Cybertruck ohne 12 V

Steht das Ende für 12 V in BEVs bevor?

14. November 2024, 6:30 Uhr | Iris Stroh
© NXP Semiconductors

Tesla bzw. Elon Musk sieht sich und wird gerne als Trendsetter gesehen. Dass Tesla bei seinem Cybertruck erstmals auf das traditionelle 12-V-Bordnetz verzichtet, führt zur Frage, ob 12 V in reinen Elektrofahrzeugen bald ausgedient haben könnte.

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Hans Adlkofer, Leiter der Automotive System Group bei Infineon, erklärt, dass die Diskussion über 48-V-Systeme bereits vor Jahrzehnten geführt, aber aus technischen und wirtschaftlichen Gründen verworfen wurde. Vor etwa zehn Jahren kehrte das Thema mit Mildhybriden zurück, besonders für Anwendungen mit hohem Stromverbrauch wie E-Federung und Klimakompressoren, die jedoch nur in Luxusautos eingesetzt wurden. Mit dem Aufkommen schwerer BEV-SUVs, die einen hohen Strombedarf haben, sind 12-V-Systeme an ihre Grenzen gestoßen. 48 V ist hier effizienter, »Jedoch benötigen nicht alle Fahrzeugklassen diesen Energiebedarf, was bei Herstellern mit vielen Plattformen zu Skalierungsproblemen führt. „Ein Add-on-Ansatz könnte Lösungen bieten, erhöht aber die Komplexität und Kosten“, so Adlkofer.

48 V bringt auch technische Probleme mit sich

Seine Meinung nach darf auch nicht vergessen werden, dass der höhere Spannungsbereich auch Herausforderungen mit sich bringt. Adlkofer: »Bei elektrischen Designs muss auf elektrochemische Migration, Korrosionsgefahr durch Dauerlasten und Lichtbogenerkennung/Schutz bei Kurzschlüssen geachtet werden.« Dazu kämen noch Interferenzen zwischen 12-V- und 48-V-Strom-, Kommunikations- und Sensorbereichen, die eine physische Trennung von Kabeln und Kabelbäumen erforderlich machen können. Deshalb ist Adlkofer davon überzeugt, dass die Einführung eines 48-V-Bordnetzes schrittweise mit neu eingeführten Architekturen der verschiedenen OEMs zu unterschiedlichen Zeitpunkten erfolgen wird. Adlkofer: »Viele warten darauf, dass die Kosten mit steigendem Volumen sinken und sich die Systemkostenersparnis bei Kabelbäumen, Leistungssteigerungen, Gewichtsreduzierung, geringerem Kühlungsaufwand und Platzersparnis auszahlt.

Adlkofer Hans
Hans Adlkofer, Infineon Technologies: »In den nächsten zehn Jahren wird es je nach Strategie der OEMs eine Mischung aus reinen 12-V-Systemen, Add-on-48-V-Domänen und einer Mischung aus 12 und 48 V geben. Während einige OEMs schnell auf 48 V umstellen, werden andere erst folgen, wenn die Kosten gesenkt werden können. Der Anteil an der 48-V-Stromverteilung in BEVs wird dabei weiter steigen.«
© Infineon Technologies

48 V ermöglicht mehr Leistung bei geringeren Strömen

Clara Otero, Senior Director of System Innovations bei NXP Semiconductors, sieht den Umstieg auf 48 V als notwendigen Schritt, um Kosten zu senken und den steigenden Rechenanforderungen von softwaredefinierten Elektrofahrzeugen gerecht zu werden. Anwendungen wie automatisiertes Fahren oder High-End-Entertainment benötigen mehr Leistung, die mit 48 V effizienter bereitgestellt werden kann. Bei 12 V müssten höhere Ströme fließen, was keiner will. Otero: »48 V ermöglicht mehr Leistung bei geringeren Strömen, was weniger Erwärmung, Abnutzung und dünnere Kabel zur Folge hat. Dennoch werden einige Steuergeräte weiterhin mit 12 V betrieben, da dies kostengünstiger ist.«

Ein komplettes Redesign ist zu teuer

Und Paul Klausner, Marketing Manager Automotive Power bei onsemi, ist überzeugt, dass die Einstiegshürden bei 48 V generell recht hoch sind, einfach »weil die ECUs an den Mikrocontroller-Boards immer 12 V erwarten und ein komplettes, gleichzeitiges Redesign aller Systeme eher unüblich und teuer ist.« Mit der weiteren Einführung von BEVs sei die Bordnetzarchitektur aber wieder in Bewegung geraten – das Ende ist offen.

»Tesla hat gute Gründe«

Pietro Scalia, Senior Director bei Renesas Electronics, merkt an, dass Tesla das 48-V-System nicht nur im Cybertruck, sondern auch im Optimus-Roboter und in zukünftigen Elektrofahrzeugen einsetzen will. Das hat seiner Meinung nach gute Gründe. Das fängt damit an, dass der Umstieg von der 12-V-Blei-Säure-Batterie auf eine 48-V-Lithium-Ionen-Batterie eine höhere Leistungsdichte, einen kleineren Formfaktor und eventuell die Nutzung von Tesla-eigenen Batterien ermöglicht. Dazu kommen verringerte Energieverluste durch leichtere, kostengünstigere Kabel. »Die neue Batterie verbessert die Zellleistung, Lebensdauer und Sicherheit und lässt sich einfach in elektronische Systeme integrieren«, so Scalia. Diese Technologie ist nicht nur für Elektrofahrzeuge, inklusive Zwei-/Dreiräder, sondern auch für Verbrenner und Hybride relevant. Und dass 48 V nicht neu ist, darauf weist auch Scalia hin; dass jetzt verstärkt darauf gesetzt wird, liegt daran, dass einfach viel mehr elektronische Systeme im Fahrzeug eingesetzt werden, »sodass das aktuelle 12-V-Blei-Säure-Batteriesystem eine erhebliche Leistung liefern müsste, möglicherweise bis zu 10 kW«, so Scalia. Und mit 48 V reduziert sich der Strom um den Faktor 4. Scalia betont, dass es in Elektrofahrzeugen langfristig sinnvoll wäre, die 12-V-Batterie komplett wegzulassen. Und nachdem seiner Meinung nach ab 2025 der Großteil der Fahrzeugproduktion aus BEVs bestehen soll, sind die Tage für 12 V aus seiner Sicht wohl doch gezählt.

Mangler Andreas
Andreas Mangler, Rutronik: »Aktuell liegt der Anteil von 12-V-Komponenten in Neufahrzeugen noch bei rund 40 bis 60 Prozent, aber dieser wird sich in den kommenden Jahren verringern, insbesondere in BEVs und Hybriden.«
© Rutronik

Potenzieller Wendepunkt

Andreas Mangler, Director Strategic Marketing bei Rutronik, erklärt, dass der Verzicht auf den 12-V-Bus im Tesla Cybertruck ein Wendepunkt in der Fahrzeugarchitektur von Elektrofahrzeugen (BEVs) sein könnte. Das 12-V-System war lange Standard, doch wachsende Anforderungen an Effizienz und Leistung treiben seiner Meinung nach den Wechsel zu 48-V-Systemen voran. Die Umstellung galt bisher als teuer und komplex, doch mit der Verfügbarkeit von 48-V-Komponenten könnte sich dies ändern. Für BEVs verliert der 12-V-Bus aus der Sicht von Mangler an Bedeutung, während er für Plug-in-Hybride und Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren vorerst wichtig bleibt. Der Anteil der 12-V-Verbraucher, besonders bei Heizung, Klimaanlagen und Assistenzsystemen, sinkt zugunsten von 48-V-Systemen. Dennoch bleiben 12 V für Beleuchtung und Infotainment relevant. Derzeit liegt der Anteil von 12-V-Komponenten in Neuwagen bei 40 bis 60 Prozent, wird aber weiter zurückgehen. Die Integration von DC/DC-Wandlern könnte eine Möglichkeit bieten, um 12-V-Verbraucher effizient zu versorgen, bringt jedoch höhere Kosten und Aufwand mit sich. OEMs müssen abwägen, ob der komplette Wechsel zu 48 V langfristig wirtschaftlicher ist. Mangler: »Hintergrund hierzu sind die notwendigen dezentralen PoL-DC/DC-Wandler, die in den Steuergeräten eingesetzt werden müssen, um 12, 5, 3,3 oder 1,8 V Spannung zur Verfügung zu stellen. Mit galvanischer Trennung ist die PoL-Lösung womöglich noch teurer. Zudem sind vorsorglich geeignete Schutzmaßnahmen und Filtermaßnahmen gegen Störungen im 48-V-Bordnetz zu berücksichtigen. Bei der Gesamtkostenanalyse sind dies wichtige Aspekte.«

Scalia Pietro
Pietro Scalia, Renesas: »Die Umstellung auf ein 48-V-Bordnetz in BEVs hat sich wegen der allgemeinen Marktschwäche verzögert. Allerdings haben mehrere Hersteller in Nordamerika und wichtige Zulieferer in Europa Pläne zur Entwicklung einer 48-V-Architektur vorgelegt, die in zukünftigen Fahrzeugmodellen umgesetzt werden sollen.«
© Renesas Electronics

Das Interesse im Markt ist groß

STMicroelectronics betont, dass der Übergang zu einem 48-V-Bussystem zwar viele der bereits beschriebenen Vorteile aufweist, aber auch technische Herausforderungen mit sich bringt. Diese bekannten Vorteile werden besonders bei BEVs wichtig, die folglich aus der Sicht von ST als erste vollständig auf 48 V umstellen sollten. Andere Mobilitätsplattformen könnten vorerst beim 12-V-System bleiben. Aus der Sicht von ST stellt die begrenzte Verfügbarkeit von Komponenten für 48-V-Systeme eine Hürde dar, was in der Anfangsphase zu höheren Kosten führen könnte. Automobilhersteller müssen daher zwischen Einsparungen und anfänglichen Investitionen abwägen – wobei ST betont, dass das Interesse an dieser neuen Architektur bei zahlreichen Direktkunden groß ist.

12 V wird nicht komplett verschwinden

Donovan Porter, General Manager und zuständig für Karosserie und Beleuchtung bei Texas Instruments, hält es für unwahrscheinlich, dass 12-V-Systeme komplett verschwinden, da verschiedene Fahrzeugtypen, auch bei BEVs, gar keine so großen Vorteile von einer Abkehr hätten. Er fügt hinzu, dass OEMs aber auf 48 V umstellen können, da entsprechende Komponenten wie Batterien, Halbleiter und Motoren inzwischen verfügbar sind. Porter: »Elektrofahrzeuge erleichtern die Einführung von 48 V durch den Wegfall des Generators und die Nutzung von DC/DC-Wandlern zur Spannungsumwandlung.« Anwendungen mit hohem Leistungsbedarf wie Servolenkung oder Bremsen profitieren besonders von 48 V, dennoch »wird 12 V weiterhin benötigt, bis die gesamte Lieferkette auf 48 V umgestellt ist«, so Porter. Und abschließend: »Der größte Vorteil von 48 V liegt in der Reduzierung von Kabelgröße, Gewicht und Kosten. OEMs werden jedoch 12 V für kleinere Lasten beibehalten, da dort die Optimierung weniger Nutzen bringt.«

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