit Verweis auf die nationale Sicherheit. Die Unsicherheit der Medtech-Branche ist entsprechend groß. Handelsminister Lutnick räumte zwar Ausnahmen für bestimmte Elektronikprodukte ein, betonte aber gleichzeitig, dass neue Zölle auf Halbleiter und pharmazeutische Produkte in Vorbereitung seien. Für die Medizintechnik, die auf stabile Lieferketten und kalkulierbare Kosten angewiesen ist, ist diese Zickzack-Politik ein Albtraum.
Besonders brisant: Über 90 Prozent der Chips weltweit stammen aus Taiwan, das bereits mit einem 32-prozentigen Zoll belegt ist. Sollte Trump tatsächlich weitere umfassende Zölle auf Halbleiterimporte verhängen, sind massive Preissteigerungen bei Medizingeräten vorprogrammiert. Die US-eigene Chipproduktion reicht bei weitem nicht aus, um den Bedarf der Medizintechnik – geschweige denn anderer Schlüsselbranchen – zu decken. Supply-Chain-Engpässe und Verzögerungen am amerikanischen Heimatmarkt wären die Folge.
Doppelte Belastung durch Budgetkürzungen
Erschwerend kommt für die amerikanische Medtech-Szene hinzu, dass viele US-Gesundheitsbehörden und Aufsichtsstellen aktuell mit drastischen Budgetkürzungen (»Cut-offs«) und Massenentlassungen konfrontiert sind. Das betrifft, wie u.a. bei der FDA, nicht nur die Zulassung und Überwachung von Medizingeräten, sondern auch Förderprogramme für Innovation und Digitalisierung im Gesundheitswesen. Wenn nun gleichzeitig die Kosten für Medizintechnik durch Zölle steigen, geraten Innovation und Versorgung in Amerika doppelt unter Druck: Einerseits fehlen den Behörden die Mittel, um neue Technologien effizient zu bewerten und zuzulassen, andererseits werden diese Technologien für Krankenhäuser und Patienten immer teurer. Das Risiko: Der Zugang zu modernen, sicheren Geräten wird erschwert, und die Innovationsdynamik der gesamten Branche leidet.
Patienten und Innovation als Verlierer
Was bedeutet das konkret? Höhere Kosten werden unweigerlich an Krankenhäuser, Praxen und letztlich an Patienten weitergegeben. Der Zugang zu moderner Medizintechnik könnte erschwert, Innovationen verzögert werden. Aktuell wächst der US-Markt für Medizingeräte mit beachtlichen 4,9 Prozent jährlich – doch diese Dynamik ist in Gefahr, wenn Zölle die Preise treiben, Investitionen hemmen und Behörden durch Cut-offs ausgebremst werden.
Trumps Zollstrategie mag kurzfristig als Schutz der heimischen Industrie verkauft werden. Für die Medizintechnik aber droht sie zum Bumerang zu werden: Sie gefährdet die Versorgungssicherheit, verteuert lebenswichtige Geräte und schwächt die technologische Innovation. Gerade im Gesundheitswesen sollte gelten: Freier Handel und offene Lieferketten sind kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit – im Interesse von Patienten, Unternehmen und dem medizinischen Fortschritt. Budgetkürzungen bei den Behörden verschärfen die Lage zusätzlich und machen deutlich: Wer an der falschen Stelle spart und abschottet, riskiert die Zukunftsfähigkeit seines gesamten Gesundheitssystems.
Doch was Trump macht, hat Auswirkungen auf die gesamte Welt: Die aktuell 20%-igen US-Zölle auf europäische Produkte treffen auch die exportorientierte europäische Medtech-Industrie an einem empfindlichen Punkt. Die USA sind der wichtigste Auslandsmarkt für europäische Hersteller, insbesondere für Länder wie Deutschland, Irland, die Niederlande und die Schweiz, deren Branchen stark auf diagnostische Bildgebung, Orthopädie und In-vitro-Diagnostik spezialisiert sind. Bereits im zweiten Quartal 2025 verzeichnen einige Unternehmen einen Rückgang der US-Absätze um bis zu 12–15 Prozent gegenüber dem Vorjahr, da die Produkte durch die Zölle ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren und Marktanteile einbüßen, wie Medtech-Kenner Alex Charitou in einem LinkedIn-Beitrag darlegt.
Vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die nicht über die finanziellen Ressourcen verfügen, um Produktionsstätten in den USA aufzubauen oder die Mehrkosten aufzufangen, geraten unter Druck. Viele hatten bereits aus regulatorischen Gründen erwogen, einen Teil ihrer Fertigung in die USA zu verlagern. Diese Überlegungen werden nun an Dringlichkeit zunehmen, erfordern jedoch auch hohe Investitionen und laufen Gefahr, den europäischen Standort langfristig zu schwächen. Zudem drohe laut Branchenkennern eine Welle von Firmenübernahmen, da größere Unternehmen versuchen, durch Zukäufe ihre US-Präsenz zu stärken und Skaleneffekte zu erzielen – ebenfalls auf Kosten der Vielfalt und Innovationsdynamik der europäischen Medizintechnikbranche.
Gleichzeitig führen die Zölle wie oben beschrieben zu einer Fragmentierung globaler Lieferketten und steigenden Produktionskosten, da Komponenten wie Halbleiter, Sensoren oder Spezialmetalle meist international bezogen werden. Die Folge sind Margendruck, längere Lieferzeiten und eine Verlagerung von Investitionen weg von Forschung und Entwicklung hin zu Logistik und Compliance.
Auch auf politischer Ebene wächst die Sorge: »MedTech Europe« warnt bereits eindringlich, dass Gegenzölle und Handelskonflikte die Kosten, die Zugänglichkeit und die Qualität der Versorgung in Europa beeinträchtigen und die Attraktivität des Standorts schwächen könnten. Der Branchenverband fordert daher Ausnahmeregelungen für medizinische Produkte und eine Rückkehr zu konstruktiven transatlantischen Handelsbeziehungen.
Unterm Strich steht fest: Die US-Zölle haben nicht nur im amerikanischen Heimatmarkt einen gegenteiligen Effekt, sie bremsen auch das Wachstum der europäischen Medtech-Industrie und zwingen Unternehmen zu teuren Anpassungen - zum Nachteil von Innovation und technologischen Neuerungen.