Eine im internationalen Vergleich geringer ausgeprägte Kooperationsbereitschaft zwischen Unternehmen hatte Steyerl bereits als Defizit genannt. Doch die Runde war sich einig, dass die größte Schwäche des Wirtschaftsstandorts Deutschlands auf einem ganz anderen Gebiet liege: bei der Infrastruktur. Ob beim Mobilfunknetz, bei schnellen Internetanschlüssen oder beim Umbau des Stromnetzes – der Nachholbedarf sei riesig. Und da sehen die Teilnehmer vor allem die Politik in der Verantwortung: »Diese Defizite sind viel eher ein Struktur- als ein Technologieproblem«, so Weber.
Wie war 2019 in wirtschaftlicher Hinsicht, wie wird 2020?
Trotz der genannten Herausforderungen werden – zumindest in technologischer Hinsicht – die Zukunftsperspektiven insgesamt sehr positiv beurteilt. Die für jedes Unternehmen wirklich entscheidende Frage lautet jedoch, inwieweit sich das dann auch auf die wirtschaftliche Entwicklung niederschlägt. Bei der Bewertung des vergangenen Jahres in dieser Hinsicht lässt sich das Forum grob in zwei Gruppen einteilen. Die Mehrheit der Teilnehmer berichtet von einem zweigeteilten 2019 mit einem guten ersten und einem deutlich schwächeren zweiten Halbjahr. Drei Unternehmen konnten sich aufgrund besonderer Umstände von der allgemeinen Entwicklung abkoppeln und zum Teil ungebrochen wachsen.
Eine besonders ausgeprägte Berg- und Talfahrt schildert Reßing (Avnet Integrated): »Für uns war das erste Halbjahr 2019 das stärkste, das wir je hatten. Und der Juni 2019 der beste Monat aller Zeiten. Danach sind die Leute in den Sommerurlaub gegangen und scheinbar nicht mehr wiedergekommen.« Insgesamt habe sich diese Entwicklung zu einer wirtschaftlichen Seitwärtsbewegung addiert. Im Prinzip ähnlich, wenngleich in unterschiedlicher Intensität, verlief 2019 auch für Analog Devices, Digi-Key, Mouser, Puls, STMicroelectronics und Zollner. Für Yamaichi begann das Geschäftsjahr erst im April: »Von daher haben wir das schöne erste Quartal gar nicht mitgenommen, sondern gleich die kalte Dusche bekommen«, so Puhlmann. Wie andere Teilnehmer auch legt er Wert auf die Feststellung, dass man trotzdem nicht von einem Einbruch sprechen könne, sondern dass sich lediglich das starke Wachstum der vergangenen Jahre abgeschwächt habe.
Bei Kontron, Würth und Phoenix Contact E-Mobility sah die Entwicklung etwas anders aus: »Wir haben 2019 speziell in meinem Bereich den Umsatz nahezu verdoppelt«, sagt Heinemann. Dies liege vor allem an dem sich gerade rasant entwickelnden Markt für DC-Schnellladetechnik. Für die Situation bei Phoenix Contact insgesamt teile er jedoch die Einschätzung der Mehrheit. Queiroz berichtet für Kontron von einem im Jahresverlauf ungebrochenen Wachstum, das auf eine hohe Zahl von Design Wins auch schon in der Vergangenheit zurückzuführen sei. Auch Konz (Würth) verweist auf eine hausgemachte Sonderkonjunktur: »Der bei uns erst vor vier Jahren gestartete Geschäftsbereich Kondensatoren sorgt für ein besonders starkes Wachstum.« Dies überlagere Abschwächungen in anderen Bereichen, etwa bei Bauelementen für Automotive-Anwendungen.
Nach einem mehrheitlich schwächeren Halbjahr 2019 stellt sich natürlich sofort die Frage, ob sich diese negative Tendenz auch 2020 fortsetzen wird. Eher nicht – so lässt sich die überwiegend optimistische Erwartungshaltung im Forum kurz auf den Punkt bringen. Konkret reichen die Prognosen für das jeweilige Unternehmen von einer »holprigen Seitwärtsbewegung« (Erdl) bzw. einem »Durchtauchen auf dem Niveau von 2019« (Puhlmann) über »die Talsohle ist durchschritten« (Valesani) bis zu einer »erneuten Umsatzverdopplung in 2020« (Heinemann). Steyerl rechnet mit einem im Vergleich zu 2019 spiegelverkehrten Jahresverlauf: einer spannenden ersten und einer deutlich besseren zweiten Hälfte. Ducharme erwartet einen ähnlichen Verlauf, Reiter ein insgesamt zweistelliges Wachstum. Doch er warnt auch vor zu detaillierten Prognosen: »Es ist wahnsinnig nebelig da draußen.« Die aktuelle Marktsituation führe dazu, dass der Planungshorizont sinke.
Weber legt sich trotzdem fest: »Ich sehe für 2020 eine positive Entwicklung.« Zur Begründung verweist er u.a. auf einen Anstieg sowohl im Back-End- als auch im Wafer-Bereich bei der Halbleiterfertigung. »Das sind zuverlässige Indikatoren, die der Branche insgesamt immer ein halbes bis ein ganzes Jahr voraus sind.« Zudem kann er für sich in Anspruch nehmen, die Abschwächung 2019 schon auf der electronica 2018 korrekt vorhergesagt zu haben. »Als ich nach acht Jahren Wachstum diese Prognose abgegeben habe, bin ich damals von vielen sehr kritisch angeschaut worden.« Inzwischen sei klar, dass er Recht behalten habe.