Exklusiv-Interview mit Prof. Leo Lorenz

Halbleiter sind das neue Öl

9. März 2016, 8:20 Uhr | Ralf Higgelke
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Fortsetzung des Artikels von Teil 4

Halbleiter aus Diamant, und was wir von China lernen können

Ende 2015 wurde bekannt, dass Anfang 2016 die ersten Diamant-Halbleiter kommerziell verfügbar sein würden. Wie schätzen Sie das Potenzial dieses Materials ein?

Das ist eine sehr schwierige Frage, weil ich da nicht so die Details kenne. Ich war im Dezember in Japan, und noch einmal im Januar. Diese Technologie kommt, das weiß ich. Ich frage mich aber: Wo ist die Anwendung dafür? Diamant ist ja für noch höhere Spannungen gedacht, und wir tun uns heute schon unendlich schwer, ein 6-kV-Netz mit nur einem Schalter zu betreiben. Wenn ich dort einen 2-Level-Umrichter nutze, dann schalte ich immer zwischen Masse und 6 kV hin und her. Oder ich nutze mehrere 1700-Volt-Bauteile in Multilevel-Technologie. Die Spannungshübe sind dann wesentlich kleiner, vielleicht nur noch 1000 Volt. Und das du/dt, das es zu beherrschen gilt, ist dadurch wesentlich geringer. Außerdem will man ja möglichst eine Sinusform generieren. Wir tun uns heute schon schwer, mit Siliziumkarbid in diese Anwendungen hineinzugehen, weil einfach die Argumente für Multilevel-Umrichter so stark sind. Der einzige Vorteil einer Ein-Schalter-Lösung ist die einfachere Ansteuerung.

Es gibt sehr exotische Anwendungen, wo hohe Spannungen in einem Schritt nötig sind, zum Beispiel bei der CERN in der Schweiz für die Puls-Power. 20 kV oder 30 kV werden dort für Zeiträume von einer Mikrosekunde benötigt. Auch kommt noch die ganze Materialforschung, man muss die Spannungen beherrschen, der Rand und die Abdeckung des Chips muss noch entwickelt werden - die ganze Aufbau- und Verbindungstechnik.

Sie sind ein großer China-Kenner. Inwiefern ticken chinesische Ingenieure anders als deutsche? Was könnten wir uns von den Chinesen abschauen?

Wenn ich mit den Chinesen zusammensitze und mit ihnen eine Roadmap beispielsweise für die nächsten zehn Jahre entwickeln müsste. Was benötigen wir in zehn Jahren dann an neuen Technologien, also nicht einfach eine Modifikation von etwas Bestehendem? Dann müssten wir heute schon an anfangen, damit wir sie in zehn Jahren haben. 1990 haben wir mit Siliziumkarbid angefangen und können es heute noch nicht in vollem Umfang wegen einiger Robustheit- und Zuverlässigkeitsfragen nutzen. Dieses in die Zukunft gerichtetes Denken, das fehlt den Chinesen, das können sie noch nicht. Innovation, also völlig neue Ansätze in die Zukunft gerichtet, da tun sich Chinesen noch schwer. Da sind wir von der Historie, von der Ausbildung und vom selbstständigen Denken her weiter.

Was die Chinesen aber sehr gut beherrschen - und da können wir von ihnen lernen -, ist das Modifizieren von Existierendem. Wenn es darum geht, bei einem existierenden IC beispielsweise zwei Funktionen hinzuzufügen? Geben Sie eine solche Aufgabe einem hochqualifizierten deutschen Entwickler, dann wird er das machen, keine Frage. Aber er ist halt nicht so motiviert, als wenn er etwas ganz Neues entwickeln soll. Modifizieren aber, und das extrem schnell, da sind uns die Chinesen überlegen. Und sie sind sehr nahe dran am Markt. Es ist bei ihnen sehr charakteristisch, den Entwicklungsschritt vom Kunden her zu sehen. Und bei diesen Themen sind sie sehr schnell und ziehen das auch durch.

Generell können wir von ihnen lernen, was es heißt, extrem langfristig zu planen. Ich meine da nicht die Halbleiterei. China baut ja die Infrastrukturen in vielen Ländern auf, in Pakistan, in Afrika. Da tun wir uns immer schwer mit der Politik. Alle vier Jahre wird gewählt. Das heißt, zwei Jahre wird was gemacht, dann ist wieder Stillstand durch den Wahlkampf. Dieses langfristige Denken, da sind sie uns überlegen.

Wo wir uns bei den Chinesen etwas abschauen können, ist, wie schon vorher angesprochen, die Ausbildung. In China gibt es auch Elite-Universitäten wie bei uns, aber die Betreuung der Studenten ist dort wegen der limitierten Zahl von Assistenten pro Professor und der Anzahl von Associate und Assistent-Professoren intensiver. Ich will damit nicht sagen, wir hinkten da hinterher, aber wir können deren System mit dem Unseren vergleichen und dann unsere Schlüsse daraus ziehen. Da sollten wir aufpassen, denn die Ausbildung ist ein Schlüsselelement.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Prof. Lorenz.


  1. Halbleiter sind das neue Öl
  2. Trendthema Solid-State-Umrichter und Firmenfusionen
  3. »Leistungshalbleiterei muss in Europa gehalten werden«
  4. Baustellen bei der Ausbildung
  5. Halbleiter aus Diamant, und was wir von China lernen können

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