Nie war es so offensichtlich wie heute

Obsoleszenzmanagement lohnt sich

11. Oktober 2021, 11:21 Uhr | Heinz Arnold
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"Grundlegende Änderungen im Markt..."

Einen weiteren Aspekt spricht Stefanie Kölbl an: »Es ändert sich im Moment etwas Grundlegendes im Markt, weil die Herstellerlandschaft aufgrund zahlreicher Übernahmen und Zusammenschlüsse deutlich eingeschränkt wird. Da ist erst recht die gute Verbindung zu den Herstellern gefragt, um in ihrer Priorität möglichst hochzuklettern.« Chancen dazu gebe es durchaus, denn wenn es um Medizintechnik, die Energietechnik oder allgemein den Erhalt ganzer Infrastrukturen geht, hätten auch die großen Hersteller ein Interesse daran, die Abnehmer vergleichsweise geringer Stückzahlen in ihrer Priorität sehr hochzusetzen, »da haben wir bereits sehr gute Erfahrungen gemacht. Wir haben zwar nahezu keine Marktmacht, aber durchaus Chancen!« Voraussetzung sei aber wiederum, die Karten auf den Tisch zu legen – sonst weiß der Hersteller ja gar nicht, wie hoch die Wichtigkeit eines Projekts einzuordnen ist – sowie auch mit den Distis an einem Tisch zu sitzen.

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Björn Bartels, Amsys: »Wer das vor Corona verstanden hat, dem geht es jetzt besser. Ich hoffe nur, dass dies allen noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Dann hätte die Krise etwas Positives angestoßen.«
© Electronic Direct

Doch was ist zu tun, wenn es keine Komponenten gibt?

»Es ist ja kein Geheimnis, dass es derzeit drunter und drüber geht, teilweise herrscht die blanke Panik«, sagt Tosberg. Und wenn ein gewünschtes Bauteil für ein EMS-Unternehmen eben nicht aufzutreiben ist, was bleibt zu tun? »So schnell wie möglich eine Alternative finden, die vom Kunden freigegeben wird«, antwortet Tosberg, was zugegebenermaßen in bestimmten Sektoren wie Medizintechnik und Automotive sehr schwierig sei. Alternativ seien aber auch Sonderfreigaben möglich. Eventuelle Restrisiken könnten durchaus eingegrenzt werden, etwa indem genau dokumentiert werde, was von wem wie lange freigegeben war. »Idealerweise legen wir aber von vorneherein mit Kunden Alternativbauteile fest, um hier flexibler zu sein.«

»Jetzt kommt es darauf an, das Ohr ganz nah am Markt zu haben, um sofort reagieren zu können«, sagt Irina Werle. Selbstverständlich käme es darauf an, möglichst frühzeitig mit den Kunden zu kommunizieren, genauso wie mit den Distributoren und Herstellern. »Wenn wir mit Unterstützung der Kunden – das hat bisher hervorragend geklappt – den Distis und Herstellern frühzeitig unsere Bedarfe angeben können, dann sichern sie uns diese Bedarfe zu.« Zudem lege BMK auch Sicherheitslager für Bauelemente an, bei denen es sehr knapp werden könnte; auch hier sei entscheidend, das Ohr am Markt zu haben – »und möglichst schnell „hier“ zu schreien!« Das könne man jedoch nicht für jedes Projekt und jeden Bauelementtyp machen. Jeder Fall liege etwas anders: »Wir müssen individuell entscheiden, wie wir vorgehen. Aufgrund unserer Erfahrung und der guten Kooperation mit Kunden, Distis und Herstellern hat das bisher ganz gut funktioniert.«

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Irina Werle, BKM: »Wenn wir mit Unterstützung der Kunden – das hat bisher hervorragend geklappt – den Distis und Herstellern frühzeitig unsere Bedarfe angeben können, dann sichern sie uns diese Bedarfe zu.«
© BMK

Kim Heinemann, Regional Business Development Central Europe von Digi-Key Electronics Germany, ist sich sicher, den Kunden helfen zu können, zumindest denen, die kleinere und mittlere Stückzahlen benötigen. »Wir haben in unserem Lager 9,8 Mio. Produkte im Wert von weit über 1 Mrd. US Dollar. Der Wert der Bestellungen erreicht 2,1 Mrd. US-Dollar. Weil wir so viele Komponenten wie möglich vorhalten wollen, bauen wir unser Lager erheblich aus. Ab Ende dieses Jahres werden dann 204.000 m2 zusätzlich zur Verfügung stehen. Im neuen Lager arbeiten automatische Fließbänder mit einer Länge von 40 km, 36.000 Aufträge lassen sich dann pro Tag ausliefern.« Das sei erforderlich: »Digi-Key ist 2021 gegenüber dem Vorjahr um 60 Prozent gewachsen, die Zahl der weltweiten Kunden ist um 22 Prozent gestiegen.«

Weil Digi-Key so eng mit Herstellern, Partnern und Kunden zusammenarbeite, habe das Unternehmen schon vor Corona damit gerechnet, dass 2020 ein Rekordjahr wird – und 2019 damit begonnen, für die kommenden 18 Monate einzukaufen. Jetzt werde bereits in Hinblick auf 2023 beschafft.

Gegenüber den Herstellern argumentiert er ähnlich wie Stefanie Kölbl von TQ Embedded: »Unsere Kunden arbeiten an Projekten, die in zwei bis vier Jahren in Stückzahlen gehen. Wir sollten also in der Lage sein, zumindest den Bedarf der Entwickler decken zu können.« Das Argument ziehe offenbar, denn in vielen Fällen stünden dann auch knappe Komponenten in kleineren Stückzahlen zur Verfügung.

Bildet sich wieder ein Blase?
Wer befürchtet, seinen Bedarf bei einer Quelle nicht vollständig zu bekommen, der bestellt sicherheitshalber mal bei mehreren. Keine Allokationsphase, ohne dass sich auf diese Weise eine Blase bildet. Wird es diesmal anders sein? Kim Heinemann von Digi-Key wettet darauf: »Erstens ist der Anstieg des Bedarfs zum großen Teil real. Zweitens werden viele sehr vorsichtig damit umgehen, das Gleiche mehrfach zu bestellen, denn was er bestellt hat, muss er abnehmen und bezahlen.« Das ist die überwiegende Meinung der von Markt&Technik befragten Branchenexperten. Doch Irene Werle von BMK warnt auch vor zu viel Euphorie: »Bei Book-to-Bill-Verhältnissen von 2 bis 2,5, wie wir sie derzeit erleben, dürfte es doch einige Doppelbestellungen geben.« 


  1. Obsoleszenzmanagement lohnt sich
  2. Der freie Markt lockt – und kann eine Alternative sein
  3. "Grundlegende Änderungen im Markt..."

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