Mitglieder der PICMG arbeiten erstmals an einem offenen Standard für Industriecomputer. Bislang kocht jeder IPC-Hersteller sein eigenes Süppchen. Welche Vorteile ein Standard hat, wie weit die Spezifikation fortgeschritten ist und wie ModBlox7 genau aussieht, erklärt EKF Elektronik
Markt&Technik: Herr Kleeberg, wie kam es zur Idee für ModBlox7 innerhalb des Standardisierungsgremiums der PCI Computer Manufacturers Group (PICMG)?
Bernd Kleeberg: Die Idee hinter ModBlox7 ist, einen modularen Standard für Industrie-PCs (IPCs) zu schaffen, der gleichermaßen für Wallmount, Hutschienen und 19-Zoll-Montage geeignet ist – und beide Welten miteinander verheiratet. Wichtig ist uns, die Systeme flexibel und austauschbar zu konzipieren und das bei einem gleichzeitig kostengünstigen Ansatz – günstiger, als es bei bisherigen Backplane- oder 19-Zoll-Systemen der Fall ist. Und flexibler als mit bisherigen IPCs. Der Standard muss dem hohen Kostendruck der aktuellen Zeit standhalten, die nötigen Bandbreiten abdecken und günstig zu realisieren sein. Innerhalb der PICMG-ModBlox7-Gruppe beteiligen sich viele interessierte Firmen an der Spezifikation und deren Umsetzung. Das Board bilden die Unternehmen Ci4Rail, Eltec und EKF Elektronik.
Warum nicht beim alten System mit 19 Zoll bleiben?
Kleeberg: Im 19-Zoll-Bereich verursacht die Mechanik hohe Kosten. Möchten wir den Markt erweitern, stoßen wir schnell an die Grenzen der Rentabilität. Also braucht es neue Ideen: modular, erweiterbar, kostengünstig. Umgesetzt wird das mit einer direkten Board-zu-Board-Verbindung ohne Backplane. Lediglich so lassen sich Kunden begeistern und neue Projekte umsetzen.
Wie ist ein IPC nach ModBlox7 aufgebaut, für welche Einbausituationen ist er gedacht?
Kleeberg: In der Spezifikation legen wir bestimmte genormte Befestigungspunkte fest. Das heißt, ein Anwender kann flexibel wählen, welche mechanische Aufnahme er haben möchte, jedoch immer mit den gleichen Fixpunkten. Hiermit lassen sich Module einfach untereinander austauschen. Grundsätzlich haben wir uns beim Standard auf die Befestigungsarten 19 Zoll, DINRail sowie WallMount geeinigt. So können Anwender beispielsweise alte 19-Zoll-Systeme einfach mit ModBlox7 ersetzen.
Manuel Murer: Alle ModBlox7-Module besitzen die Einbaugröße 7 HP oder ein Vielfaches davon. Maximal lassen sich laut Spezifikation 12 Module, sprich 84 HP, zu einem 19-Zoll-System zusammensetzen. Benötigt man weniger Module, lässt sich das C-Profil einfach bei der jeweiligen Länge kürzen. Somit entstehen keine leeren Steckplätze und es ist keine Backplane nötig. Wir haben uns in der PICMG für dieses System entschieden, weil es am kostengünstigsten zu realisieren ist.
Bisher gibt es keinen Standard für IPCs. Welche Vorteile versprechen Sie sich mit dem Standard?
Kleeberg: Mit einem Standard ist ein Kunde nicht mehr von einem einzigen Hersteller abhängig und kann bei den Komponenten aus einem Portfolio mehrerer Unternehmen wählen. Das entspricht einerseits dem Second-Source-Gedanken, andererseits bietet nicht jeder Hersteller jede Komponente an. Zusammen ergibt sich ein umfassendes Ökosystem aus Systemherstellern, die das Gesamtkonzept verantworten, sowie Add-on-Herstellern, die zum Beispiel spezielle I/O-Baugruppen anbieten. In Summe verfügt ein Entwickler über eine breite Auswahl an Lösungsansätzen für ein Projekt. Wir steigern zudem die Attraktivität für Anbieter spezieller Baugruppen, denn sie haben damit ebenfalls mehr Kunden zur Verfügung. Weil es ein offener Standard ist, kann sich außerdem jedes Embedded-Unternehmen individuelle Baugruppen entwickeln lassen oder selbst entwickeln.
Die Spezifikation ist gerade in Arbeit. Welche Schritte sind noch zu tun und bis wann soll sie komplett ratifiziert sein?
Kleeberg: Die Draft der Spezifikation ist sehr weit fortgeschritten – die Arbeitsgruppe innerhalb der PICMG arbeitet permanent daran und trifft sich derzeit wöchentlich. Wir wollen den Standard bis zur embedded world 2023 verabschieden und ihn dort als Kick-off erstmals der Öffentlichkeit präsentieren. Allerdings gibt es bereits erste Prototypen und erste Produkte auf dem Markt, sozusagen als De-Facto-Standard.
Welches Produkt entwickelt EKF derzeit?
Murer: Wir haben eine Marktanalyse durchgeführt, um zu sehen, was Kunden von einem offenen IPC-Ökosystem erwarten. Aufgrund der Analyse werden wir – so der aktuelle Stand – eine KI-basierte Plattform entwickeln. Sie soll auf einer unserer CPU-Baugruppen mit Nvidias Arm-basiertem Jetson-Modul arbeiten und sowohl als Master- als auch als Slave-Baugruppe dienen. Außerdem soll es verschiedene I/O-Baugruppen geben, gerade für den Bereich Single Pair Ethernet.
Kleeberg: Neben Nvidia setzen wir auf Intel-Prozessoren. Auch hierfür wird es zeitnah Produkte geben. Allerdings ist es noch etwas zu früh, um darüber zu sprechen. Zunächst müssen wir den Standard verabschieden – vielleicht können wir sogar zeitgleich unsere ersten Produkte ankündigen.
Gibt es bereits eine Nachfrage nach ModBlox7?
Murer: Erstes Interesse konnten wir auf der InnoTrans-Messe in Berlin beobachten. Zudem gibt es einen Flyer der PICMG, der erste Informationen zu ModBlox7 enthält. Dieser erzeugte schon ein reges Interesse von Unternehmen aus verschiedenen Branchen.
Welche Stückzahlen möchten Sie produzieren?
Kleeberg: Das kann ich derzeit noch nicht absehen, ich erwarte aber sehr hohe Stückzahlen. IPCs nach ModBlox7-Standard können nahezu überall zum Einsatz kommen, wo »normale« IPCs derzeit ihren Dienst tun. Die Möglichkeiten sind riesig – und viel größer als mit unseren bisherigen Systemen. So erfüllen die Bauteile etwa die Anforderungen für den Bahn- oder den Industriebereich, zum Beispiel für speicherprogrammierbare Steuerungen.
Welche Schnittstellen sind verfügbar und wie sieht es mit der Konnektivität aus?
Murer: Unsere Marktrecherche hat ergeben, dass es für alle typischen Schnittstellen bereits Ideen und Produkte gibt – seien es CAN, digitale und analoge I/O-Schnittstellen oder WiFi. Außerdem verfolgen wir die Idee, PCI-Express- und M.2-Trägerkarten zu entwickeln, die ebenfalls als Massenspeicherkarten dienen können. Zudem sind alle Arten von Feldbussen gesetzt. Weiterhin wollen wir GNSS-Module entwickeln, die teilweise mit zehnfacher Genauigkeit arbeiten.
Für welche Einsatzbereiche ist ModBlox7 interessant?
Murer: Die Mitgliedsunternehmen unserer PICMG-Arbeitsgruppe besitzen verschiedene Marktausrichtungen. Ci4Rail oder Eltec sind zum Beispiel eher im Bahnsektor tätig. Wir entwickeln dafür industrielle Applikationen für Messen und Testen oder die Automation. Einen Einsatz im Automotive-Bereich sehe ich für ModBlox7 weniger, vielleicht als Datenlogger mit Single-Pair-Ethernet-Funktion.
Zusätzlich sieht der Standard Redundanzen vor. So lassen sich alle Teile des Systems, zum Beispiel die Stromversorgung, redundant aufbauen – das ist vor allem für Kunden interessant, die hohe Anforderungen an die Systemstabilität stellen.
Markets&Markets prognostiziert einen steigenden Bedarf an IPCs, knapp sechsProzent jährlich bis 2026. Wie kommt der Bedarf in Ihren Augen zustande?
Murer: Maßgeblich entsteht der Bedarf aus der Digitalisierung beziehungsweise dem IIoT. Geräte und Baugruppen sammeln Daten beispielsweise in der Logistik, sie müssen verarbeitet und ausgewertet werden. Gleiches gilt für das Transportwesen – auch in Zügen gilt es, immer mehr Daten zu verarbeiten und zu analysieren. Ebenfalls schafft die öffentliche Hand Stellen für Digitalisierung, denn Kommunen und Städte werden zunehmend digital – Stichwort: Smart Cities. Das alles steigert den Bedarf an Rechenleistung und somit an industriellen Rechnersystemen – über alle Branchen und Bereiche hinweg.
Wie sieht es derzeit mit der Bauteilverfügbarkeit aus? Bekommen Sie die erforderlichen Bauteile, um einen IPC zu produzieren?
Kleeberg: Zum einen haben wir unsere Lagerkapazitäten stark erhöht. Zum anderen verbessert sich die allgemeine Lage allmählich. Bauteile, die vor Kurzem noch über 52 Wochen Lieferzeit hatten, bekommen wir derzeit innerhalb von 16 bis 20 Wochen. Dennoch sind viele Bauteile derzeit noch nicht ab Lager verfügbar. Auch ist die zukünftige wirtschaftliche Lage schwer vorhersehbar. Wir müssen abwarten, wie sie sich entwickelt. Ich denke jedoch, die Bauteilversorgung wird sich nach und nach verbessern.
Herr Kleeberg, Herr Murer, herzlichen Dank für das Gespräch.