Nie war es so offensichtlich wie heute

Obsoleszenzmanagement lohnt sich

11. Oktober 2021, 11:21 Uhr | Heinz Arnold
Diesen Artikel anhören

Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Der freie Markt lockt – und kann eine Alternative sein

Im Moment aber stehen die Anwender vor sehr konkreten und dringenden Problemen. Wie und wo kommen sie an Ware heran? Jetzt schlägt die Stunde der Broker. So manch ein Unternehmen, das bisher eisern die Strategie verfolgte, nur von autorisierten Distributoren zu kaufen, dürfte langsam schwach werden. Das bedeutet auch: Oft bleiben die Herkunft der Komponenten undurchsichtig – was bedeutet, dass die ICs eigentlich gründlich untersucht werden müssten, bevor sie in den Zielsystemen Einsatz finden. Von den Anwendern selbst oder von Drittfirmen, die sich auf solche Analysen spezialisiert haben.

Denn die Knappheit ist eben auch die Stunde der Fälscher. Doch auch der Begriff der Fälschung ist ein dehnbarer. Natürlich gibt es die plumpen Fälschungen, wo mit krimineller Energie die Waren führender Hersteller einfach nachgebaut werden – oft so, dass die gefälschten Produkte ihre vollen Funktionen nicht ausführen können. Aber es gibt auch Firmen, die Geräte ausschlachten und die so gewonnenen „aufgefrischten“ Bauelemente als Originalware verkaufen. Oder es werden Bauelemente angeboten, die vielleicht schon drei bis vier Jahre Lager gesehen haben. Wer dringend knappe Bauelemente benötigt und in Not ist, wird vielleicht hier und da mal ein Auge zudrücken – und das kann schwerwiegende Folgen haben, wenn es dann Ausfälle im Feld nach sich zieht.

Für Rutronik jedenfalls steht fest, dass das Unternehmen grundsätzlich nicht auf dem freien Markt beschafft, wie Andreas Glaser erklärt: »Wenn ein Kunde zu uns kommt und nicht mehr weiter weiß, dann helfen wir notfalls mit den uns bekannten und vertrauenswürdigen Broker-Kontakten. Aber wir garantieren für nichts.«

Heinemann_Kim
Kim Heinemann, DigiKey: »Wir haben besonders Kunden mit Kleinmengen versorgt, um die neuen Projekte und innovativen Entwicklungen zu unterstützen. Jetzt beschaffen wir bereits in Hinblick auf 2023.«
© DigiKey

Dieselbe Strategie verfolgt Digi-Key nach den Worten von Kim Heinemann, Regional Business Development Central Europe: »Digi-Key kauft grundsätzlich nicht bei Brokern zu, sondern ausschließlich bei Herstellern, bei denen Distributionsverträge bestehen. Nach unserer Erfahrung kommt es vor allem auf die durgängige Rückverfolgbarkeit an, sie ist langfristig viel wichtiger als alles andere. Mit DK+ bieten wir den Kunden ein erweitertes Produktportfolio über den Digi-Key Marketplace an. Dabei legen wir Wert darauf, dass sie den Digi-Key-Qualitätsstandards entsprechen. Die Produkte werden über die Digi-Key-Website gekauft und abgerechnet, wobei die Lieferung direkt vom Lieferanten erfolgt.«

»Wenn wir müssen, dann kaufen wir auch auf dem freien Markt nach, obwohl wir eigentlich nur mit freigegebenen Distributoren arbeiten wollen«, sagt Joachim Tosberg. Bisher hätte es dabei aber keine Probleme gegeben. Geprüft werden müsse aber auf jeden Fall. Bisweilen werde die Ware sogar in externe Labore zur Prüfung geben. »Man muss auf jeden Fall auf der Hut sein!« Ungeprüfte Ware dürfe nicht in die Fertigung kommen. Aber er warnt auch: »Wenn alles eskaliert, dann stumpfen die Leute ab und das Risiko steigt!«

Auch Irene Werle hat keine Angst vor dem freien Markt. »Wir sind in Kontakt zu Brokern, die wir gut kennen und die wir geprüft haben.« Sie würden die Bauelemente eingehend testen. BMK selbst führt Röntgentests, Löttests und Funktionstests durch, um sicherzugehen, dass beispielsweise ein Kondensator die geforderten Spezifikationen einhält. »Von den Brokern, mit denen wir zusammenarbeiten, bekommen wir ein „Certificate of Conformity“, selber verfügen wir über Röntgenmaschinen und haben Golden Samples auf Lager.«

Berkemeyer_DrJörg
Jörg Berkemeyer, IHS: »Die Knappheit und der Anstieg der Lieferzeiten geben dem Obsoleszenzmanagement neuen Schub. Die Strategien müssen jetzt auf nominell nicht abgekündigte, aber real nicht verfügbare Bauelemente angewendet werden.«
© Componeers GmbH

Auf die Kommunikation kommt es an

Worauf es derzeit vor allem ankommt, ist die Kommunikation, beispielsweise zwischen den Herstellern, den EMS-Unternehmen, den Distributoren und den Endkunden. Nur wenn das auf einer ehrlichen Ebene gelingt, kann das Ganze funktionieren. Wenn ein OEM stur auf den Verträgen und der Zahlung von Vertragsstrafen besteht, wird es kaum funktionieren. »Kooperation statt Konfrontation lautet die Devise der Stunde. Die Probleme müssen gemeinsam angegangen werden. Die gute Kundenbeziehung ist jetzt alles«, sagt Jörg Berkemeyer. Dass es zusätzliche Kosten verursacht, wenn die Rohstoffpreise und die Preise für die Vorprodukte anziehen, sei eben eine Tatsache und könne nicht von einer Seite ignoriert werden. Auch eine Second Source neu zu qualifizieren kostet Geld. Diese Kosten müssten laut Berkemeyer weitergegeben werden können.

»Selbstverständlich müssen Verträge eingehalten werden – in normalen Zeiten. Aber die Zeiten sind nicht normal«, sagt Irene Werle. Und selbstverständlich gäben die Zulieferer nicht gleich jede Preiserhöhung weiter. Jetzt ginge die Preissteigerungen aber leider über das Maß des Tragbaren hinaus. Glücklicherweise herrsche ein großes Verständnis quer durch die Lieferkette: »Es gibt tatsächlich ein partnerschaftliches Verhältnis.« Das freut auch Stefanie Kölbl: »Früher ging es in erster Linie darum, harte Preisverhandlungen zu führen, und das EMS-Unternehmen war immer der Problemträger. Jetzt gibt es eine konstruktive Zusammenarbeit, vieles wird nachhaltiger, hoffentlich bleibt es länger so, ich bin gespannt!«

»Es ist sehr wichtig, ein gutes Netzwerk über die Lieferkette zu haben, von der Bauteiltechnologie über den Einkauf zu den Lieferanten oder Herstellern. Wenn der Einkauf einen guten Draht zu den Distributoren hat, erfährt man eventuell früher von Problemen in den Auftragseingängen. Dann kann man oft noch rechtzeitig reagieren«, so die Erfahrungen von Tosberg. »Je besser das Verhältnis dieser Player ist, umso besser lassen sich Schwankungen ausgleichen.« Davon ist auch Andreas Glaser überzeugt: »Weil wir mit den Herstellern intensiv reden, erfahren wir teilweise schon sehr früh, bei welchen Bauelementen Vorsicht geboten ist, oft bevor es der Hersteller selber öffentlich macht. Dann können wir früh mit den Kunden gegensteuern.«


  1. Obsoleszenzmanagement lohnt sich
  2. Der freie Markt lockt – und kann eine Alternative sein
  3. "Grundlegende Änderungen im Markt..."

Lesen Sie mehr zum Thema


Das könnte Sie auch interessieren

Jetzt kostenfreie Newsletter bestellen!

Weitere Artikel zu AMSYS GmbH & Co. KG

Weitere Artikel zu Digi-Key Corporation

Weitere Artikel zu BMK Group GmbH & Co. KG

Weitere Artikel zu IHS Inc.

Weitere Artikel zu TQ-Systems GmbH

Weitere Artikel zu RAFI GmbH & Co. KG

Weitere Artikel zu Rutronik Elektronische Bauelemente GmbH