Kollege oder Konkurrent KI?

HR-Trends: Das kommt 2026 auf Personal-Entscheider zu

20. November 2025, 12:55 Uhr | Corinne Schindlbeck
Organisationspsychologe Arne Sjöström ist Regional Director People Science EMEA bei Culture Amp. Mit dem Einzug von KI wachsen die großen Fragen: Was passiert, wenn Berufseinsteiger durch KI kaum noch praktische Erfahrung sammeln? Entstehen Belegschaften, die sich in KI-resistente und KI-affine Gruppen aufspalten? Wie bleibt die Talentbasis stabil, wenn Unternehmen Aufgaben zunehmend automatisieren?
© Culture Amp

Die Macht am Arbeitsmarkt hat sich gedreht. Nach Jahren der Bewerberdominanz liegen die Karten nun wieder stärker bei den Arbeitgebern. Das zwingt aber Unternehmen gleichzeitig, Kultur, Führung und den Einsatz von KI neu zu justieren, sagt Arne Sjöström von Culture Amp. Fünf Trends macht er aus.

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1. Kulturelle Transparenz – Strategiewechsel bei der Talentakquise

Die wirtschaftliche Stagnation, ein angespannter Arbeitsmarkt und weniger offene Stellen sorgen dafür, dass viele Beschäftigte lieber bleiben, wo sie sind. Unternehmen erleben einen Talentestau: Menschen, die sich in besseren Zeiten vielleicht neu orientiert hätten, bleiben – und blockieren damit die Entwicklungsmöglichkeiten derjenigen, die eigentlich bereit wären, den nächsten Schritt zu gehen.
2026 rückt deshalb ein Ansatz nach vorne, der lange überfällig schien: echte kulturelle Transparenz. Unternehmen verabschieden sich zunehmend von geschönten Wertversprechen und der einseitigen Betonung ihrer Vorzüge. Stattdessen sagen sie klar, worauf sich Bewerbende einlassen – auch dort, wo es unbequem wird. Wer etwa vollständige Büropräsenz erwartet, streng strukturierte Prozesse lebt oder KI-Tools selbstverständlich einsetzt, spricht das offen aus. Nicht, um abzuschrecken, sondern um diejenigen anzuziehen, die wirklich passen – und andere konsequent auszuschließen. Ein mutiger Schritt, aber einer, der den Talentstau zumindest teilweise aufzulösen verspricht.

2. Neudefinition von Erfolg – Leistung statt Leistungsschau?

Viele Mitarbeitende spüren, dass ihre tatsächliche Arbeit nicht so anerkannt wird, wie sie es verdient. Culture Amp hat herausgefunden: 2025 wissen rund 20 Prozent der Beschäftigten nicht einmal genau, wie ihre Leistung eigentlich bewertet wird. Wo Orientierung fehlt, entstehen Mutmaßungen – und ein Verhalten, das eher auf Sichtbarkeit als auf Substanz setzt. Wenn dazu noch das Gefühl kommt, überwacht zu werden – in der DACH-Region nur unter strengen Auflagen möglich –, richten Menschen ihre Energie auf das, was vermeintlich gemessen wird.
Bleibt diese Unklarheit bestehen, wird die Kluft 2026 weiter wachsen. Unternehmen riskieren eine Arbeitswelt, in der Performance mehr Inszenierung als Realität ist. Wer dieser Entwicklung entgegenwirken will, braucht menschzentrierte Feedbacksysteme: Upward Feedback, 360-Grad-Einblicke, ehrliche, reflektierende Gespräche. Sie schaffen Vertrauen – und ermöglichen ein vollständigeres, realistischeres Bild der Leistung, jenseits von Sichtbarkeitstaktiken.

3. Mensch und KI – zwei Seiten der HR-Medaille

2026 wird KI in HR-Abteilungen endgültig zum Alltag gehören. Standardaufgaben wie die erste Bewerberauswahl oder das Beantworten häufig gestellter Fragen lassen sich effizient automatisieren. Doch je stärker die technischen Möglichkeiten wachsen, desto deutlicher wird auch ihre Grenze. Mit dem vollständigen Inkrafttreten des EU AI Act werden KI-Tools im HR-Kontext als Hochrisiko-Systeme eingestuft – verbunden mit strengen Vorgaben zu Transparenz, Kontrolle und Verantwortung.
HR-Abteilungen müssen deshalb sehr sorgfältig entscheiden, welche Aufgaben sich für KI eignen und welche weiter menschliche Erfahrung brauchen. Denn selbst vermeintlich administrative Tätigkeiten verlangen manchmal Empathie und persönlichen Austausch. 2026 zeichnet sich damit ein doppelter Trend ab: mehr KI in den Prozessen – und gleichzeitig ein geschärftes Bewusstsein dafür, wo ihre Rolle endet. HR wird präziser trennen: maschinenbezogene Fähigkeiten hier, menschliche Fähigkeiten dort.

4. Führung neu denken – Managementpositionen verlieren an Attraktivität

Culture-Amp-Daten zeigen ein klares Bild: 72 Prozent der Generation Z haben kein Interesse an Führungsrollen. Viele bleiben in ihren fachlichen Positionen – und manche entscheiden sich bewusst gegen eine Managementkarriere. Besonders das mittlere Management verliert an Anziehungskraft: Wer zwischen den Erwartungen der Geschäftsleitung und denen des eigenen Teams steht, empfindet die Rolle oft als belastend.
Das kann dazu führen, dass Hierarchien weiter abflachen. Einige sprechen bereits von einer möglichen „Führungsrezession“. Gleichzeitig eröffnen KI-Tools neue Chancen: Sie können Führung zugänglicher machen und Manager entlasten. Damit verändert sich die Dynamik in Teams. Unternehmen werden künftig weniger neue Führungskräfte ernennen und stattdessen die vorhandenen stärker unterstützen. Denn wenn weniger Menschen bereit sind zu führen, ist nicht mehr Führung die Lösung – sondern bessere Rahmenbedingungen dafür.

5. Ambitionen und Leistungsbereitschaft wandern nach außen

Ob Nebenjob, Ehrenamt oder ein leidenschaftlich gepflegtes Hobby – immer mehr Beschäftigte leben ihre Energie und Ambitionen außerhalb des Hauptjobs aus. Sie entdecken Räume, in denen sie ihre Stärken sichtbarer und unmittelbarer entfalten können.
Dieser Trend zu Kreativität, Sinn und Selbstwirksamkeit nach Feierabend wird 2026 weiter wachsen. Für Unternehmen ist das ein Risiko: Wenn die Arbeitswelt keine Antworten liefert, verlagert sich berufliche Motivation dauerhaft nach außen. Die Aufgabe von Führung lautet daher: den Hauptjob wieder so gestalten, dass er Energie gibt, statt nur welche zu ziehen. Arbeit muss sich wieder nach etwas anfühlen, in das sich zu investieren lohnt.

Offene Fragen, die eine Lösung brauchen

Besonders aufmerksam blicken HR-ler auf die nationale Umsetzung der EU-Entgelttransparenzrichtlinie 2026. Doch den stärksten Umbruch bringt die KI - sie verschiebt Rollen, Anforderungen und Erwartungen in rasantem Tempo. Damit wachsen auch die großen Fragen: Was passiert, wenn Berufseinsteiger durch KI kaum noch praktische Erfahrung sammeln? Entstehen Belegschaften, die sich in KI-resistente und KI-affine Gruppen aufspalten? Wie bleibt die Talentbasis stabil, wenn Unternehmen Aufgaben zunehmend automatisieren? Jetzt sind weitsichtige HR-Strategen gefragt. 


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