Viele Regionen weltweit hat eigene Chips-Acts initiiert, um ihre Halbleiterversorgung zu sichern. Aus gutem Grund, wie Thierry Breton, European Commissioner for Internal Market, in seiner Eröffnungsrede des diesjährigen ITF World 2023 (Imec Technology Forum) klar machte.
Halbleiter sind sozusagen die Dampfmaschine für die Transformation unserer Gesellschaft«, so Breton. Er erklärt weiter, dass jeder sich an die geopolitischen Realitäten anpassen muss, jedem muss klar sein, dass derzeitige Abhängigkeiten »als Druckmittel gegen unsere eigenen Interessen genutzt werden können«, weil das ja schon passiert sei. Andere Regionen insbesondere die Vereinigten Staaten, Korea, Japan aber auch China investieren stark, um die Supply-Chain und Produktionskapazitäten aufzubauen. Dasselbe gelte für Europa, und das scheint in dem Fall allgemeiner Konsens innerhalb der europäischen Union zu sein, denn Breton betont, dass der europäische Chips-Act im Februar 2022 vorgelegt und nach nur 13 Monaten Verhandlungen verabschiedet wurde, »das ist eine Rekordzeit«, so Breton.
Er betont aber auch, dass es bei dem europäischen Chips-Act nicht darum gehe, Europa abzuschotten, sondern eine Industriepolitik zu entwickeln, die die Resilienz von Europa im Halbleiterbereich sichert. Das heißt für ihn auch, dass bei den derzeitigen geopolitischen Gegebenheiten, eine Zusammenarbeit mit Partnern sogar noch wichtiger wird, Partnerschaften könnten aber nur funktionieren, wenn sie auf gegenseitigen Stärken basieren, nicht auf Schwächen.
Die Besten der Besten müssen zusammenarbeiten
Luc Van den hove, President und CEO vom Imec, ist überzeugt, dass es derzeit mehr denn je Gründe dafür gibt, dass die verschiedensten Disziplinen zusammenarbeiten, denn damit sei gewährleistet, dass auch Außergewöhnliches erreicht wird. Als Beispiel verweist er auf die Mondlandung, die nur geglückt ist, weil hier eben auch ganz viele verschiedene Disziplinen an einem Strang gezogen haben. Van den hove: »Diese Art von ›Moonshot Thinking‹ wird gerade jetzt dringend benötigt, denn derzeit muss die Welt damit zurechtkommen, dass sich viele Krisen gleichzeitig überlagern.« In diesem Zusammenhang verweist er zum Beispiel auf langfristige Probleme wie die Alterung der Gesellschaften, auf den Klimawandel mit neuen Problemen wie Wassermangel, aber auch auf kurzfristig aufgetretene Krisen wie Covid sowie geopolitische Instabilitäten.
»Ich bin überzeugt, dass tieftechnische Innovationen essenziell sind, um zumindest einige dieser Probleme zu lösen«, so Van den hove weiter. Dafür sind seiner Meinung nach aber extrem komplexe Systeme notwendig, wobei er überzeugt ist, dass die Halbleitertechnik helfen kann, dieses exponentielle Wachstum auf der Systemkomplexität in den Griff zu bekommen.
Die Mondlandung unserer Zeit
Nachhaltigkeit – jede Industrie brauche eine solide Nachhaltigkeitsstrategie. Van den hove betont: »Ich bin der absolut felsenfesten Überzeugung, um dieses Problem zu adressieren, müssen wir an einem Strang ziehen. Regierungen und Unternehmen bündeln ihre Kräfte, um die Zusagen zum Pariser Abkommen zu erfüllen. Und Halbleiter sind im Zentrum der Innovation. Ich bin überzeugt, dass die Halbleiterindustrie als Schwungrad für die Transformation hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft dienen wird.« Er ist überzeugt, dass SDGs (Sustainable Development Goals, Ziele für eine nachhaltige Entwicklung) ganz klar der Mondflug unserer Zeit sind und dass »fortschrittliche disruptive Halbleitertechnologien die Rakete sind, die uns vielleicht dahin bringt«.
In diesem Zusammenhang verweist er aber ebenfalls auf die extrem komplexe Herausforderung, die wiederum extrem komplexe Systemlösungen benötigt. Das heißt für ihn, dass Wissenschaft und Industrie zusammenarbeiten müssen. Seine Idee dahinter verdeutlicht Van den hove am Beispiel der Automobilindustrie. »Im Bereich der Mobilität müssen Lösungen gefunden werden, die für jeden nachhaltig, sicher und bezahlbar sind«, so Van den hove weiter. Gar nicht so einfach, denn um beispielsweise ein Fahrzeug vom Autonomie-Level 1-2 auf Level 5 zu bringen, muss die Rechenleistung extrem gesteigert werden. »Wenn man von heutigen ADAS-Systemen schrittweise zum automatisierten Fahren übergeht, steigt der Bedarf an Rechenleistung exponentiell an.
Richtung der Performance von Supercomputern«, so Van der hove. Das ist schon nicht trivial, beim Fahrzeug kommt aber noch die zunehmende Elektrifizierung hinzu, sodass auch höchste Anforderungen an die Energieeffizienz bestehen. Van den hove: »Zwischen Level 1-2 und Level 4-5 könnte die Leistungsaufnahme explodieren und bis zu einem Drittel der Batteriekapazität betragen. Damit ist klar, dass wir deutlich leistungsfähigere Technologien benötigen.« Wird heute in der Automobilindustrie für Hochleistungshalbleiter typischerweise auf komplexe monolithische Designs mit modernsten Prozessen gesetzt, glaubt Van den hove, dass dieser Ansatz in Zukunft nicht mehr funktioniert, denn die Entwicklungskosten für diese Hochleistungshalbleiter mit kleinsten Strukturen steigen deutlich, das »können sich nur wirklich die größten Märkte leisten«, so Van den hove. Und das gilt nicht für die Automobilindustrie, auch wenn der Halbleiteranteil im Fahrzeug deutlich steigt, von 4 Prozent im Jahr 2019 auf 20 Prozent im Jahr 2030, aber die Anzahl der produzierten Fahrzeuge weltweit wächst nicht sonderlich.
Chiplets bringen die notwendige Flexibilität
Also müsse ein Weg gefunden werden, mit dem die Designs flexibler werden, sodass sie einen größeren Bereich im Automotive-Markt abdecken können. Aus der Sicht von Van den hove bietet sich hierfür ein Chiplet-basiertes Design an, bei dem das gesamte Design in kleinere Stück von Einzelhalbleiter aufgebrochen wird, die dann mithilfe von fortschrittlichen heterogenen Integrationstechniken verbunden werden. Van den hove: »Dieser Ansatz hat den Vorteil, dass er flexibler ist, dass IP wiederverwendet werden kann, dass die Fertigungsausbeute sowie die Zuverlässigkeit steigt und das Ganze auch noch zu vertretbaren Kosten realisiert werden kann. Damit lässt sich problemlos sowohl eine High-End- als auch eine Low-End-Konfiguration realisieren, ohne dass der ganze Chip komplett neu designt werden muss.« Und nachdem das Imec die Idee der Zusammenarbeit wirklich ernst nimmt, hat das Forschungszentrum auch eine neue Initiative gestartet, um alle Beteiligten im Automotive-Bereich entlang der Wertschöpfungskette zusammenzubringen, um hier einen gemeinsamen Ansatz zu finden.