Was hat die lange Wachstumsphase beendet?
Doch was genau hat zum Ende dieser langen Wachstumsphase geführt? Neben den allgemeinen wirtschaftlichen Verwerfungen und Unsicherheiten angesichts von internationalen Handelskonflikten und großen technischen Umwälzungen nannten die Teilnehmer weitere, konkrete Ursachen. Dazu gehört insbesondere der aufgrund der Bauteileverknappung 2018 betriebene Aufbau der Lagerbestände, die dann im Verlauf von 2019 größtenteils wieder abgebaut wurden und entsprechend die Nachfrage verringert haben. Weber spricht in diesem Zusammenhang von einem „Peitscheneffekt“: einer wellenförmigen Umsatzentwicklung mit einer starken Aufwärtsbewegung 2018 und einer entsprechenden Abschwächung 2019. Es wird erwartet, dass die Bereinigung der Lagerbestände spätestens in der zweiten Jahreshälfte 2020 abgeschlossen sein wird.
Von einem anderen Phänomen im Jahr 2019 berichten u.a. Ducharme und Steyerl: Kunden schließen zwar Entwicklungsprojekte ab, verzögern dann jedoch den für die Bauelemente-Lieferanten umsatzträchtigen Marktstart, um auf eine wirtschaftlich günstigere Gesamtsituation zu warten. Als konkretes Beispiel nennt Puhlmann etwa Fahrzeug-Infotainment-Systeme, deren aktuelle Generation weiter verbaut werde, obwohl der Nachfolger bereits fertig entwickelt sei. Für 2020 bedeutet das aber auch: Hellt sich die Stimmung auf, kann die Nachfrage sehr schnell wieder steigen, da die Unternehmen unmittelbar mit der Serienfertigung neuer Projekte beginnen können.
Bei einer anwendungsspezifischen Betrachtung zählen die Forumsteilnehmer die Bereiche Automotive, Industrial-Anwendungen und Maschinenbau sowie den Agrarsektor zu den größten Sorgenkindern. Als Wachstumstreiber gelten dagegen der Kommunikationsbereich inklusive 5G, Hochfrequenztechnik allgemein, Elektromobilität sowie Embedded-Anwendungen. Branchenübergreifend werden Chinas technologische Ambitionen als eine große Herausforderung wahrgenommen. Reßing fürchtet dabei allerdings weniger die direkte chinesische Konkurrenz als die Abhängigkeit seiner Kunden vom chinesischen Markt: »Durch die wachsenden technischen Fähigkeiten der chinesischen Industrie bricht denen ein wichtiges Absatzgebiet weg.« Gerade für den Embedded-Bereich sieht Queiroz Europa jedoch immer noch klar wettbewerbsfähiger als China. Auf eine ganz andere Gefahr weist Erdl hin: »Allein die Stadt Shanghai stößt pro Jahr etwa so viel Elektrotechnik-Absolventen aus wie ganz Deutschland. Das macht mir mehr Sorgen als etwa die niedrigen Produktionskosten dort.«
Ob Chinas Ehrgeiz oder Amerikas oft unberechenbare „USA first“-Politik – die gesamte Elektronikbranche steht vor der Herausforderung, mit deutlich größer gewordenen Unwägbarkeiten im gesamtwirtschaftlichen Umfeld umgehen zu müssen. Wie lässt sich das strategisch bewältigen? Erdl hat da eine klare Vorstellung: »Eine Zauberformel gibt es nicht. Mein Credo für solche Zeiten lautet: Flexibilität statt Planung.« Man könne nicht alles vorhersehen, aber man müsse in der Lage sein, schnell zu reagieren. Konkret habe man bei Puls etwa auf überall gleiche Prozesse geachtet, um die Produktion zwischen den weltweit verteilten Werken relativ flexibel verteilen zu können. Reßing wiederum sieht gleich zwei Lösungsansätze: »Eine Konsequenz ist, dass man sich nicht mehr so konsequent für eine bestimmte Situation zu Ende optimieren sollte, weil sich diese rasch ändern kann.« Zum anderen brauche man mehr Automatisierung, um bestehen zu können. Und das sei nur mit Elektronik möglich. »Von daher ist diese Entwicklung gar nicht so schlecht für uns.«
Wie lässt sich der Fachkräftemangel bewältigen?
Ein wichtiger Bestandteil jeder Unternehmensstrategie ist die Personalplanung. Angesichts von Fachkräftemangel und einer etwa im Vergleich zu China deutlich geringer ausgeprägten Technikbegeisterung ist das in Deutschland keine leichte Aufgabe. Welche Strategien verfolgen die Unternehmen hier? Die Antworten der Teilnehmer lassen drei wesentliche Ansätze erkennen: intensive Rekrutierung im (globalen) Ausland, Modernisierung von Arbeitsplätzen und -abläufen für eine höhere Produktivität und Kreativität sowie die gezielte Ansprache von Jugendlichen und dabei insbesondere auch Frauen, um das Interesse für eine technische Ausbildung zu wecken.
Zu letzterem Punkt gibt Heinemann eine konkrete Anregung: »Die Ansprache sollten junge Kollegen übernehmen, die mit Schülern und Studenten auf gleicher Augenhöhe kommunizieren können.« Weber sieht das genauso: »Auch wenn man das selbst zehnmal besser erklären könnte, ist es wichtig, dass Gleichaltrige das in ihrer Sprache tun.« Darüber hinaus haben die Unternehmen ein ganzes Bündel an Maßnahmen zur Mitarbeitergewinnung und frühzeitiger Nachwuchsansprache entwickelt.
Phoenix Contact etwa hat Pixi-Bücher mit technischen Themen herausgebracht, um schon bei Kindern das Interesse zu wecken. Bei Analog Devices hat man gute Erfahrungen mit einem Familientag gemacht, zu dem auch die Kinder der Mitarbeiter eingeladen sind. Für jüngere Mitarbeiter gibt es für den Austausch untereinander ein weltweites Young Professional Network. Weber verweist zudem auf die Aktivitäten des ZVEI zur Nachwuchsgewinnung, der etwa mit der Video-Reihe „Watts on“ gezielt Jugendliche mit einem von ihnen bevorzugten Medium anspricht. Bleibt zu hoffen, dass diese Maßnahmen sich dann auch in einem spürbaren Zulauf zu den technischen Ausbildungsgängen niederschlagen.