Das »Living Heart« läßt sich jetzt für Patientengruppen sowie einzelne Patienten konfigurieren. Medtech-OEMs können KI-gestützte, virtuelle Herzmodelle automatisiert erstellen und per FDA-Leitfaden die Entwicklung medizinischer Geräte beschleunigen. Und: Es kommen digitale Zwillinge weiterer Organe.
Eine Operation am offenen Herzen gehört zu den gefährlichsten Eingriffen der modernen Medizin. Und trotz perfekter Planung kann in jedem Moment etwas schiefgehen, ursprünglich angedachte Workflows können durch neu auftretende Parameter durcheinandergeraten. Schlicht, weil trotz modernster Bildgebung und umfangreicher ärztlicher Vorbereitung erst die eigentliche Operation und der reale Blick in den Körper die wirkliche Lage offenbaren.
Der französischer Software- und Simulationsanbieter Dassault Systèmes treibt seit vielen Jahren die Forschung und Entwicklung digitaler Zwillinge von menschlichen Organen voran. Wie die aus dem Automobil- und Maschinenbau bekannten CAD-basierten Modelle sollen die virtuellen Abbilder Ärzten und Medizinern helfen, die intrakorporalen Vorgänge und Zusammenhänge besser zu verstehen und Behandlungen und Operationen über Simulationen exakt vorzubereiten oder über neuartige Einblicke zusätzliche Heilungsansätze zu finden. Das große Ziel ist ein virtuelles Abbild des menschlichen Körpers, in welchem das Zusammenspiel von Gewebe, elektrochemischen Vorgängen und Wirkmustern bis auf Zellebene »durchspielbar« ist - und damit die Entwicklung von neuen Medizingeräten und Medikamenten vorantreibt.
Der initiale und weit fortgeschrittenste virtuelle Zwilling innerhalb dieser Dassault'schen Megasimulation ist ein realistisches 3D-Modell des menschlichen Herzens, das »Living Heart« - welches jetzt in eine neue Phase eintritt: Derzeit testen die Dassault-Experten das Living-Heart-Modell erstmals individuell für einzelne Patienten oder Patientengruppen zu konfigurieren. Die Forschenden arbeiten daran, dass Ärzte und Medtech-OEMs mannigfaltige Einstellungen an dem Herzzwilling vornehmen können und wollen die Prozesse weitgehend automatisieren. Dadurch sollen die Entwicklung medizinischer Geräte vereinfacht sowie Prüf- und Zulassungsverfahren für neue Behandlungsmethoden beschleunigt werden.
Digitale Zwillinge in der Medizin: |
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Es begann mit einem Schicksalsschlag: Interview mit Steve Levine, dem »Vater« des Living-Heart-Projektes. |
Das Expertenteam des Living Heart Project testet die Erstellung individualisierter Modelle, bei denen sich Gewebeeigenschaften, strukturelle Besonderheiten und weitere Parameter mit nur einem Mausklick anpassen lassen. Die neue Modellgeneration bietet ein tiefes Verständnis der menschlichen Physiologie, das auf der jahrelangen Erfahrung des Living-Heart-Projekts mit realen Patientendaten basiert. So können tausende virtuelle Patientenzwillinge erstellt werden, die nicht nur als Trainingsdaten für generative KI fungieren, sondern auch Forschenden und Klinikteams neue Einblicke in Krankheitsverläufe und Therapieeffekte ermöglichen – ganz ohne Tierversuche oder Datenschutzrisiken.
Das Living-Heart-Projekt ist aktuell in der Future Box des Deutschen Museums in München ausgestellt, als Exponat im Themenraum »Körper und Gesellschaft«. Besucher können sich im Forum der Zukunft auf der Museumsinsel von der Künstlichen Intelligenz »AI-ME« durch die digitale und interaktive Ausstellung führen lassen - besondere Einblicke in den Organzwilling des menschlichen Herzens gewähren VR-Brillen und Simulationen. Mit »Zukunfts-Hosts« kann anschließend diskutiert werden, wie die sehr realistischen digitalen Herzmodelle die Medizin von morgen beeinflussen. |
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Future Box des Deutschen Museums, Museumsinsel München, seit März 2025 |
»Vor zehn Jahren hat das Living-Heart-Projekt mit dem ersten virtuellen Zwilling eines menschlichen Herzens Geschichte geschrieben. Heute machen wir einen weiteren bedeutenden Schritt nach vorne – mit einer vollständig parametrischen, konfigurierbaren Simulation des gesamten Herzens. Dies ermöglicht es Medizintechnikunternehmen, Innovationen schneller und präziser zu entwickeln, zu testen und zu validieren«, sagt Claire Biot, VP Life Sciences & Healthcare, von Dassault Systèmes. Unterstützt durch unsere 3DExperience-Plattform reduziert dieser Fortschritt den Entwicklungsaufwand, beschleunigt regulatorische Prozesse und verbessert die Vorhersagbarkeit der Geräteintegration in die reale Anatomie – ein großer Meilenstein für die Präzisionsmedizin«.
Der Beta-Test der neuen Generation des Living-Heart-Modells folgt auf die Veröffentlichung des »Enrichment Playbook«, einem Leitfaden für die Medizintechnikbranche, der den Einsatz virtueller Zwillinge zur Beschleunigung klinischer Studien beleuchtet. Das Playbook entstand im Rahmen einer fünfjährigen Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen Behörde für Lebensmittel- und Arzneimittelsicherheit (FDA). Die Untersuchungsergebnisse belegen den einzigartigen Mehrwert der Validierung und Effizienz von virtuellen Zwillingen für Bereiche wie Biopharma, Krankenhäuser, Medizintechnik, Wearables und öffentliche Gesundheit. Zu den Vorteilen zählen reduzierte Kosten, beschleunigte Zulassungsverfahren und verbesserte Therapieergebnisse. Dassault Systèmes arbeitet bereits an virtuellen Zwillingen weiterer Organe. (uh)