Bildgebung in der Neurochirurgie

Sichere Tumorresektion per Ultraschallnavigation

6. November 2023, 13:30 Uhr | Von Dimitrios Sapnaras, Produktmanager Neurochirurgie bei Brainlab
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Hirnchirurgen brauchen aktuelle Anantomieaufnahmen. Bisher gab es OP-Bilder meist via MRT oder CT. Doch auch Ultraschall wäre bewährt, sogar günstiger und schneller. In der resektiven Neurochirurgie könnte Ultraschall als neuer Standard eine neue Ära der intraoperativen Bildgebung einläuten.

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Eine akkurate Bildgebung in Echtzeit ist wesentliche Voraussetzung für chirurgischen Erfolg. Das gilt insbesondere für die resektive Neurochirurgie, welche darauf abzielt, Tumore vollständig und sicher aus dem menschlichen Gehirn zu entfernen. Für eine maximal sichere Resektion müssen Chirurgen überlegen, wie der Patient zu positionieren ist, wo in die Haut einzuschneiden und wo Schädel und Dura zu öffnen sind. Auch die Lage eines Tumors muss vorab genau eingeschätzt werden, um entsprechend der nervalen, vaskulären und anatomischen Gegebenheiten den besten Zugang zu wählen. Während der Operation müssen die Chirurgen zudem ständig den Fortschritt der Resektion überwachen, also wie weit der Tumor bereits entfernt ist. Die klassische Navigation im Kopf des Patienten jedoch basiert auf Bildern, die vor der OP aufgenommen wurden – und damit intraoperativ den aktuellen anatomischen Zustand nicht immer korrekt widerspiegeln.

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Druckabfall nach Kraniotomie

Die Navigation wird gleich zu Beginn einer Hirnoperation durch ein Phänomen namens Brain Shift erschwert: Sobald Chirurgen die Schädeldecke öffnen, kann es passieren, dass aufgrund von Druckunterschieden und je nach Lage des Tumors eine Deformation des Gehirns auftritt. Ohne intraoperative Bilder, die den aktuellen Stand genau wiedergeben, ist es fast unmöglich, sicherzustellen, dass ein Tumor vollkommen entfernt wurde. Daher braucht es auch während der Operation eine effiziente Form der Bildgebung. Traditionell werden zu diesem Zweck MRI oder CT eingesetzt. Dabei bleibt ein bildgebendes Verfahren, das gerade in diesem Anwendungsbereich viele zusätzliche Vorteile bringen kann, in der gängigen Praxis weit hinter seinem Potenzial zurück: die Navigation auf Basis intraoperativer Ultraschallbilder.

Gegenüber der Navigation via MRT oder CT bringt der Ultraschall mehrere Vorteile: zum einen ist die präzise Vorhersage von Tumorresten vergleichbar mit iMRI und die Bildqualität der Darstellung von Weichgewebe zum anderen sogar deutlich besser als bei iCT. Intraoperative Hirn-Scans lassen sich mit Ultraschall binnen einer Minute erstellen, während ein iCT 15 bis 25 Minuten braucht. Beim iMRI dauert die Erstellung der Bilder zwischen 22 und 70 Minuten, was auch die Kosten des Eingriffs erhöht. Mit Ultraschall lässt sich die OP-Dauer gegenüber der iMRI-Nutzung zur Bildgebung um bis zu 42 Prozent verkürzen. Die Wahrscheinlichkeit postoperativer Komplikationen wird reduziert, das ist insbesondere für ältere Patienten ein wichtiger Faktor. Aus der wirtschaftlichen Klinikperspektive sind die Anschaffungskosten eines Ultraschallgerätes wesentlich niedriger als die eines Kernspintomographen oder eines Computertomografen.

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Aus der Klinischen Praxis

Prof. Aliasgar Moiyadi leitet die neurochirurgische Onkologie am Tata Memorial Hospital in Mumbai, eine der wenigen neurochirurgischen Abteilungen Indiens, die sich ausschließlich mit Neuroonkologie befassen. In den vergangenen 15 Jahren hat das Tata Memorial Hospital in mehr als 1.000 Fällen navigierten 2D- und 3D-Ultraschall eingesetzt. Insbesondere bei der Lokalisierung und Resektion von Gliomen erwies sich der navigierte 3D-Ultraschall als sehr effizient. »Die Beschränkungen von 2D-Ultraschall, wie ungewohnte Bildgebungsebenen und fehlende Ansichten des ganzen Kopfes, machen es schwierig, das Bild zu interpretieren und sich zu orientieren – insbesondere bei der Suche nach kleinen Tumoren oder Rückständen.

Aliasgar Moiyadi von BrainLab
Aliasgar Moiyadi leitet die neurochirurgische Onkologie am Tata Memorial Hospital in Mumbai, Indien.
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Navigierter 3D-Ultraschall überwindet diese Einschränkungen, indem er ermöglicht, seriell aufgenommene 2D-Bilder zu einem 3D-Bildvolumen im DICOM-Format zu rekonstruieren«, sagt Prof. Moiyadi. »Chirurgen profitieren so von Echtzeitinformationen und einer besseren Navigation. Navigierter 3D-Ultraschall ermöglicht die gemeinsame Darstellung und Registrierung mehrerer Bildgebungsmodalitäten und die Integration von funktionellen Informationen (DTI). Zudem ist eine multiplanare Bilddarstellung möglich, die die Orientierung verbessert. Auch erlaubt die Methode die serielle zeitgleiche Darstellung koplanarer Scans. Das verbessert die räumliche Orientierung des Chirurgen, was eine genaue Lokalisierung des betroffenen Bereichs erleichtert und die Hand-Auge-Koordination sogar im Bild-Offline-Modus verbessert. Dies ist besonders hilfreich bei der Suche nach kleinen Läsionen oder Rückständen. Mit alldem macht der navigierte 3D-Ultraschall Brain Shift sichtbar und hilft, ihn besser einzuschätzen und zu korrigieren. Dies verbessert die Genauigkeit des gesamten Verfahrens.«

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Unterschätzter Ultraschall in der Neurochirurgie

Ultraschall als Bildgebungsform ist bei der neurochirurgischen Behandlung von Hirntumoren gut geeignet. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, weshalb sich das Verfahren in der Anwendungspraxis bislang noch nicht breit durchgesetzt hat. Ein Grund dürfte sein, dass das Operieren mit Ultraschall kein Bestandteil der neurochirurgischen Ausbildung ist und viele Chirurgen schlichtweg nicht um die Vorteile wissen.

Neil Barua von BrainLab
Neil Barua, Leiter der neuroonkologischen Chirurgie am Southmead Hospital im britischen Bristol.
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Ein weiterer Grund dürfte in Vorurteilen liegen: Viele Neurochirurgen gehen fälschlicherweise davon aus, dass Ultraschall nur ein begrenztes Sichtfeld ermöglicht und damit die Interpretation der Aufnahmen erschwert. Weiterhin vermuten viele eine schlechte Bildqualität und erkennen nicht, wie das Verfahren bei der Tumorresektion unterstützen könnte. Studien belegen jedoch den erfolgreichen Einsatz von Ultraschall: Bei einer Gruppe von 260 Kindern und Erwachsenen mit supra- und infratentoriellen intrakraniellen Tumoren erreichte die Ultraschallnavigation über 80 Prozent der beabsichtigten Tumorresektion – und damit einen ähnlich hohen Wert wie der Einsatz von iMRI. Zudem gibt es klinische Belege für eine bis zu hundertprozentige Übereinstimmung zwischen intraoperativer Ultraschallnavigation und ebensolcher MR-Bildgebung bei der Interpretation des Resektionsstatus.

Aus der klinischen Praxis kann unter anderem Dr. Neil Barua, Facharzt für Neurochirurgie am Southmead Hospital im britischen Bristol berichten. Der Leiter der neuroonkologischen Chirurgie setzt seit Januar 2020 navigierten Ultraschall ein, was besonders während der Covid-Pandemie hilfreich war, als er nur begrenzten Zugang zur intraoperativem MRT hatte. Seitdem hat er die Technologie in mindestens 129 Fällen eingesetzt, unter anderem bei kontrastmittel- und nicht-kontrastmittel-aufnehmenden Tumoren, bei Metastasen und Gliomen.

»Ich habe die ersten neun Fälle überprüft, bei denen wir navigierten Ultraschall eingesetzt haben. In acht Fällen wurde eine vollständige Resektion erreicht. Die Technologie hat sich bemerkenswert auf den operativen Arbeitsablauf und die OP-Länge ausgewirkt: Vorher betrug die durchschnittliche Operationszeit in einer iMRI-Vergleichsgruppe neun Stunden und vierzehn Minuten – mit navigiertem Ultraschall nur vier Stunden und sieben Minuten. Dies war keine randomisierte oder Kohortenstudie, aber summiert die Erfahrung unserer Abteilung. Ein weiterer Vorteil ist, dass ich so viele Ultraschallaufnahmen machen kann, wie ich möchte. iMRI-Scans während der OP dagegen sind schwierig, weil sie die Operationszeit erheblich verlängern. Wir haben den navigierten Ultraschall in unseren Arbeitsablauf integriert und in allen Fällen mit der präoperativen Bildgebung abgeglichen. Die Methode ergänzt zudem begleitende Verfahren wie Fibertracking, 5ALA, neurophysologisches Monitoring oder Wachkraniotomie.«


  1. Sichere Tumorresektion per Ultraschallnavigation
  2. Korrelation von Vorab- und Echtzeitbildern

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