Von Stellenanzeigen bis Talentjagd

Führt KI zu einem Qualitätssprung für HR und Arbeitswelt?

2. April 2024, 11:00 Uhr | Corinne Schindlbeck
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KI hält Einzug auch in die Personalarbeit. Sie kann etwa Einstellungsprozesse beschleunigen und Personaler entlasten. Wie stehen Unternehmen und Bewerber zu KI-Anwendungen in der Arbeitswelt? Wir haben Experten befragt.

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Inhaltsverzeichnis

  • Einleitung
  • KI im Personalwesen, doch das letzte Wort hat der Mensch
  • Große Bildergalerie: "Wie setzen Personaler aus der Elektronik Künstliche Intelligenz ein?"
  • Was bedeutet das für den potenziellen Einsatz im HR-Bereich?
  • Was sagen Personalexperten?
  • Kann KI gar die Königsdisziplin der Personalsuche, den Personalberater ersetzen?
  • So arbeiten Personaler mit der KI zusammen
  • Mögen Bewerber KI?
  • Nachtschichten adé?

Einleitung

Christian Schmidt, CEO der Keil Befestigungstechnik GmbH, wünscht sich dringend mehr weibliche Beschäftigte für seinen internationalen Vertrieb. »Leider bewerben sich nur Männer«, schreibt er bedauernd auf LinkedIn – es bewerbe sich mal wieder keine einzige Frau.  In seinem Posting bittet er die LinkedIn-Community um Tipps: »Lasst uns wissen, was wir tun müssen, um als Arbeitgeber für Frauen attraktiver zu werden.« 

Unternehmensberaterin Annette Elias, Geschäftsführerin der Scoutment GmbH, empfahl für den ersten Aufschlag ChatGPT: Schmidt solle den Text für die Stellenanzeige von der KI überprüfen lassen. Den simplen Prompt lieferte sie gleich mit: »Bitte formuliere um, dass sich Frauen angesprochen fühlen«. 

KI im Personalwesen, doch das letzte Wort hat der Mensch

So oder ähnlich erproben derzeit viele die derzeit wohl prominenteste Generative KI, ChatGPT. Ungeprüft verwenden sollte man ihre Ergebnisse jedoch besser nicht – die fachliche Expertise, um den Vorschlag der KI zu prüfen, ist weiterhin von Nöten.  

»Das letzte Wort hat immer der Mensch«, erklärt Rolf Löwisch, Direktor Data & AI bei IBM DACH. Unternehmen und Organisationen müssen Richtlinien und ethische Standards für den Einsatz von KI entwickeln.

Man differenziere sich dabei von anderen Anbietern, etwa was die verwendeten Daten betrifft. IBM trainiere seine KI- und Datenplattform watsonx nicht mit Kundendaten. 

Wie setzen Personaler aus der Elektronik Künstliche Intelligenz ein?

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»Die Erkenntnisse, die KI erbringt, gehören dem Erzeuger, also dem Kunden. Wir investieren viel Arbeit, um die Trainigsdaten z.B. auf angemessene Sprache und fachliche Relevanz zu kuratieren. Unsere  KI trainieren wir dadurch mit hoher Qualität und sichern die Intellectual Property der Kunden. Wir übernehmen auch umfangreiche Haftung dafür, dass mit unserer KI keine Intellectual Property verletzt wird«, so Löwisch.

Als weiteren wichtigen Differenzierungsfaktor zu anderen Anbietern nennt Löwisch Transparenz: »Der User muss immer wissen, dass er es jetzt mit KI zu tun hat, wenn sie im Prozess auftaucht«. Denn: »KI ist nur ein Werkzeug, welches die Möglichkeiten des Menschen ergänzt. Es soll nicht den Menschen ersetzen«. Man habe dazu einen klaren Ethikkodex definiert, der sowohl für IBM intern gelte aus auch für die Arbeit mit Kunden.  

Was bedeutet das für den potenziellen Einsatz im HR-Bereich?

Löwisch weiter: »Automatisierung durch KI kann dabei helfen, den Kandidaten schneller zu finden und dabei objektive, messbare Entscheidung treffen. Aber wie in anderen Bereichen auch ist die Vorarbeit im Sinne der hinterlegten Daten, Kennzahlen und Ethik-Fragen wie Governance entscheidend.« Speziell bei HR gehe es aber nicht nur um Prozessoptimierung oder Einsparmöglichkeiten. Sondern auch um die Attraktivität als Arbeitgeber.

»KI in Rekrutierungsprozessen kann dazu beitragen, unser Ziel einer höheren Chancengerechtigkeit zu erreichen. Dafür kann KI zum Beispiel Fähigkeiten und Kenntnisse von Talenten neutral beurteilen und vergleichen. Anwender und Anbieter tragen dazu die Verantwortung, die KI sorgfältig zu gestalten und zu nutzen. Es liegt letztendlich an uns allen, was wir daraus machen«, sagt Severine Fiegler, Vice President HR Talent Acquisition & Head of Diversity, Inclusion and Health bei Infineon. 

»Unternehmen, die KI-Tools in Einsatz bringen, zeigen, dass sie ihr Arbeitsumfeld modern und attraktiv halten«, ergänzt IBM-Experte Löwisch. Repetitive Tätigkeiten und andere Zeitfresser minimieren zu können, schafft deutlich effizientere und zufriedenere Teams, die dann mehr Zeit für wertschöpfende Tätigkeit haben«. Da biete der Bereich Personal noch viel Potenzial - sofern man als Anbieter richtige und wichtige Fragen nach Vertrauenswürdigkeit und Datenschutz beantworten könne. »Wir haben die Werkzeuge, die eine generative KI auch in sicherheitskritischen Bereichen wie Personal überwachen, heute verfügbar«, so Löwisch, »und es kommen zunehmend mehr Kunden auf uns zu, auch zunehmend mittelständische Unternehmen.«

Was sagen Personalexperten?  

Bereits Anwender ist auch Sarah Köhl, Head of Technology beim Personaldienstleister Hays. »KI wird zunehmend relevanter. Im Recruiting hilft uns die generative KI, die Auswahl der Bewerbenden effizienter zu gestalten. Damit gelingt es uns, aus einer Vielzahl an CVs relevante Fertigkeiten und Fähigkeiten für ausgeschriebene Stellen schneller herauszufinden. Ich kann mir auch vorstellen, generative KI künftig stärker im Bereich der Personalentwicklung einzusetzen, beispielsweise bei Zielvereinbarungs-Gesprächen mit den Mitarbeitenden. Die Analyse des Feedbacks gibt uns dann schneller Auskunft darüber, wohin sich der Mitarbeitende entwickeln kann und welchen Schulungsbedarf er benötigt. Aber auch für Gehaltsgespräche, sind Analysen von KI-Modellen sehr wichtig. Weiß man zum Beispiel, welches Gehalt ein IT-Architekt mit einer bestimmten Berufserfahrung im Kreis Mannheim verdient, ist das eine perfekte Grundlage für Gehaltsverhandlungen.

In einer idealen Welt kann uns die künstliche Intelligenz dabei unterstützen, wiederkehrende Tätigkeiten oder Routinetätigkeiten zu übernehmen. Das können Anträge für Urlaub sein. Die Menschen erhalten damit mehr Freiräume, die sie für qualitativ hochwertige Tätigkeiten nutzen können. Das würde dann die Arbeit für so manchen Mitarbeitenden herausfordernder und spannender machen. Bis wir allerdings so weit sind, müssen wir uns noch um die Kinderkrankheiten der KI kümmern. Denn je nach Datensätzen, ist sie nicht frei von Manipulation oder Vorurteilen. Hier brauchen wir eine garantierte Objektivität, das ist übrigens für das Recruitment ein entscheidender Erfolgsfaktor.«

Kann KI gar die Königsdisziplin der Personalsuche, den Personalberater ersetzen? 

Renate Schuh-Eder, Gründerin und Geschäftsführerin von Schuh-Eder Consulting, glaubt das nicht und es klingt nicht wie Pfeifen im Walde, im Gegenteil: »KI wird ganz sicher unsere Arbeit betreffen und verändern. Ein größerer Block in unserem Business ist es ja, die „richtigen“ Kandidaten für eine Rolle zu identifizieren. Als ich vor 25 Jahren in dem Geschäft begonnen habe, mussten wir mühsam mit „Hoppenstedt“ und vielen weiteren Schlagwerken erstmal die passenden Firmen eruieren, um dann fast als Detektivbüro mit Coverstorys die richtigen Personen zu identifizieren. Unsere Research-Abteilung hatte damals 7 Personen, die nichts anderes gemacht haben. Das hat sich bereits bis jetzt gravierend verändert. Social Media, Marktübersichten und ersten KI-Ansätze sei Dank. Bereits heute zahlen wir schon einiges an Geld für entsprechende Software- und Social Media Tools, was sich künftig vermutlich noch verstärken wird. Das bedeutet, dass es einfacher wird, Kandidaten mit dem nötigen Skillset zu identifizieren, je besser KI wird. 

Nur stellen wir aber tagtäglich fest, dass es für Unternehmen gar nicht so einfach ist, zu wissen, wen sie genau brauchen und wer dafür in Frage kommen könnte. Optimale Aufbauorganisation, Kulturelle Fragen, Gehaltsbenchmarks der Branche, Sozialisierung und vieles mehr sind hier wichtige Parameter. Die Hintergründe von Menschen, was sie antreibt, wohin sie wollen, wofür sie einstehen, was sie aktuell verdienen usw. steht nirgends geschrieben. Ok, man kann aufgrund von „Fußabdrücken“ gewissen Vermutungen anstellen. Aber hier kommen wir ins Spiel. Wir verstehen und verbinden die zueinander passenden Player. Denn nun geht es darum, mögliche Kandidaten adäquat anzusprechen, Ihnen die richtigen Informationen zum Unternehmen und der Rolle zu geben, sie dafür zu motivieren und dann den Prozess zwischen Kandidatinnen und Kandidaten und einem möglichen künftigen Arbeitgeber zu moderieren und zu steuern.  All diese Aufgaben machen unseren Mehrwert aus!  Da wüsste ich nicht, was KI dazu beitragen kann.«

So arbeiten Personaler mit der KI zusammen

Sarah Köhl von Hays beschreibt die spezifischen Skills und Fähigkeiten, die Mitarbeiter künftig brauchen, um mit KI-basierten Technologien effektiv arbeiten zu können: »Unabhängig von einem ganz speziellen Skill, ist es wichtig, dass bei Mitarbeitenden die generelle Bereitschaft besteht, sich auf diese neue Grundlagentechnologie einzulassen, und flankierende Veränderungen zu akzeptieren. KI sollte klar als Chance intern kommuniziert und begriffen werden. Dazu gehört auf jeden Fall eine Problemlösungskompetenz, was bedeutet, dass man die entsprechende Fragestellung umfassend analysieren und verstehen muss, um der KI dementsprechend die richtigen Fragen zu stellen. Aber auch die Fähigkeit, aus Datenpunkten Entscheidungen und Ableitungen für den Unternehmensbereich oder die Strategie treffen zu können, ist relevant. Auch ist es wichtig, die Ergebnisse und Quellen der KI-Modelle zu hinterfragen, denn diese können wie gesagt diskriminierend oder schlicht falsch sein. Aber nicht nur die Mitarbeitenden, auch die Führungskräfte brauchen andere Fähigkeiten: Sie müssen in der Lage sein, auf die möglichen Ängste und Sorgen der Mitarbeitenden (zum Beispiel durch Entmündigung über KI) gezielt einzugehen. Dieser Kompetenzverlust ist laut unseres aktuellen HR-Reports die Herausforderungen Nummer eins für Unternehmen.«

Mögen Bewerber KI?

In einer Studie unter bundesweit über 1000 Beschäftigten hat Königsteiner abgefragt, wie es Bewerber mit KI-generierten Stellenanzeigen halten – und siehe da: sie haben mehrheitlich kein Problem damit, wenn Arbeitgeber künstliche Intelligenz zur Beschleunigung des Bewerbungsprozesses oder zur Formulierung von Stellenanzeigen verwenden. 
Weniger gern würden es die meisten aber sehen, per KI eingestellt oder aussortiert zu werden – die Personalauswahl gehört für die Mehrheit in Menschenhand. 

KI-Anwendungen im Bewerbungsprozess sehen Bewerber hingegen deutlich entspannter. Fast zwei Drittel (64 %) der Befragten sind davon überzeugt, dass auch Persönlichkeitstests auf KI-Basis zum Bewerbungsprozess der Zukunft gehören werden – was aktuell 40 % aber eher nicht gefällt. 
 
Nils Wagener, Geschäftsführer der Königsteiner Gruppe. »Keine Frage: Künstliche Intelligenz wird auch die Arbeitswelt nachhaltig verändern. Derzeit stehen wir aber noch am Anfang dieser Entwicklung. Unsere Zahlen zeigen: Noch sind es vor allem jüngere Beschäftigte, die mit entsprechenden Tools arbeiten. Arbeitgeber sind also gut beraten, ihre Belegschaften behutsam mit auf die gemeinsame KI-Reise zu nehmen.« Dazu passt: Derzeit sehen 23 % aller Beschäftigten einen hohen oder sehr hohen Mehrwert in der Nutzung künstlicher Intelligenz für ihre tägliche Arbeit. Bei den 18- bis 29-Jährigen liegt der Anteil mit 48 % allerdings deutlich höher, während er bei der Generation 50 plus eben gerade einmal 18 % beträgt.
 
Noch ist KI in der Arbeitswelt in einer Art Ausprobierphase und längst nicht so etabliert, wie das die öffentliche Diskussion zum Thema erscheinen lässt. So geben nur 13 % der befragten Beschäftigten an, dass sie im Rahmen ihrer täglichen beruflichen Arbeit immer oder oft mit KI-Anwendungen in Kontakt kommen. Weitere 26 % berichten von einer gelegentlichen beruflichen Tuchfühlung mit KI. Noch geringer ist der Anteil der Menschen, die KI-Tools regelmäßig für Bewerbungen (7 %) oder die Jobsuche (6 %) einsetzen. Überdurchschnittlich hoch ist allerdings der Nutzungsgrad bei jüngeren Beschäftigten zwischen 18 und 29 Jahren. Von diesen kommen 19 % immer oder oft mit KI-Anwendungen im Job in Berührung sowie weitere 32 % gelegentlich. Bezogen auf die Jobsuche haben sich immerhin schon 39 % der jüngeren Bewerberinnen und Bewerber immer, oft oder zumindest gelegentlich mit KI-Tools auf die Suche nach einer neuen Herausforderung begeben.
Am meisten genutzt wird wenig überraschend ChatGPT, das einen Bekanntheitsgrad von 78 % erreicht. Ein anderes Tool haben dagegen gerade einmal 11 % der Befragten für ihre Jobsuche oder eine Bewerbung genutzt. 
 
Das Maschinenbauunternehmen Kern Spindel Full Service GmbH ist Spezialist für Spindel-Reparaturen. Und hat firmenintern eine neue Stelle geschaffen: den KI-Experten. »Bis in spätestens fünf Jahren wird kein Unternehmen mehr ohne auskommen«, ist sich Geschäftsführer Michael Kern sicher. Er will sein Unternehmen mit diesem Tätigkeitsbereich fit für die Zukunft machen und nutzt KI bereits aktiv im Vertrieb und in der Auftragsabarbeitung. »Wir sparen uns damit bereits sehr viele Stunden und vereinfachen das Leben unserer Mitarbeiter«, sagt er.

Zeit, erst die KI-Entwicklung erst einmal abzuwarten, sieht er nicht: »Wer in den nächsten Monaten nicht lernt, wie man KI effizient einsetzt, um Prozesse im Unternehmen zu verschlanken, wird eines Tages nicht mehr wettbewerbsfähig sein. Ich sehe diesen Zeitpunkt bereits in zwei Jahren gekommen. Das gilt insbesondere für die Industrie, die andernfalls dem Preisdruck und der Konkurrenz aus China, Polen oder dem Balkan nicht mehr standhalten können wird.«

Nachtschichten adé?

Bis dahin würden alle Unternehmen solch eine neue Stelle schaffen müssen, nämlich so Kerns Prognose. Denn KI sieht er als den künftigen Gamechanger, gerade auch für Handwerks- und Industriebetriebe wie seinem eigenen. Spezielle KI-Experten im Unternehmen sollen herausfiltern, welche KI-Tools für welche Anwendungsfälle Benefits bringen. Und auch welche Prompts es dazu braucht. Denn diese Befehle an die KI seien von Unternehmen zu Unternehmen so hochindividuell, dass es zwingend jemanden intern mit entsprechendem Fachwissen benötige, der sich nur damit beschäftige. »Je früher wir verstehen, dass wir genau diesen Lernprozess in Gang bringen und steuern können müssen, desto fitter sind wir für die Zukunft«, ist Michael Kern überzeugt.  

Etwa in der maschinellen Fertigung: »Bei CNC Maschinen gibt es immer mehr Schnittstellen, bei denen KI involviert ist. In zwei bis fünf Jahren wird vieles von ganz alleine laufen. Besonders Nachtschichten werden so mehr und mehr der Geschichte angehören, weil die Maschinen die Prozesse von selbst steuern. Damit das allerdings so läuft, muss man im sogenannten Prompt-Engineering sehr gut sein und sich viel damit beschäftigen.« Aber auch der Vertrieb soll nach Ansicht von Kern künftig ohne KI nicht mehr auskommen. KI könne Kundendaten auswerten und Vertriebsmitarbeitern dadurch helfen, versteckte Vertriebspotentiale zu heben. 

 


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