Exklusiv-Interview mit Prof. Leo Lorenz

Halbleiter sind das neue Öl

9. März 2016, 8:20 Uhr | Ralf Higgelke
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Fortsetzung des Artikels von Teil 3

Baustellen bei der Ausbildung

Wo gibt es Baustellen bei der Ausbildung?

Vonseiten der Ausbildung haben wir uns durch die Umstellung auf Bachelor und Master wohl nichts Gutes getan. Unser System war weltweit sehr gut, wie ich das immer wieder von internationaler Seite her bestätigt bekomme.

Eine andere Befürchtung habe ich noch, wenn ich die chinesischen Universitäten mit den unsrigen vergleiche. Beispielsweise haben wir hier in Deutschland bei den Lehrstühlen für den Bereich Leistungselektronik einen Professor und vielleicht noch einen Dauerassistenzen. In China kommen auf einen Lehrstuhl fünf oder mehr Professoren und etwa ebenso viele Associate Professors und Assistent Professors.

Wenn ich mir die großen, bekannten Lehrstühle hier in Deutschland ansehe - und ich möchte die Professoren nicht angreifen -, die 30 und mehr Forschungsassistenten haben frage ich mich wie diese von einen Professor hochqualifiziert betreut werden können. Meiner Meinung nach muss man da den Unterbau stärken. In China lautet die Regel: Ein Professor, zwei Assistenten pro Jahr. Eine Doktorarbeit dauert fünf Jahre, also hat er maximal 10 Wissenschaftliche Mitarbeiter insgesamt. Und das ist ganz hart limitiert. An der Tsinghua-Universität, die Nummer eins, sind es gerade einmal sechs Assistenten je Professor.

Herbert Parititsch, Senior Manager Technology & Innovation bei Infineon Austria, sagte auf der SEMICON Europa letzten Oktober: "Siliziumkarbid und Galliumnitrid werden in den nächsten Jahren sicher aufholen, aber Silizium wird für eine weitere Dekade DAS Arbeitspferd der Leistungselektronik bleiben." Pflichten Sie ihm bei?

Ich bin da voll bei ihm. Die Wide-Bandgap-Bausteine kommen - aber sehr selektiv, zunächst nur in einigen Nischen, wo sie eindeutige Vorteile bieten. Das hat einige Gründe: Natürlich geht es letztlich immer um die Kosten, und Siliziumbausteine sind noch nicht am Ende ihrer Entwicklung angekommen. Auch da gibt es immer noch weitere Verbesserungen, und in den Features kommen sie den Wide-Bandgap-Devices schon verdächtig nahe. Sie haben natürlich den riesigen Vorteil, dass sie aus Silizium gefertigt werden, das von der Kostenseite her ganz anders strukturiert ist. Das Ausgangsmaterial, die Wafergröße - alles passt dort und ist über Jahrzehnte sehr kostenoptimiert. Wide-Bandgap-Bauteile stehen da noch sehr am Anfang ihrer Entwicklung. Man muss also von der Systemseite her sehr gut und hart begründen, dass sich neuartige Produktfeatures nur mit solchen neuen Bauelementen realisieren ließen.

Zum Beispiel - und das sehen wir in Deutschland anders als in Japan ­­­- wenn sich der Umrichter für ein Elektroauto mit einem höheren Wirkungsgrad realisieren lässt, dann hat das Fahrzeug eine größere Reichweite bei gleichen Batterien. Aber ist ein solches Feature zu bewerten? Die Japaner sagen, der Umrichter ist kleiner, der Wirkungsgrad höher, die Reichweite größer, ich habe mehr Platz im Auto, das Gewicht geringer ?

? und weniger Gewicht bedeutet wiederum eine größere Reichweite.

Ganz richtig. Aber das ist genau zu rechnen. Da ist ein echter Kaufmann nötig, den es gar nicht interessiert, ob die technische Lösung ein wenig besser oder kleiner ist. Der Techniker muss eine bewertbare Zahl liefern. Da haben wir noch keinen Durchbruch erzielt. Es gibt einige Anwendungen, wo diese Wide-Bandgap-Devices schon eine Rolle spielen, zum Beispiel bei der Leistungsfaktorkorrektur, kurz PFC, oder bei gewissen Stromversorgungen. Was fehlt, ist eine Leitapplikation, in der Wide-Bandgap-Bauelemente in große Stückzahlen zu erwarten sind. Mit einer solchen Anwendung könnten wir die Bauelemente optimieren und die Kosten runterbringen. Aber so etwas sehe ich im Moment noch nicht.

Auch wird nicht wieder das Gleiche passieren wie beim Übergang vom Bipolartransistor zu MOSFET und IGBT, denn Letztere haben das Erstere völlig abgelöst. Aber damals waren es alles jeweils Siliziumbauelemente. Wide-Bandgap-Devices werden MOSFETs und IGBTs nicht einfach ersetzen können. Meiner Meinung wird das ganz langsam erfolgen. Der Absatz von Siliziumbauelemente wird weiter wachsen. Von unten aber werden einige Nischenapplikationen mit Wide-Bandgap kommen, das ist toll. Aber einen völligen Ersatz sehe ich nicht. Wenn Herr Parititsch mit seiner Aussage pessimistisch ist, bin ich es noch viel mehr: Ich glaube, dass der Übergang von Silizium zu Wide-Bandgap noch einige Dekaden dauern wird.


  1. Halbleiter sind das neue Öl
  2. Trendthema Solid-State-Umrichter und Firmenfusionen
  3. »Leistungshalbleiterei muss in Europa gehalten werden«
  4. Baustellen bei der Ausbildung
  5. Halbleiter aus Diamant, und was wir von China lernen können

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