Auf dem Imec Technology Forum (ITF) 2023 wurde deutlich, dass die Automotive-Industrie durchaus Interesse zeigt, eng mit der Halbleiterindustrie zusammenzuarbeiten – aus gutem Grund: Das »Gehirn« des Fahrzeugs muss höchste Anforderungen erfüllen.
Vom »Gehirn« des Fahrzeugs spricht Dr. Nikolai Ardey, Executive Director von Volkswagen, in seinem Vortrag auf dem ITF 2023. Zunächst betont er, wie wichtig die Flexibilität der Hardware ist, und untermauert dies damit, dass sich die ML-Modelle stetig weiterentwickelt haben und die Hardware der Entwicklung folgen können muss. Ardey: »Wir haben mit CNNs angefangen, dann kamen die Transformer und in Zukunft sind es vielleicht die GNNs.« (GNN: Graph Neural Network). Natürlich habe sich auch viel bei der darunterliegenden Hardware für Machine Learning getan; angefangen wurde mit CPUs, dann wurden GPUs eingesetzt und jetzt ASICs. Ardey: »Die CPUs sind flexibel, aber nicht performant genug, die GPUs sind zwar leistungsstärker, aber nicht effizient genug, weil die Leistungsaufnahme durch den Datentransfer zu hoch ist.«
Der dann erfolgte Wechsel zu ASICs, bei denen der Datenpfad festverdrahtet für die immer populärer werdenden CNNs optimiert war, hatte zwar effiziente Komponenten zur Folge, doch die Flexibilität blieb auf der Strecke. Denn auch wenn die ASICs ständig weiter verbessert wurden, egal wie gut sie waren, »es gab immer ein Forschungspapier, das eine neue Ära eingeläutet hat, wodurch diese ASICs obsolet wurden«, so Ardey weiter. In diesem Zusammenhang verweist er auf ein 2017 veröffentlichtes Paper, das das Ankommen von Transformern angekündigte. Ardey erklärt: »Transformer benötigen eine vollständig andere Rechenarchitektur als CNNs. Und das wäre auch bei den eventuell in Zukunft genutzten GNNs der Fall.«
Die Automobilindustrie benötige eine Hardware, die flexibel wie eine CPU und performant wie eine GPU ist. Denn gerade der Aspekt der Rechenleistung sei wichtig, damit auch größere Maschinenlern-Algorithmen verarbeitet werden können. Ardey: »Zur Verarbeitung aller Sensordaten, die wir in einem Auto aufnehmen, benötigen wir eine enorm hohe Rechenleistung. Gleichzeitig müssen sie so effizient sein wie ein ASIC, damit das Energiebudget im Fahrzeug eingehalten werden kann.«
Aus seiner Sicht sind derzeit für die Automobilindustrie drei vielversprechende Trends in der Halbleiterindustrie sichtbar. Dazu zählt er einerseits die Anstrengung, einen flexibleren und effizienteren Datenfluss zu realisieren. Denn mit kleineren Strukturen wird die Verdrahtung zum Problem, sodass es immer mehr Taktzyklen benötigt, damit die Daten von einer Seite eines großen IC auf die andere Seite transferiert werden können. Die nächste Hardware-Generation müsse also kreative Wege finden, diese Einschränkungen auszublenden, und »das natürlich so, dass die Softwareprogrammierer auch zufrieden sind«, so Ardey weiter.
Für vielversprechend hält er den Ansatz, den Startups bereits verfolgen: ein Design eines generischen Datenflows, bei dem der Chip als großes Netz von kleinen Kacheln organisiert ist und jede Kachel Daten zu seinen Nachbarn über Tausende von diesen kurzen Leitungen schicken kann und das Ganze dann noch vollständig programmierbar ist. Der zweite Trend betrifft eine flexiblere und effizientere Rechenarchitektur. KI laufe schlussendlich immer auf Multiplikationen hinaus, das ist nichts Neues. Heute seien viele Werte der Matrix 0, und der Großteil des Rests ist nahe 0. Dementsprechend müsse die Hardware der zukünftigen Generation in der Lage sein, automatisch diese Nullen zu erkennen und Sparsity-Techniken zu nutzen und gleichzeitig das erforderliche Mindestmaß an Präzision on-the-fly einzustellen, während die Berechnung läuft.
Jetzt gehe es erst einmal darum, dass die Automobilindustrie und die Halbleiterindustrie diese Trends diskutieren, und wenn man sich dann darauf einigt, dass diese beiden Trends wichtig sind, dann wäre seiner Meinung nach die zugrunde liegende Hauptrichtung bei der nächsten Hardwaregeneration in gewisser Weise festgelegt. Beim dritten Trend geht es ausschließlich um Software. Ardey erklärt weiter: »Mit einem programmierbaren Datenfluss und einer flexiblen, leistungsstarken und effizienten Recheneinheit muss es möglich sein, die Hardware über OTA zu aktualisieren, um sie an zukünftige Software anzupassen.«
Unterschiedliche Entwicklungszeiten sind ein Problem
In der Automobilbranche dauert die Time to Market für eine neue Architekturgeneration mit einem neuen Industrialisierungsprozess fünf bis sieben Jahre. »In diesem Zeitraum sind allein auf der Seite der ML-Ansätze wirklich unglaubliche Weiterentwicklungen abgelaufen. Es ist also nahezu unmöglich, heute schon zu wissen, welche Weiterentwicklungen in diesem Bereich am Ende dieser Dekade zum Tragen kommen. Damit ist klar, dass wir ziemlich schwimmen, wenn wir die nächste Generation von Hardware angehen.
Deshalb ist es mehr als wichtig, dass wir zusammenarbeiten und den Innovationsprozess verkürzen«, so Ardey weiter. Neben diesem verkürzten Innovationsprozess, den er für den wichtigsten Grund einer Zusammenarbeit hält, gibt es seiner Meinung nach noch weitere Vorteile wie eine optimierte Integration, eine kundenspezifische Anpassung, aber natürlich auch Kosteneffizienz und natürlich auch den Safety-Aspekt.
Der Bedarf an Halbleitern ist extrem hoch
Auch Dr. Stefan Hartung, Chairman of the Board of Management bei Robert Bosch, betont in seinem Vortrag auf dem ITF 2023, dass Halbleiter ein wichtiges Schlüsselelement für alle Innovationen im Automotive-Bereich sind. War die Mobilitätsindustrie früher eine mechanische Industrie, lege heute der Schwerpunkt auf Software und Elektronik. Hartung: »Es ist klar, dass die Produktdifferenzierung stärker denn je auf der Funktionalität der Halbleiter basiert, die im Hintergrund läuft,« so Hartung. Drei herrschende Trends im Automobilbereich sind hierfür besondere Treiber. Software-Defined Vehicle, Elektrifizierung und automatisiertes Fahren.
Mit dem Software-Defined Vehicle stehe die Software am Anfang der Entwicklung, und wenn entschieden ist, welche Funktionen realisiert werden sollen, werden Rückschlüsse auf die zugrundeliegende Hardware gezogen. Auch Hartung betont: »Es gibt einen sehr hohen Bedarf an Rechenleistung, weil immer mehr Software laufen muss.«
Für ihn ist es absehbar, dass in Zukunft die leistungsfähigsten Halbleiter nicht mehr in der Spielekonsole sitzen, sondern im Fahrzeug. Die Elektrifizierung wiederum führe zum Bedarf von Leistungshalbeitern und zwar nicht nur Silizium-basiert, sondern auch Wide-band-Gap-basiert. Hartung ist überzeugt: SiC und GaN werden in Zukunft viel stärker zum Einsatz kommen. Und automatisiertes Fahren erhöht beispielsweise den Bedarf an Sensoren und Aktoren. Er weist noch auf weitere Beispiele hin, die verdeutlichen dass der Bedarf an vielen verschiedenen Halbleiterkomponenten steigt, so dass er abschließend betont: »Es sollte sich also jeder im Klaren sein, dass die Halbleiterindustrie gebraucht wird.«