Verfehlte Subventions- und Industriepolitik setzt Chinas Batteriebranche nach Ansicht von Ralf Isermeyer, GF der VRI Batterie Technik, unter Druck. Trotzdem werden die Produktionskapazitäten aufgebaut. Den Zeitplan für die Umsetzung der neuen Batterienovelle im Jahr 2027 nennt er »sportlich«.
Markt&Technik: Herr Isermeyer, Sie waren vor Kurzem in Asien und haben rund ein Dutzend Ihrer Lieferanten und Geschäftspartner besucht. Wie war die Stimmung?
Ralf Isermeyer: Im direkten Vergleich mit der Situation in den Jahren 2021/22 haben sich die Wirtschaftsaktivitäten in der Consumer- und Industrieelektronik deutlich abgekühlt. Sah es Anfang 2023 noch nach einem starken Start ins neue Jahr aus, sind die Einbrüche auf dem Batterie-Marktsektor inzwischen deutlich sichtbar. Durch die schwache Nachfrage aus Amerika und Europa sind bei vielen Lieferanten die Exporte eingebrochen. Die auferlegten Beschränkungen im Technologietransfer durch die Amerikaner haben da natürlich einen Beitrag geleistet. Aber auch die Auswirkungen aus dem heimischen, chinesischen Immobilienmarkt, die nachlassende Kauflaune der Chinesen und die hohe Arbeitslosigkeit bei der jüngeren Bevölkerung haben zu einer Reduzierung der Produktion geführt, auch die Investitionen haben sich spürbar verlangsamt.
Wie spiegeln Ihnen Ihre chinesischen Geschäftspartner diese unbefriedigende Situation wider?
Man bringt deutlich seine Unzufriedenheit zum Ausdruck. Wurde in den vergangenen Jahren nur hinter vorgehaltener Hand und unter vier Augen Unzufriedenheit mit bestimmten Aspekten der Politik unter der aktuellen Staatsführung geäußert, tritt diese Unzufriedenheit nun deutlich offener zu Tage. Die jetzige Führung mache Politik für die Großen des Landes, so der Vorwurf, nicht mehr für die chinesische Wirtschaft und schon gar nicht für die kleineren Unternehmen. Man merkt in diesen Gesprächen durchaus, die Chinesen nehmen Informationen von außerhalb des staatlichen Informationssektors wahr und versuchen entsprechend zu handeln. Konkret heißt das, man plant Fertigungen außerhalb Chinas, um nicht mehr unter die Sanktionen zu fallen. Besonders im Fokus dieser Anstrengungen stehen dabei neue Fertigungsstätten in Vietnam und Malaysia.
In den letzten Jahren hatten sich vor allem chinesische Hersteller als Alternative etwa für Lithium-Ionen-Zellen der Baugröße 18650 oder auch Lithium-Ionen-Pouch-Zellen positioniert. Wie sieht da die aktuelle Situation in China aus?
Aus meiner Sicht haben Chinas staatliche Investitionen in die Lithiumbatterie-Industrie zu einem Überangebot geführt, das gilt speziell für die Baugröße 18650. Eine entsprechende Fertigungslinie erhält man zu moderaten Kosten, entsprechend groß war das Engagement der Firmen. Inzwischen hat das Überangebot dafür gesorgt, dass die Preise massiv unter Druck geraten sind. Das führt dazu, dass kleineren Anbietern inzwischen die Schließung ihrer Unternehmen droht.
Gleichzeitig führt dieser Marktdruck bei Herstellern dazu, dass sie in andere Baugrößen und Technologien investieren. So wird neben den Baugrößen 26650 und 21700 aktuell auch wieder stark in zylindrische Zellen mit Durchmessern von 26, 32 und 46 mm investiert. Auch die Natrium-Ionen-Zelle ist bei einigen Herstellern bereits in der Entwicklung oder im Programm. Mir wurde vonseiten eines Herstellers bereits eine Natrium-Ionen-Zelle in der Bauform 21700 vorgestellt, die er auf Anfrage aus der E-Mobility-Branche entwickelt hat.
Beschränkt sich die von Ihnen beobachtete Marktsituation in China vor allem auf Hersteller mit Fokus auf den Konsumgüter- und Industrieelektronikmarkt oder betrifft das auch Lieferanten, die in den E-Mobility-Markt liefern?
Auf dem chinesischen E-Mobility-Markt herrscht eine massive Preisschlacht, um den rückläufigen Verkaufszahlen entgegenzuwirken. Und das hat aus meiner Sicht auch Auswirkungen auf den Batteriemarkt. So deutet der weiter anhaltende Rückgang der Erzeugerpreise in den letzten Monaten darauf hin, dass einige Batterieunternehmen immer noch die Preise senken, um den Verkauf zu fördern. Natürlich wirkt sich das negativ auf die Gesamtumsätze und die Gewinne der chinesischen Batterieindustrie aus.
Dazu kommt: China baut weiterhin Batteriefabriken, die aus meiner Sicht weit über das Maß hinausgehen, das zur Deckung der inländischen Nachfrage nach Elektroautos und Stromspeichern im Netz erforderlich ist. Das gilt auch für die Anwendungsbereiche der Consumer- und Industrieelektronik. Nach aktuellen Einschätzungen wird die Produktionskapazität in Chinas Batteriefabriken in diesem Jahr voraussichtlich 1500 bis 1700 Gigawattstunden erreichen. Das wäre genug für 22 Millionen Elektrofahrzeuge, mehr als das Doppelte der aktuellen Nachfrage im E-Mobility-Bereich und fast das Dreifache dessen, was in der Consumer- und Industrieelektronik gebraucht wird.
Der Aufschwung chinesischer Hersteller war in den letzten Jahren ja auch verbunden mit dem Ausstieg großer koreanischer und japanischer Hersteller aus bestimmten Batteriezellen. Hat sich das wieder geändert?
Aus meiner Sicht ist es den chinesischen Batterieherstellern inzwischen gelungen, sich komplett von den großen japanischen und koreanischen Herstellern zu lösen. Erwartete man früher Neuheiten im Batteriesektor von den großen japanischen und koreanischen Herstellern, sind es heute die chinesischen Hersteller, die immer öfter neue Batterien ankündigen, sei es mit einer längeren Zyklenfestigkeit, höheren Kapazitäten oder einem breiteren Temperaturbereich. Dazu kommen noch neue, marktfähige Technologien wie die Natrium-Ionen-Batterie. Die Geschwindigkeit, mit der hier Neuerungen vorgestellt werden, ist für die Batteriebranche schon atemberaubend.
Welche konkreten Auswirkungen haben die von Ihnen beschriebenen Veränderungen auf Kunden in Deutschland? Sinken die Preise, verkürzen sich die Lieferzeiten weiter?
Mittel- bis langfristig könnte die Europäische Union bis 2035 im Bereich Lithium-Ionen-Batterien und Brennstoffzellen von China genauso abhängig werden, wie sie es vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine in Bezug auf Energielieferungen aus Russland war. Chinesische Batteriehersteller folgen dem gleichen Muster, wie es in der Vergangenheit auch in anderen Branchen wie Stahl, Aluminium oder Solar-Paneelen zu beobachten war. So profitieren chinesische Batteriehersteller und alle in dieser Wertschöpfungskette angesiedelten Unternehmen seit geraumer Zeit stark von staatlichen Subventionen und den unkontrollierten Kreditvergaben der Banken, um einen großen Anteil am Weltmarkt zu erobern und den Wettbewerb auf internationaler Ebene zu verdrängen.
Hierbei ist der Batteriemarkt im Consumer- und Industrieelektronikbereich wesentlich stärker von China abhängig als der E-Mobility-Markt. Zu den Preisauswirkungen: Zwar sinken die Preise, aber sie werden nicht mehr auf das Niveau von 2019/20 fallen. Da die chinesischen Hersteller ihre Investitionsanstrengungen auf die Kosten für das Produkt umlegen, wirkt auch das einem Preisverfall auf das Niveau von 2019/20 entgegen.
Sie haben vor Kurzem gesagt, dass Kunden bei Ihnen immer häufiger nach einer Alternative zu den großen Vier fragen – ist das immer noch der Fall?
Dieser Trend ist nach wie vor ungebrochen! Zumal die Alternativen ihre Vorteile in puncto Qualität, Performance, Flexibilität und Preise sehr gut ausspielen. Die Innovationskraft der chinesischen Hersteller und ihr Preisvorteil werden dafür sorgen, dass es den großen Vier schwerfallen dürfte, hier verlorenes Terrain zurückzugewinnen.
Mit welchem zeitlichen Vorlauf bestellen Kunden heute bei Ihnen? Hat sich das Verhalten gegenüber 2022 deutlich verändert?
Ich sehe da keine Veränderung gegenüber den Vorjahren. Durch die Allokation vieler Bauteile in den Jahren 2021/22 haben die Kunden gelernt, frühzeitig ihre Bedarfe zu kommunizieren. Das hat sich bei uns auch in diesem Jahr nicht verändert. Im Allgemeinen bekommen wir bei der Auftragserteilung einen Vorlauf von sechs bis zwölf Monaten, in Abhängigkeit von der benötigten Technologie und dem entsprechenden Produkttyp.
Deutschland hat inzwischen fast ein Jahr technische Rezession hinter sich. Wirkt sich das im Bereich Batterie- und Akku-Konfektionierung aus? Reagieren die Kunden mit Auftragsverschiebungen oder Stornierungen?
Auch wir sehen im aktuellen Geschäftsjahr eine gewisse Rezession in verschiedenen Branchen. Für uns gestaltet sich das Jahr 2023 aber weiterhin sehr positiv, sodass wir nach wie vor von einem zweistelligen Umsatzwachstum ausgehen. Natürlich gibt es auch Anwendungsbereiche, die der technischen Rezession Tribut zollen. Diese Anwendungsbereiche sind dann sowohl von Auftragsverschiebungen, aber auch von Stornierungen betroffen.
Dauerthema Facharbeitermangel in Deutschland: Welche Rolle spielt dieses Problem beim Aufbau der diversen in Bau befindlichen oder angekündigten Batteriefabriken in Deutschland? Wie gehen Sie mit diesem Problem um?
Ich bin mir sicher, dass der Fachkräftemangel aktuell den Ausbau des Batteriesektors in Europa und speziell auch in Deutschland ausbremst. Batterieproduktion erfordert Erfahrung im Umgang mit den Produktionsstraßen. Neue Mitarbeiter als Quereinsteiger aus anderen Branchen einzustellen und zu erwarten, dass die Produktionslinie dann in kurzer Zeit Produkte in marktreifer Qualität produzieren wird, ist ein Fehler. Uns am Standort Deutschland gegen China zu behaupten setzt zwingend voraus, dass es uns gelingt, diesen Fachkräftemangel schnell abzubauen. Mithilfe von Innovationen und einer schnellen Umsetzung zur Marktreife bei den Produkten sollte es zudem flankierend möglich sein, den Standort Deutschland für die Batterieproduktion zu sichern. In unserem eigenen Unternehmen, der VRI, haben wir seit drei Jahren ein Bildungsprogramm mit einer Ausbildungseinheit implementiert, dessen Aufgabe es ist, den Wissensaufbau im Bereich Fertigung und Assembling zu unterstützen und sich um die technische Umsetzung zu kümmern.
Ein Blick in die Zukunft: Für 2027 ist die Erneuerung der Batterienovelle vorgesehen. Halten Sie den Zeitrahmen noch für realistisch? Was wären die großen Veränderungen durch diese Novelle, die Hersteller und Verbraucher betreffen?
Sagen wir es einmal so: Der angesetzte Zeitrahmen und die Umsetzung bis 2027 sind ein sehr sportliches Vorhaben! Ziel der neuen Novelle ist es, sicherzustellen, dass Batterien umweltverträglich entsorgt werden und dass die Hersteller von Batterien ihrer Verantwortung für die Entsorgung nachkommen. Das Gesetz enthält Vorschriften für das Inverkehrbringen von Batterien, ihre Rücknahme durch Hersteller und Vertreiber sowie ihre Entsorgung.
Es geht also vor allem um Umwelt- und Ressourcenschutz. Batterien und Akkus enthalten einerseits Wertstoffe, können andererseits aber auch gesundheits- und umweltgefährdende Stoffe beinhalten. Ein verantwortungsvoller Umgang ist somit Pflicht, erst recht in Zeiten zunehmender Ressourcenknappheit. Eine jahrelang verfehlte Rohstoff-Strategie der EU sowie deren Länder wird mit dieser Novelle vereint, um die Ressourcenknappheit zu verwalten und lenken zu können.
Allerdings stehen wir hier noch sehr am Anfang der Diskussion; vonseiten der Industrie wurde schon an verschiedenen Stellen die Nichtpraktikabilität einzelner Regelungen der Novelle moniert. Kritisiert wird auch, dass die Batterienovelle zu sehr auf die E-Mobility-Branche ausgerichtet ist. Aus Sicht der Branche ist die Schaffung des nächsten großen Administrationsmonsters zu befürchten, da Deutschland die damit verbundenen gesetzlichen Vorgaben mit neuen, zusätzlichen Behörden und Abteilungen aufbauen und umsetzen wird.