Das imec feiert Geburtstag. Luc Van den hove, President und CEO vom imec, ist überzeugt, dass die gelebte Diversität entscheidend zum Erfolg vom imec beigetragen haben und dass trotz regionaler Chips-Acts auch weiterhin eine Zusammenarbeit mit anderen Regionen möglich ist.
Markt&Technik: Das imec hat gerade seinen 40. Geburtstag gefeiert. Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Meilensteine für das imec?
Luc Van den hove: Da gibt es einige, zum Beispiel 1992 die Einführung des imec Industrial Affiliation Program, kurz: IIAP. Die Idee hinter diesem Programm bestand darin, Kosten, Talente und Risiken zu teilen. Und: Das Programm ist mit einer guten Regelung, wie das dazugehörige IP geteilt wird, ausgestattet. Seit damals hat das imec mehrere dieser IIAPs initiiert, die sich zu einer erfolgreichen Form der internationalen Zusammenarbeit in Forschung und Design entwickelt haben – und zwar neben unseren spezifischen bilateralen Kooperationen. Diese Form der Zusammenarbeit für vorwettbewerbliche F&E ist nach wie vor einer der Eckpfeiler des anhaltenden Erfolgs von imec.
Aber auch die Eröffnung des 300-mm-Reinraums im Jahr 2004 zählt dazu, denn damit entstand eine der fortschrittlichsten Forschungseinrichtungen der Welt für die Skalierung der IC-Technologie. Die Investition in einen 300-mm-Reinraum in Kombination mit dem Beginn unseres EUV-Lithografie-Programms waren wichtige Entscheidungen, die es uns ermöglichten, die Roadmap im Halbleitersegment weiter voranzutreiben. Gleichzeitig erhielt das gesamte Halbleiter-Ökosystem dadurch Zugang zu den modernsten Tools, die zur Erforschung neuer Transistor- und Systemkonzepte benötigt werden. Dieser Reinraum hat es uns auch ermöglicht, mit den weltweit führenden Unternehmen wie ASML, Intel, Samsung, TSMC und vielen anderen zusammenzuarbeiten. Er war und ist immer noch die ideale Umgebung für eine kosten- und zeiteffiziente Halbleiterforschung rund um Themen wie Materialien, Prozessschritte, -module und neue Transistorkonzepte für CMOS-Technologien.
Zu den Meilensteinen zähle ich auch die 2015 erfolgte Fusion mit iMinds, einem strategischen Forschungszentrum, das sich auf Anwendungen konzentriert. Vor der Fusion lag unser Schwerpunkt auf der Skalierungstechnologie. Wir waren aber der Überzeugung, dass die Roadmap noch viel mehr zu bieten hat, und wollten uns auch die Möglichkeiten ansehen, die die Halbleitertechnologie für andere Branchen wie das Gesundheitswesen oder die Konnektivität bieten könnte. Durch den Zusammenschluss mit iMinds konnten wir uns diesen Branchen annähern und dadurch auch verstehen, wie die Technologie optimiert werden kann, um Innovationen in andere Bereiche zu bringen.
Ich würde aber auch die internationale Anerkennung der Halbleiterindustrie aufgrund der Chip-Knappheit als Meilenstein anführen. Die Lieferengpässe haben dazu geführt, dass wirklich klar wurde, welche entscheidende Rolle die Chip-Technologie spielt. Die Folge: Verschiedene Chips Acts wurden initiiert, und auch außerhalb unserer Branche wurde die entscheidende Rolle vom imec in der Halbleiterindustrie anerkannt. Vielleicht kann man diese Entwicklung heute noch nicht als Meilenstein für das imec bezeichnen, aber dadurch haben wir enorme Veränderungen erlebt und arbeiten seitdem auf neue Möglichkeiten und neue Kapitel für das imec hin. Ich bin mir sicher, dass in einigen Jahren, wenn wir vielleicht unser 50-jähriges Jubiläum feiern, diese Entwicklung als einer der Meilensteine in der Geschichte von imec anerkannt werden wird.
Das imec hat schon sehr früh »Vielfalt« als absoluten Vorteil für das Forschungszentrum propagiert. Wie viele Nationalitäten sind derzeit am imec tätig und welche Vorteile bringt das?
Derzeit arbeiten mehr als 100 verschiedene Nationalitäten am imec zusammen. Und es stimmt: Die Vielfalt in unserer Belegschaft ist ein wesentlicher Bestandteil von imec. Wobei sich die Vielfalt nicht nur auf die unterschiedlichen Nationalitäten bezieht, sondern auch auf der Ebene des Fachwissens gilt. Unsere multidisziplinäre Belegschaft vereint unterschiedliche Perspektiven, Meinungen und Ansätze, die eine Vielzahl von verschiedenen Themen beleuchten. Diese Art von Vielfalt ist ein Garant für Kreativität und Innovation. Außerdem prägt die Vielfalt bei imec die Art und Weise, wie wir verhandeln und zusammenarbeiten. Unsere Fähigkeit, unterschiedliche Kulturen zu verstehen und zu respektieren, ist entscheidend für die erfolgreiche Durchführung großer, internationaler Projekte. Beim imec ist Vielfalt nicht nur ein Konzept – sie ist Teil unserer täglichen Realität.
Lassen sich die Vorteile etwas konkretisieren?
Ja, klar. Viele der Deep-Tech-Innovationen im Gesundheitsbereich sind ein perfektes Beispiel dafür, wie sich verschiedene Disziplinen gegenseitig befruchten. Nehmen Sie zum Beispiel unsere Arbeit an neuronalen Sonden, wo Biologie und Elektronik wunderbar zusammenkommen. Oder schauen Sie sich die breite Palette von Spin-offs an, die imec ins Leben gerufen hat; diese Unternehmen entwickeln Lösungen für den Energiebereich, die Industrie, das Infotainment, die Sensorik, Bildgebung etc., und alle bauen auf unserer Halbleiterkompetenz auf. Der Austausch von Fachwissen kann auch zu überraschenden neuen Implementierungen von Prozessen, Werkzeugen oder Materialien führen. So hat das imec vor Kurzem Perowskit, ein Material, das normalerweise in Solarzellen verwendet wird, zur Entwicklung von Perowskit-LEDs eingesetzt, die die weit verbreiteten OLEDs in Hinblick auf Leistungsfähigkeit übertreffen könnten. Wenn wir alle in Silos arbeiten würden, würden wir immer nur mit denjenigen kommunizieren, die dieselben Ideen haben wie wir, das bringt wenig Innovationen.
Es gibt immer mehr Menschen auf der Welt, die die Vielfalt in ihrer eigenen Region bzw. ihrem eigenen Land ablehnen. Ist dies oder könnte dies zu einem Problem für das imec werden?
Ich denke, nicht; wir fördern ein integratives Umfeld, in dem sich jeder wertgeschätzt und respektiert fühlt. Wie bereits gesagt ermöglicht uns die Vielfalt, komplexe Herausforderungen zu bewältigen, neue Ideen zu erforschen und unseren Partnern letztendlich bessere Lösungen zu liefern. Es ist eine bewusste Anstrengung, unsere Werte hochzuhalten, ein Umfeld zu schaffen, das offen für Feedback ist, bestehende Herausforderungen durch Schulungen anzugehen, KPIs und konkrete Aktionspläne aufzustellen und vieles mehr. Wir sind davon überzeugt, dass diese Unternehmenskultur die richtigen Talente anzieht und beim imec hält, was letztendlich wiederum einen Multiplikatoreffekt erzeugt.
Wie Sie bereits gesagt haben, erfährt die Halbleiterindustrie weltweit eine Aufmerksamkeit, wie sie bisher noch nicht gegeben war. Andererseits findet angesichts der geopolitischen Lage eine noch nie dagewesene Deglobalisierung statt. Wie beurteilen Sie die Situation?
Die verschiedenen Chips-Acts werden manchmal als protektionistischer Kurs gesehen, aber so kontraintuitiv es klingen mag, ich glaube nicht, dass sie es sind. Einerseits geben sie den Regionen die Mittel an die Hand, ihre eigenen Stärken zu stärken. Andererseits erhöhen die Chips-Acts aber auch die internationale Relevanz der Regionen. Sie sind damit ein Anreiz, sich zu öffnen, Kräfte zu bündeln und grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu betreiben. Denn eines ist ganz klar: Wachstum erfordert internationale Zusammenarbeit – und wichtige geopolitische und wirtschaftliche Regionen wie die EU, Japan und die USA haben das verstanden und handeln entsprechend.
Sie betonen seit Jahren, dass die Halbleitertechnologie zur Lösung wichtiger gesellschaftlicher Probleme wie der Überalterung oder dem Klimawandel beitragen kann. Bislang sind die Probleme noch nicht gelöst – woran hapert es?
Die Gesellschaft wird immer vor Herausforderungen stehen, aber ich würde auf keinen Fall sagen, dass wir keine Fortschritte gemacht haben. Die Pandemie war ein perfektes Beispiel dafür, wie der technologische Fortschritt die Gesellschaft in die Lage versetzt hat, sich schnell den Widrigkeiten zu stellen. Hätten Wissenschaft und Technik nicht die Fortschritte gemacht, die wir gerade in den letzten zehn Jahren erlebt haben, wäre das Ergebnis vielleicht ganz anders ausgefallen. Ich bin zuversichtlich, dass wir diesem Trend weiter folgen werden.
Ein weiteres Beispiel ist die KI, sie hat gerade im letzten Jahr einen großen Sprung in unser Leben gemacht und außergewöhnliche Möglichkeiten eröffnet. KI-gesteuerte Fortschritte verändern das Gesundheitswesen, bringen neue Sicherheitsfunktionen in Autos und ermöglichen schnellere Problemlösungen.
Und auch im Bereich Nachhaltigkeit passiert viel. So hat die Halbleiterindustrie ihr Engagement gezeigt, um »Net Zero« zu werden, dafür bündeln viele Unternehmen ihre Anstrengungen und ihr Know-how. Ein Beispiel dafür ist das SSTS-Programm vom imec, dem sich bereits wichtige Akteure der Halbleiterindustrie angeschlossen haben und mit dem gemeinsam der IC-Herstellungsprozess bewertet und verbessert wird.
Woran es hapert? Ich würde sagen: an der Zeit. Die Technologie kann viele der gesellschaftlichen Herausforderungen, vor denen wir stehen, lösen, aber es braucht Zeit, um es richtig zu machen. Geht es beispielsweise um Ansätze im Gesundheitswesen, muss man ganz sicher sein, dass diese Systeme und Ansätze sicher und erschwinglich sind und den notwendigen rechtlichen Vorgaben entsprechen. Aber auch hier sehen wir Möglichkeiten für KI, die uns helfen kann, diese Prozesse zu beschleunigen.
Und wir beim imec sind fest entschlossen, auch in den kommenden Jahren an der Spitze der Halbleiterinnovation zu stehen – und zwar auf Basis von Zusammenarbeit als unserem wichtigsten Werkzeug. Nur durch gemeinsame Anstrengungen können wir den Grundstein für Lösungen legen, die die aktuellen Herausforderungen adressieren, angefangen beim Klimawandel, über Mobilitätsfragen bis hin zum wachsenden Druck auf unsere Gesundheitssysteme.
Wenn Sie zehn Jahre in die Zukunft blicken, wo wird das imec dann stehen?
Zunächst einmal möchte ich betonen, wie unglaublich stolz ich bereits heute auf die Organisation bin, die das imec geworden ist. Und in Hinblick auf die Zukunft, schwer vorherzusagen – 1984 hätte sich niemand vorstellen können, dass das imec einmal das sein würde, was es heute ist. Aber in einem Punkt bin ich sicher: Das imec wird weiterhin eine zentrale Rolle bei der Gestaltung der Zukunft der Technologie spielen und positive Auswirkungen auf die Gesellschaft haben. Etwa alle zehn Jahre treten wir in eine neue Phase ein, wenn man sich die Meilensteine der Vergangenheit ansieht.
Jetzt, wieder zehn Jahre später, stehen wir an der Schwelle zu einer neuen Phase. Es ist unser Bestreben, eine wichtige Rolle im europäischen Chips-Act zu übernehmen und gleichzeitig einen aktiven Beitrag zu den weltweiten Chips-Act-Initiativen zu leisten, da, wie bereits gesagt, eine globale Zusammenarbeit unerlässlich ist, um das Beste der Besten zu vereinen. Und das ist auch wirklich notwendig, um die noch nie dagewesenen Herausforderungen im Bereich Forschung und Entwicklung zu bewältigen. Diese Chips-Acts werden es uns ermöglichen, unsere Infrastruktur weiter auszubauen, was zu einer weiteren Internationalisierung führen wird, indem wir mehr internationale F&E-Standorte einrichten, die unsere Aktivitäten hier in Flandern ergänzen und stärken.
Dementsprechend gehe ich davon aus, dass wir unseren Partnern weiterhin einen Mehrwert bieten und folglich die Zusammenarbeit mit Industriepartnern, akademischen Einrichtungen und staatlichen Stellen vertiefen und ausbauen werden. Diese Kooperationen werden es uns ermöglichen, die Grenzen des Möglichen in Bereichen wie fortschrittliche Halbleitertechnologien, künstliche Intelligenz, Gesundheitswesen, Energie und Nachhaltigkeit weiter zu verschieben. Und da wir weiterhin in Talente investieren und eine Kultur der Vielfalt und Integration fördern, hoffe ich, dass imec ein noch besserer Arbeitsplatz werden wird, als es bereits ist.