Mathias Rehm hat als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Elektrische Energiespeichertechnik der TU München die elektrische Performance von Natrium-Ionen- und Lithium-Eisenphosphat-Batterien untersucht. Sein Ergebnis: Beide Batterietechnologien haben noch Luft nach oben.
Markt&Technik: Herr Rehm, Sie haben vor Kurzem die elektrischen Eigenschaften von Natrium-Ionen- und Lithium-Eisenphosphat-Batterien untersucht. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?
Mathias Rehm: Wir haben in unseren Tests systematisch die elektrische Performance von Lithium-Eisenphosphat-Zellen mit zwei verschiedenen Natrium-Ionen-Batterien bei verschiedenen Temperaturen untersucht. Konkret haben wir dabei die verschiedenen Zellen unter anderem mit verschiedenen Stromraten betrieben und die nutzbare Kapazität und Energie sowie die Effizienz ausgewertet. Wichtig ist, dass die von uns untersuchten Natrium-Ionen-Batterien geschichtete Oxide als Kathodenmaterial nutzen und im Fall von Natrium-Ionen-Batterien mit anderen Kathodenmaterialien aus der Gruppe der Preußisch-Blau-Analoga oder der polyanionischen Verbindungen unsere Ergebnisse anders ausgefallen wären.
Bei unseren Messungen wurden im Wesentlichen zwei Aspekte deutlich: Beide Batterietechnologien unterscheiden sich klar hinsichtlich ihrer Ruhespannungskennlinie. Bei Lithium-Eisenphosphat verläuft sie sehr flach, bei den von uns untersuchten Natrium-Ionen-Batterien steigt die Ruhespannung hingegen fast linear mit zunehmendem Ladezustand, wobei die Ladeschlussspannung mehr als doppelt so hoch ist wie die Entladeschlussspannung. Des Weiteren wurde deutlich, dass die Natrium-Ionen-Batterien im niedrigen Ladezustandsbereich eine geringere Effizienz aufweisen, während sie bei hohen Ladezuständen signifikant höher ist.
Sind die Hoffnungen in Bezug auf Natrium-Ionen-Batterien in Ihren Augen berechtigt? Besteht der Vorteil im Wesentlichen aus dem Verzicht auf Lithium und Cobalt oder gibt es noch andere Aspekte, die für Natrium-Ionen-Batterien sprechen?
Für die Natrium-Ionen-Batterie spricht auf jeden Fall ihre potenziell größere Umweltfreundlichkeit und der erhoffte geringere Preis, wobei beides im Detail vor allem vom verwendeten Kathodenmaterial abhängt. Konkret ist hier natürlich der Verzicht auf Lithium und Cobalt ein großer Vorteil. Je nach verwendetem Kathodenmaterial kann zusätzlich auch auf Nickel verzichtet werden. Hinzu kommt die Möglichkeit, in Natrium-Ionen-Batterien den Kupferableiter durch Aluminium zu ersetzen. In Natrium-Ionen-Batterien wird darüber hinaus an der Anode kein Graphit verwendet, sondern Hartkarbon. Insgesamt fallen so einige Rohstoffe weg, deren Förderung in Bezug auf die Umwelt problematisch sein kann und die gleichzeitig eine hohe Rohstoffabhängigkeit hervorrufen.
Sie haben kommerzielle Natrium-Ionen-Batterien getestet. Um welchen Zelltyp handelte es sich dabei?
Es handelte sich um kommerziell erhältliche 18650-Zellen. Im Fall der Lithium-Eisenphosphat-Zellen mit etwa 160 Wh/kg. Die getesteten Natrium-Ionen-Zellen im 18650-Format wiesen je nach Hersteller zirka 90 Wh/kg oder 120 Wh/kg auf. Wir haben uns für 18650-Zellen entschieden, weil sie einfach erhältlich waren und sie bereits in großen Stückzahlen zur Verfügung stehen, wir also keine »Golden Samples« untersuchten. Interessanterweise wurden bei den Natrium-Ionen-Zellen noch Kupferableiter an den Anoden verwendet.
Natrium-Ionen-Akkus werden gegenüber Lithium-Eisenphosphat-Batterien als Drop-in-Technologie dargestellt. Ist es wirklich so einfach oder worauf sollte ein Systementwickler nach Ihrer Meinung auf jeden Fall achten?
Im Prinzip trifft das zu. Angesichts der zu Beginn erwähnten großen Spannungsdifferenz zwischen entladenem und geladenem Zustand würde der Einsatz von Natrium-Ionen-Batterien jedoch eventuell entsprechende Vorkehrungen an der nachgeordneten Elektronik erfordern, um über den gesamten Ladezustandsbereich die maximale Leistung abrufen zu können. Ansonsten kann man wirklich von einem Drop-in-Ersatz sprechen.
Offenbar ist die Empfindlichkeit gegenüber niedrigen Temperaturen die größte Schwachstelle. Auch fällt die Performance bei niedrigen Ladezuständen schwächer aus. Schwächen, die sich nach Ihrer Einschätzung noch ausmerzen lassen?
Tatsächlich sehen wir in unseren Ergebnissen, dass die Natrium-Ionen-Batterien eine etwas höhere Temperaturabhängigkeit der nutzbaren Energie und der Effizienz aufweisen als die vermessenen Lithium-Eisenphosphat-Zellen. Da die Technologie erst seit Kurzem kommerziell verfügbar ist, spricht viel dafür, dass wir hier noch Verbesserungen sehen werden.
Dem Effekt der niedrigeren Effizienz im niedrigen Ladezustandsbereich lässt sich aus unserer Sicht auch einfach damit begegnen, diesen Ladezustandsbereich nicht oder nur selten zu benutzen, um die Gesamteffizienz im Betrieb zu erhöhen. Konkret könnte man zum Beispiel die Entladespannung im Betrieb von 1,5 V auf 2 V erhöhen. Ob und wie stark man den Ladezustandsbereich einschränkten sollte, hängt aber letztlich vom Einsatz der Zelle ab.
Bei der Lithium-Eisenphosphat-Batterie handelt es sich um eine ausgereifte Technologie. Natrium-Ionen-Batterien werden dagegen gerade einmal seit zwei, drei Jahren kommerzialisiert. Wie weit lässt sich ihre Performance noch steigern?
Wir gehen aus heutiger Sicht davon aus, dass es im Bereich der Natrium-Ionen-Batterie noch große Fortschritte geben wird. Und das bezieht sich sowohl auf die volumetrische wie die gravimetrische Energiedichte. Man sollte aber auch nicht vergessen, dass Lithium-Eisenphosphat noch nicht an seinem Limit angekommen ist. Nach unserer Einschätzung wird es am Markt zu Überlappungsbereichen beim Einsatz von Lithium-Eisenphosphat- und Natrium-Ionen-Batterien kommen. Entscheidend für den Markterfolg wird letztlich auch die Entwicklung der jeweiligen Rohstoffpreise sein.
Sie hatten bei Ihren Versuchen vor allem zwei Applikationsbereiche im Auge: Energiespeicher und Batterien für Elektrofahrzeuge. Wo wird sich Natrium-Ionen-Technik schneller durchsetzen?
Das lässt sich derzeit noch schlecht abschätzen, dazu fehlen uns noch die Daten. Schon heute lässt sich aber feststellen, dass wir bei Natrium-Ionen-Zellen ein sehr gutes Alterungsverhalten erwarten können. Aufgrund der geringeren volumetrischen und gravimetrischen Energiedichte würde ich aber davon ausgehen, dass sich Natrium-Ionen-Zellen zuerst in stationären Energiespeichern durchsetzen werden und dann in einem zweiten Schritt vielleicht in kleineren Elektrofahrzeugen, die nicht auf hohe Reichweite ausgelegt sind.
Wird es Ihrer Einschätzung nach zu einer Substitution von Lithium-Eisenphosphat durch die Natrium-Ionen-Batterie kommen oder gehen Sie davon aus, dass beide Systeme nebeneinander am Markt ihre Applikationsbereiche finden werden?
Von einer vollständigen Substitution würde ich nicht ausgehen, da die Energiedichte von Lithium-Eisenphosphat-Zellen vor allem volumetrisch signifikant höher ist. Dementsprechend spricht viel dafür, dass beide Systeme parallel existieren werden. Gleichzeitig kann es aber auch zu verschiedenen Applikationsbereichen bei verschiedenen Typen von Natrium-Ionen-Batterien kommen: Zellen, die Preußisch-Blau-Analoga verwenden, könnten besonders günstig werden und gleichzeitig sehr geringe Temperaturabhängigkeiten zeigen, während die von uns untersuchten Zellen mit geschichteten Oxiden auch in Zukunft höhere Energiedichten aufweisen könnten. Ob das genau so eintritt, wird die Zukunft zeigen.
Sehen Sie die Chance, dass Natrium-Ionen-Batterien in Zukunft auch in Deutschland hergestellt werden? Könnte die Lernkurve der Europäer bei diesem Batterietyp kürzer ausfallen, als das im Fall der Lithium-Ionen-Batterie bislang der Fall war?
Grundsätzlich wären wir sicher in der Lage, Natrium-Ionen-Batterien in Deutschland herzustellen, die Frage ist nur, ob wir auch über das entsprechende Prozess-Know-how verfügen. Wir haben hier keine großen Fertigungen von Lithium-Ionen-Zellen, deren Erfahrungen wir direkt auf die Herstellung von Natrium-Ionen-Batterien übertragen könnten. Aktuell gibt es aber in Europa bereits mehrere Firmen, die Natrium-Ionen-Batterien entwickeln und teilweise bereits eine Fertigung hier in Europa planen. Hier könnten wir in Europa und damit auch in Deutschland sicher davon profitieren, dass Natrium-Ionen-Batterien mit weniger oder sogar komplett ohne kritische Rohstoffe wie Lithium, Cobalt und Nickel auskommen.