Siemens Healthineers präsentiert sich selbstbewusst mit einer neuen strategischen Ausrichtung. Auf dem Kapitalmarkttag stellte CEO Bernd Montag »Elevating Health Globally« vor, ein ambitioniertes Programm, das auf KI, die Bekämpfung wichtiger Krankheiten und eine konsequente Neuausrichtung setzt.
Die Botschaft ist klar: Nach der Ankündigung der Abspaltung vom Noch-Mutterkonzern Siemens will Healthineers nicht nur unabhängig sein, sondern mit ambitionierten Wachstumszielen glänzen. Für die Geschäftsjahre 2027 bis 2030 peilt der weltweit gut aufgestellte Medizintechnikkonzern ein jährliches Umsatzwachstum von 5 bis 7 Prozent an – mit einem zweistelligen Wachstum beim bereinigten Ergebnis je Aktie. »Wir wollen unser Unternehmen auf die nächste Stufe heben«, sagte Montag am 17. November in London und sprach selbstbewusst von einem Beitrag »für die Gesundheit von acht Milliarden Menschen weltweit«.
Die Ankündigung auf dem Kapitalmarkttag kommt zur rechten Zeit: Anfang November hatte Healthineers Investoren mit einer konservativen Prognose für das Geschäftsjahr 2025 enttäuscht. Mit einem erwarteten Ergebnis je Aktie von 2,20 bis 2,40 Euro blieb das Unternehmen deutlich hinter den Analystenerwartungen von 2,48 Euro zurück. Die nun präsentierten mittelfristigen Wachstumsziele sollen offenbar das Vertrauen der Kapitalmärkte wiederherstellen – und signalisieren: Die kurzfristigen Herausforderungen ändern nichts an der langfristigen Wachstumsstory.
Im Zentrum der neuen Strategie steht künstliche Intelligenz als »wichtiger Hebel«, um Ärzte, Kliniken und andere Versorger effizienter und auch personalisierter arbeiten zu lassen. Healthineers konzentriert sich dabei auf vier nichtübertragbare Krankheiten, die laut WHO für 75 Prozent der weltweiten Todesfälle verantwortlich sind: Schlaganfall, Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und neurodegenerative Erkrankungen. Für letztere Indikation sollen besonders die Alzheimer-Therapien an Relevanz gewinnen – Healthineers will mit Technologien zur Patientenauswahl und zum Monitoring die Versorgung verbessern.
Diese inhaltliche Fokussierung korrespondiert mit einer organisatorischen Neuordnung. Die Finanzberichterstattung wird künftig in drei Segmente gegliedert: »Imaging« für Prävention und Erkennung, das neu geschaffene Segment »Precision Therapy« mit Varian, Advanced Therapies und Ultraschall für die Behandlung sowie »Diagnostics«, das eine »eigene Strategie in eigener Aufstellung« verfolgen soll. Damit wäre möglicherweise auch die Basis für eine spätere Abtrennung dieses Geschäftsbereichs gelegt, der mit dem klassischen Medizingeräte-Business der Erlanger nicht viel zu tun hat. Analysten hatten vor dem Kapitalmarkttag bereits kräftig darauf spekuliert, dass eine weitere Abtrennung der margenschwachen Diagnostiksparte »Wachstum und Marge deutlich verbessern« würde. Doch noch ist Diagnostics nicht verkauft, Montag machte aber deutlich, Healthineers »könnte in einigen Jahren nicht mehr der beste Eigentümer sein« und ließ eine mögliche Trennung, Partnerschaft oder komplette Unabhängigkeit offen.
Zu diesem auf Rendite und Synergien ausgerichteten Portfolio-Management passen die zumindest auf dem Papier ambitionierten Zahlen bzw. Zielwerte: Für den »synergetischen Kern« aus Imaging und Precision Therapy strebt Healthineers ein jährliches Umsatzwachstum von 6 bis 9 Prozent an, während Diagnostics sich einem mittleren einstelligen Wachstum annähern soll. Beim Imaging-Segment erwartet das Unternehmen ein Wachstum im mittleren bis hohen einstelligen Prozentbereich mit Margenausweitung durch Skaleneffekte; Precision Therapy soll jährlich um etwa 100 Basispunkte bei der Marge zulegen.
Dass diese Ziele nicht nur Wunschdenken sind, zeigt sich konkret bei der Varian-Integration. Die 2021 für 16,4 Milliarden US-Dollar übernommene Tochter entwickelt sich zum Innovationstreiber: Das Cloud-basierte Aria Core-System ersetzt fragmentierte lokale Systeme und ermöglicht einen ganzheitlichen Blick auf Patientendaten – vom Screening bis zur Nachsorge. Die im September 2024 verkündete 10-Jahres-Vereinbarung mit dem US-Gesundheitssystem Ballad Health, eine der größten in Varians Geschichte, demonstriert die Strahlkraft des integrierten Onkologie-Ökosystems. Mit erweiterten Eclipse-Therapieplanungs-Tools und MRI-Integration für die Radiotherapie zeigt sich: Die Synergien zwischen Varians Strahlentherapie und Siemens' Bildgebungsstärke werden zunehmend Realität.
Finanzvorstand Jochen Schmitz verwies auf einen »umfassenden Finanzrahmen« für verlässliches Wachstum und die Generierung von Free Cashflow. Die Cash-Conversion-Rate soll bis 2030 bei 0,8 bis 0,9 liegen. Ein zentrales Ziel: Die Verschuldung vom 4,2-Fachen nach dem Varian-Closing 2021 auf das 2,5-Fache innerhalb der nächsten zwei Jahre zu senken – dann könnten sogar Aktienrückkäufe möglich werden.
Auch im Imaging-Segment setzt Healthineers auf Innovationssprünge. Die Photon-Counting-Computertomographie mit QuantaMax-Detektor gilt als Quantensprung in der medizinischen Bildgebung: Die Technologie eliminiert elektronisches Rauschen vollständig und ermöglicht Ultra-Hochauflösungen, die mit herkömmlichen CT-Systemen nicht erreichbar sind. 2025 führte Healthineers die Photon-Counting-Technologie auch für die Strahlentherapieplanung ein – im Juni erhielt das Nationale Zentrum für Strahlenforshcung in der Onkologie Dresden den weltweit ersten PCCT-Scanner für diesen Zweck. Analysten sehen hier Milliardenpotenzial. Mit solchen Innovationen will Healthineers seine Weltmarktführerschaft in der medizinischen Bildgebung nicht nur verteidigen, sondern ausbauen.
Als verlässliche Basis seines Geschäfts will Healthineers seine sogenannten Value Partnerships weiter ausbauen. Diese Beziehungen mit derzeit über 200 Großkunden weltweit stellen eine wichtige Quelle wiederkehrender Umsätze für den Medizingerätehersteller dar und sind in Zeiten sich weltweit verschiebender Lieferketten und eines wachsenden Preis- und Wettbewerbsdrucks eine wichtige strategische Säule.
Neu entwickelt werden im Zuge dessen sogenannte 'Value Programs', die Gesundheitsdienstleister gezielt bei der Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten unterstützen sollen. Vor allem in den Schwellenländern will der Konzern seinen »zweistelligen Wachstumskurs fortsetzen« und den dortigen Beitrag weiter ausbauen.
Die Strategie ist ehrgeizig – und sie wirkt wie eine Ansage. Während der Mutterkonzern Siemens noch an der konkreten Ausgestaltung der Entkonsolidierung arbeitet, demonstriert Healthineers bereits Handlungsfähigkeit. Ob die angekündigte Fokussierung auf vier Krankheitsfelder, die KI-Integration und die neue Segmentstruktur tatsächlich den erhofften »Elevating«-Effekt bringen, werden die nächsten Jahre zeigen. Offen bleibt vor allem die Zukunft der Diagnostics-Sparte – eine strategische Unsicherheit, die Investoren genau beobachten werden. Für Bernd Montag und sein Team dürfte die Eigenständigkeit mehr Freiheiten eröffnen – und damit auch mehr Verantwortung, die ambitionierten Ziele zu erreichen und sich auf dem weltweiten Medizingerätemarkt weiter in einer führenden Rolle zu behaupten. (uh)