Interview: Rohde & Schwarz

»Die räumliche Nähe von Entwicklung und Fertigung ist wertvoll«

23. Oktober 2025, 10:40 Uhr | Nicole Wörner
Dr. Ernst Flemming, Rohde & Schwarz im Gespräch mit Markt&Technik-Redakteurin Nicole Wörner: »Die Oszilloskope werden in München und Chemnitz entwickelt und in Vimperk gefertigt. Das ist ein großer Vorteil, der aus unserer Sicht potenzielle Kostennachteile überwiegt.«
© Rohde & Schwarz

Elektrifizierung, leistungsstarke Rechenzentren und geopolitische Umbrüche treiben den Messtechnikmarkt. Dr. Ernst Flemming, Director Product Management Oscilloscopes bei Rohde & Schwarz erklärt, wie das Unternehmen darauf reagiert und warum Deutschland trotz höherer Kosten ein Standortvorteil ist.

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Markt&Technik: Herr Dr. Flemming, wie erleben Sie den globalen Messtechnik- und Oszilloskopmarkt im Moment – und wo steht Rohde & Schwarz aktuell?

Dr. Ernst Flemming: Der Markt wächst unverändert stark, getrieben vor allem durch Innovationsthemen. Drei Trends prägen die Dynamik: Erstens die Elektrifizierung – neue Technologien wie SiC und GaN stellen ganz neue Anforderungen an die Messtechnik. Zweitens das Data-Center-Segment mit extrem leistungshungrigen Prozessoren, schnellen Schnittstellen und komplexer Versorgungselektronik. Und drittens die „Zeitenwende“, die zu verstärkten Investitionen, insbesondere in der Verteidigungsindustrie, führt. Rohde & Schwarz wächst seit Jahren deutlich stärker als der Gesamtmarkt und ist mit einem sehr breiten Portfolio hervorragend aufgestellt.

Welche Anwendungsfelder sind für Sie aktuell besonders relevant?

Das stärkste Wachstum sehen wir in der Leistungselektronik. Hier setzen wir gezielt an – unter anderem mit unseren MXO-Oszilloskopen, dem optisch isolierten Tastkopf RT-ZISO und den passenden Software-Applikationen. Zukunftsträchtig sind auch Anwendungen im Bereich der Multi-Converter-Architekturen für KI-Prozessoren, die gleich mehrere Stromversorgungen brauchen. Da kommt man mit vier Kanälen nicht mehr weit. Acht analoge Kanäle, wie wir sie beispielsweise mit unserem neuen MXO3 anbieten, sind hier ein echter Gewinn. Parallel haben wir unser Portfolio mit Power Supplies, SMUs und – seit der Übernahme von ZES Zimmer – auch mit Power Analyzern erweitert. Das ergibt ein starkes Gesamtangebot.

Welche Produktlinien oder Technologien treiben Sie aktuell strategisch besonders voran?

Im Bereich der Oszilloskope fokussieren wir uns derzeit vermehrt auf Anwendungen der Leistungselektronik und haben dementsprechend unser Portfolio verstärkt. Aktuell rollen wir die neue MXO-Oszilloskop-Plattform aus. Das bereits erwähnte MXO3 bringt die Leistungsfähigkeit der Premiumklasse erstmals in die breite Anwendung. Es ist ein echter Allrounder und ermöglicht vielen Anwendern den Einstieg in die Welt der Achtkanal-Oszilloskope – und das zu einem sehr attraktiven Preis ab 12.500 Euro. Das ist einmalig in dieser Einstiegsklasse, und wir setzen damit neue Maßstäbe. Parallel arbeiten wir daran, Rohde & Schwarz als Vollsortimenter im Oszilloskopmarkt zu etablieren. Sie dürfen gespannt sein…

Dies zu erreichen, erfordert einen gewissen Mut zum Risiko. Wie fördern Sie bei Rohde & Schwarz unkonventionelle Ideen?

Wir leben eine starke Innovationskultur und investieren jährlich rund 20 Prozent des Umsatzes in Forschung und Entwicklung. Neue Ideen sind ausdrücklich willkommen – und wir haben speziell reservierte Budgets, um sie auszuprobieren. Viele unserer erfolgreichsten Produkte sind so entstanden. Beispiele sind die Oszilloskope, die Sicherheits-Scanner an Flughäfen oder jüngst unser neuer Spektrumanalysator FSWX, mit dem wir eine völlig neue Systemarchitektur vorgestellt haben. All das zeigt: Wir geben kreativen Entwicklungsansätzen Raum.

Was würde mich überraschen, wenn ich einen Tag in Ihrer Entwicklungsabteilung verbringen dürfte?

Vermutlich der intensive Austausch. Unsere Entwickler, Applikationsingenieure und Produktmanager diskutieren leidenschaftlich, um die besten Lösungen für die Kundenanforderungen zu finden. Sie würden viele Geräte sehen – bei uns wird nicht nur am Schreibtisch, sondern sehr praxisnah gearbeitet. Und nicht zuletzt: die positive Stimmung. Die Kollegen arbeiten gern bei uns und miteinander. Das ist ein wichtiger Wert, den wir pflegen.

Rohde & Schwarz ist traditionell stark im Bereich der Hardware. Welche Rolle spielt die Software heute?

Beides ist für uns gleichermaßen wichtig. Die Hardware bildet das Fundament – sie muss extrem leistungsfähig sein. Aber ohne eine ebenso starke Software wäre sie nur schwer bedienbar. Das User Interface muss trotz hoher Komplexität intuitiv und produktiv nutzbar sein. Daher basieren unsere Oszilloskope auf dem Prinzip Hardware-unterstützte ASICs plus Software-basiertes User Interface. Generell ist die enge Zusammenarbeit zwischen Hard- und Softwareteams entscheidend, um leistungsstarke und zugleich einfach zu bedienende Geräte zu entwickeln.

Aus Ihrer Erfahrung – welches Kundenbedürfnis wird im Oszilloskopmarkt noch unterschätzt?

Ganz klar die einfache Bedienbarkeit. Früher haben sich Entwickler intensiv in komplexe User Interfaces eingearbeitet. Die junge Generation erwartet aber eine intuitive Bedienung – so selbstverständlich wie beim Smartphone. Das haben wir aufgegriffen und haben beispielsweise ein einheitliches User Interface über alle MXO- und RTO/RTP-Oszilloskope hinweg geschaffen. Zudem haben wir eine eingebettete Suchfunktion integriert. Beides kommt bei den Kunden sehr gut an. Und wir werden dies im Sinne der Benutzerfreundlichkeit auch kontinuierlich weiterentwickeln.

KI und Cloudlösungen scheinen allgegenwärtig. Sehen Sie dies eher als Chance oder Bedrohung für den klassischen Oszilloskopmarkt?

Wir prüfen diese Themen sehr differenziert. KI ist nicht die Lösung für alles, bietet aber spannende Ansätze. Ein Beispiel ist unser AI Scripting Assistant für die Mobilfunkmesstechnik: Er erstellt aus Freitext automatisiert Skripte für komplexe Test-Cases. Im Bereich der General-Purpose-Oszilloskope fragen Kunden aktuell noch wenig nach KI oder Cloudlösungen. Viele Geräte laufen Standalone, oft nicht einmal im Netz. Aber perspektivisch wird das Thema sicher relevanter.

Die vergangenen Jahre haben gezeigt, wie sensibel Lieferketten sein können. Wie haben Sie Ihre Prozesse aufgestellt, um möglichst resilient zu bleiben?

Unsere große lokale Fertigungstiefe ist ein entscheidender Vorteil: Von der Leiterplattenfertigung über die Blechbearbeitung bis hin zur Endmontage machen wir vieles selbst. Damit waren wir in der Corona-Krise deutlich weniger betroffen als andere, und das hilft uns auch in der aktuellen weltwirtschaftlichen Situation. Natürlich ist das aufwändiger und teurer, aber wir konnten – und können – durchgehend liefern. Und wo wir doch Bauteile oder Dienstleistung zukaufen müssen, versuchen wir grundsätzlich, nicht von einem einzelnen Anbieter abhängig zu sein. Wir haben das Thema aber im Fokus und arbeiten kontinuierlich daran, unsere Prozesse noch resilienter zu machen.

Eine große lokale Fertigungstiefe ist sicher sinnvoll, dennoch ist Deutschland ein teurer Produktionsstandort…

Ja, aber für uns überwiegen klar die Vorteile. Qualität steht an erster Stelle, und dafür ist die räumliche Nähe von Entwicklung und Fertigung enorm wertvoll. Wir produzieren in Memmingen, Teisnach und im tschechischen Vimperk – dort wurden die Kapazitäten sukzessive ausgebaut. Zusätzlich haben wir ein kleineres Werk in Malaysia für die Endmontage, das die Fertigung nahe der Entwicklung an unserem asiatischen Headquarter in Singapur sichert. Die Mehrzahl der Produkte entsteht aber in Mitteleuropa. Die Lohnkosten sind hierzulande zwar höher, aber Effizienz und Qualität gleichen das mehr als aus.

Wenn wir mal fünf bis zehn Jahre nach vorn schauen: Wie wird sich das Oszilloskop-Geschäft Ihrer Meinung nach verändern? Und welche Weichen stellen Sie heute schon für diese Zukunft?

Wir rechnen mit anhaltendem Wachstum und wollen unsere Marktposition in den kommenden Jahren weiter ausbauen – mit einem kompletten Portfolio. Wie bereits erwähnt, ist es unser Ziel, uns zum echten Vollsortimenter zu entwickeln. Schon heute stellen wir die Weichen in der Entwicklung, um genau das zu erreichen. Die Themen von heute – Elektrifizierung, Data Center, Usability – werden uns dabei auch in den nächsten Jahren noch ganz sicher beschäftigen.


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