Hartung weiter: »Früher war im Auto eine verteilte E/E-Architektur implementiert, bei der jede Funktion mit einer eigenen ECU und eigenem Controller realisiert wurde und mehr als 100 Boxen im Fahrzeug verbaut waren.« Dann wurde überlegt, wie man eine gewisse Konsolidierung erreichen kann, und »das passiert genau jetzt, indem beispielsweise Funktionen von diesen kleinen ECUs in Zonen-Controller verlagert werden«, so Hartung weiter. Die Idee dahinter ist einfach: »Wir wollen Synergien, wir wollen eine verbesserte Update-Fähigkeit, und wir wollen mehr Funktionen realisieren, denn wenn man auf eine zentralisierte Architektur setzt, ist es auch möglich, diese Rechenknoten mit etwas mehr Rechenleistung auszustatten«, fährt Hartung fort.
Dementsprechend gibt es derzeit drei Bausteinklassen: Das rechenstarke »Gehirn« oder der sogenannte Vehicle-Computer, davon kann es zwei oder drei geben. Dazu kommen die Domänen- oder Zonen-Controller, drei oder vier davon, und dann kommen noch viele intelligente Edge-Komponenten mit Sensoren und alle Arten von High-Speed-Plattformen, die auf der Aktionsseite stehen.
Wie findet die Zuordnung der Funktionen zu den jeweiligen Bausteinklassen statt? Die Edge-Komponenten, die messen oder agieren, sind seiner Überzeugung nach sehr spezifisch und sehr schnell und somit typischerweise sehr hardwareabhängig. Folglich könnten diese Funktionen nicht leicht in eine übergeordnete Klasse verschoben werden – erstens aufgrund der Reaktionsgeschwindigkeit, die hier gefordert ist, und zweitens, weil auch die OEMs in diesem Bereich zu viele Änderungen gerne vermeiden möchten, denn diese Funktionalitäten sind oft für Regulierungsbehörden, für die Homologation und für die Safety relevant.
Hartung betont aber: »Wenn man eine Funktion in die Zonen-Controller verlagern kann, wird man das tun.« Die zweite Bausteinklasse, die leistungsstärkeren Zonen-Controller, sind die ersten Controller mit Applikations-Layer, »also findet hier eine Trennung zwischen Software und Hardware statt, sodass Software-Updates möglich sind«, erklärt Hartung. Auch in diesem Zusammenhang weist er darauf hin, dass der OEM versuchen wird, alles von den Zonen-Controllern in die Vehicle-Controller zu bringen, denn auch bei den Zonen-Controller spielen Regularien noch eine wichtige Rolle. Im leistungsstärksten Vehicle-Controller sind wiederum genau die Funktionalitäten integriert, die regelmäßig upgedatet werden. Hartung: »Es gibt viele Funktionen, die sich über die Lebenszeit ändern, und dementsprechend ist hier der Software-Stack komplett entkoppelt.«
Die Automobilindustrie ist »anders«
Aus der Sicht von Hartung muss die Halbleiterindustrie bei der Automobilindustrie einige Besonderheiten beachten. Dazu zählt er beispielsweise die Tatsache, dass ein Fahrzeug tausende Funktionen aufweist, die hochgradig interdependent sind; dementsprechend sei es wichtig, dass das Gesamtsystem im Auge behalten wird. Eine weitere Besonderheit: Die Supply-Chain im Automotive-Segment umfasst Tausende von Komponenten, und dementsprechend ist eine Resilienz besonders schwierig zu erreichen. Aber: »Ohne sie besteht ein großes Risiko«, Hartung weiter. Und auch wenn sich die OEMs eine Second oder Third Source wünschen, wollen sie gleichzeitig die Autoindustrie-fähigen Produkte, die sehr leistungsfähig sind, und »dafür gibt es oft keine Second Source«, erklärt Hartung.
Dazu kommt im Automobilbereich noch der Safety-Aspekt, alles soll zu 100 Prozent »safe« sein. Hartung: »Gleichzeitig wollen wir aber eine extrem hohe Rechenleistung – man sieht, es müssen immer Kompromisse geschlossen werden.« Auch die Skalierbarkeit ist ein Problem, denn OEMs liefern ganz unterschiedliche Fahrzeuge an ihre Kunden aus. In Kombination mit der Tatsache, dass die Anzahl der produzierten Fahrzeuge begrenzt ist, führt das zwangsläufig dazu, dass die Stückzahl derselben Halbleiter durchaus begrenzt ist, wobei Hartung gleichzeitig betont, dass es durchaus ein Fehler der Halbleiterindustrie wäre, wenn sie die Stückzahlen der Automobilindustrie unterschätzen würde.
Hartung weiter: »Wir müssen aber eine Skalierbarkeit erreichen, die wir typischerweise im Bereich der Consumer-Elektronik nutzen, und das Ganze dann eben auch noch in Kombination mit Safety und Security und der Tatsache, dass ein Auto in einer rauen Umgebung zum Einsatz kommt, denn es fährt auf der Straße, es gibt viele Vibrationen, hohe Temperaturen, jede Art von Schmutz, und auch dann muss die Elektronik funktionieren.«
Also braucht die Automobilindustrie andere Lösungsansätze
Hartung ist überzeugt, dass es eine Möglichkeit gibt, wie die Skalierung für die Automotive-Industrie erreicht werden kann und wie diese Komponenten auch noch auf unterschiedliche Anforderungen der verschiedenen OEMs zugeschnitten werden können: Chiplets.
Der klassische Weg der Integration erfolgt über die Leiterplatte, auf die viele Halbleiter gesetzt werden. Das habe den großen Vorteil der Flexibilität und dass die Technologie bewährt ist. Problem dabei ist nur, dass es auf der Leiterplatte beispielsweise Einschränkungen hinsichtlich der Interconnect-Bandbreite und der Komplexität gibt, von der begrenzten Fläche ganz abgesehen. Hartung: »Wir bekommen aus diesen Leiterplatten nicht die Leistung heraus, die wir gerne hätten.« SoCs im Gegenzug bringen zwar eine hervorragende Leistung, ermöglichen eine extrem dichte Integration und zeichnen sich durch eine hochgradige Effizienz aus, aber: Sie sind teuer zu produzieren, die Time to Market ist auch nicht ganz unproblematisch, die R&D-Kosten sind sehr hoch, und dann können sie zwar noch zu viel der gewünschten Leistung erbringen, die aber in jedem Fall – also auch wenn man sie nicht braucht – bezahlt werden müssen, und was passiert, wenn eine Funktion fehlt?
Dass ein OEM sein eigenes auf seine Wünsche zugeschnittenes SoC entwickelt, hält Hartung für nicht realisierbar, denn dafür fehlen dem OEM typischerweise die Stückzahlen. Hartung: »Die ganze Industrie produziert zirka 80 Mio. Fahrzeuge, das heißt, es gibt gar nicht das Volumen, um so einen Baustein zu entwickeln. Eine mögliche Lösung: Wir können Chiplets machen, sie können insbesondere für den Automotive-Markt die bessere Wahl sein, denn wir können damit die Funktionalität von SoCs und speziellen Komponenten zusammenbringen und diese mit High-Speed-Interconnect integrieren. Damit erhalten wir Möglichkeiten, die wir vorher nicht hatten.«