Hirn-Computer-Schnittstellen bieten neue Hoffnung für Menschen mit Lähmungen und neurologischen Störungen wie Depression, Epilepsie, Angstzuständen, Demenz oder Parkinson. Das Marktpotential für »Neurotech« ist riesig und geht weit über die Medizintechnik hinaus. Wir stellen die Technologie vor.
Elon Musks hat mit Tesla die Elektromobiltät verändert; mit seiner Medizintechnik-Firma Neuralink und seinem »Brain Chip« will er nun in das menschliche Gehirn eingreifen. Doch auch abseits von Musks markigen Ankündigungen sind Gehirn-Computer-Schnittstellen ein großes Hype-Thema in der Medizintechnik - der technologische Wettlauf um die Einpflanzung von Hirnimplantaten in Menschen wird immer intensiver.
Neurotech & Neuro-Implantate |
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Neurotech ist der Bereich der Medizintechnologie, der sich mit der Erforschung des Nervensystems und des Gehirns befasst. Die Neurotechnologie befasst sich mit der Entwicklung von Geräten und Therapien, die das Nervensystem stimulieren oder auch manipulieren, um Krankheiten zu behandeln und die menschliche Leistungsfähigkeit zu steigern. Das menschliche Gehirn ist komplex, aber die Neurotechnologie zielt darauf ab, seine Funktionsweise zu entschlüsseln und zu kontrollieren - dies könnte langfristig zu einer Revolution in der Medizin, dem Gesundheitswesen und auch der Technologie führen. Neuroimplantate sind Medizingeräte, um die Gehirnfunktion zu erfassen oder zu beeinflussen - sie setzen an den elektrischen Nervenbahnen an. Es gibt verschiedene Arten von Brain-Computer-Interfaces (BCI), darunter invasive BCI, die Neurochips, Prothesen, Exoskelette und tiefe Hirnstimulationen umfassen. Diese Interfaces ermöglichen es, Signale aus dem Gehirn zu erfassen und sie beispielsweise zur Steuerung von Prothesen oder Exoskeletten zu verwenden - gelähmte Menschen können per BCI aber auch wieder selbstständig E-Mails verfassen oder essen. Nicht-invasive BCI messen die Hirnaktivität über am Körper getragene Wearables, wie etwa Sensoren oder spezielle Helme. |
Die ersten Hirn-Computer-Schnittstellen entstanden bereits in den 1960iger Jahren. Der Science-Fiction-Traum vom Cyborg wurde zunächst an Tieren getestet. Bereits in den 1990iger Jahren konnten Affen mit einem implantierten Chip im Gehirn einen Cursor am Bildschirm rein mit der Kraft ihrer Gedanken bewegen. Was die Forscher überraschte: Für das Auslesen der gedachten Bewegung reichten die Signale von zwischen sieben und 30 Neuronen. Je besser die Wissenschaft das Gehirn verstand, desto ausgefeilter wurden die Anwendungen und ermöglichten es gelähmten Menschen, Roboterarme zu bewegen, Videospiele zu spielen und mit ihrem Geist zu kommunizieren. Für ALS-Kranke wie den Astrophysiker Stephen Hawking, der bis zu seinem Tod über einen Sensor in der Wange kommunizierte, soll es bald möglich sein über einen Sensor im Gehirn zu sprechen bzw. Sprache generieren zu lassen.
Mithilfe des technologischen Fortschritts, der Robotik, moderner Sensorik und Künstlicher Intelligenz sowie mit immer kleineren Elektronik-Bauteilen hat sich die Forschung an Hirn-Computer-Schnittstellen in den letzten Jahren exponentiell entwickelt. Mehrere BCI-Forschungsprojekte für Hirn-Schnittstellen sind von der FDA bereits für das Testen am Menschen freigegeben. Nach dem Durchlaufen der klinischen Testphasen könnten sie damit bald einer breiteren Masse an Patienten zur Verfügung stehen.
Die Liste der Krankheiten, die mithilfe von Hirn-Implanten und oder Neurostimulation behandelt werden könnten, ist lang. Besonders intensiv wird Forschung für Patienten mit Lähmungen und muskelbedingten Bewegungsstörungen, wie sie bspw. nach Unfällen oder bei neurodegenerativen Krankheiten wie ALS oder Multipler Sklerose auftreten, betrieben. Aber auch psychische Leiden wie Depressionen und Demenz liegen im Fokus der Wissenschaft, zumal die weltweiten Fallzahlen und damit das Marktpotenzial für zukünftige Medizingeräte deutlich höher sind.
Die wichtigsten Indikationen sind:
Die Anwendung von Neuroimplantaten bietet also vielversprechende Ansätze für die Behandlung verschiedener neurologischer Erkrankungen und Zustände.
Neurostimulation gegen ALS |
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Jährlich erkranken 2 Mikroprozent der Weltbevölkerung, also rund 2 von 100.000 Menschen, an Amyotropher Lateralsklerose - besser bekannt als ALS. Männer in Europa sind überdurchschnittlich oft betroffen. Im Verlauf der neurodegenerativen Krankheit sterben die Neuronen zur Übertragung der Signale an die Muskeln ab, die Befehle aus Hirn und Rückenmark werden erst schwächer und bleiben schlussendlich ganz aus. Was mit leichten Bewegungsausfällen beginnt, geht in Lähmungen über und endet oftmals innerhalb weniger Jahre mit dem Tod. Neuroimplantate können bei ALS-Patienten gestörte Nervensignale ersetzen oder modulieren und damit die ausfallende Motorik verbessern. Die Forschung ist vielversprechend. Insbesonderen die Tiefenhirnstimulation, bei der Elektroden ins Gehirn der Patienten eingepflanzt werden, könnte bei ALS-Patienten zum Game Changer werden. Die spezifische Anwendung von Neuroimplantaten bei ALS muss allerdings weiter erforscht werden. Das Potenzial, ALS mittels Neuroimplantaten innerhalb der nächsten Jahre vom Status »unheilbar« zu befreien, ist sehr groß. |
Das amerikanische Start-Up Motif Neurotech entwickelt Implantate zur Stimulation des Nervensystem bei bisher behandlungsresistenten Fällen von Depression. »Minimale invasive Bioelektronik ist die Zukunft der Behandlung von psychischen Erkrankungen«, sagte beispielweise CEO und Gründer Jacob Robinson. »30 Prozent der Patienten mit Depressionen sprechen nicht auf zwei oder mehr Medikamente an, und es besteht ein erheblicher Bedarf an zusätzlichen, wirksamen und leicht zugänglichen Therapieoptionen«. Der von Motif entwickelte Mikrostimulator ist ein drahtloses, batterieloses Implantat, das in einem 20-minütigen ambulanten Eingriff eingesetzt und dauerhaft getragen wird. Motif konnte in nachweisen, dass das erbsengroße Mini-Implantat gegen Depressionen das menschliche Gehirn sicher und effektiv stimuliert, ohne dabei die Oberfläche des Gehirns zu berühren.
Alle derzeit in Entwicklung befindlichen BCI dienen zumeist nicht der Heilung, sondern sollen die Auswirkungen der Krankheiten mildern, ausgleichen oder Betroffenen zumindest einen halbwegs normalen Alltag ermöglichen. Über die Medizin hinaus sollen neurologische Implanate langfristig auch als Gehirn-Booster die kognitiven Fähigkeiten des Menschen verbessern.
Die Entschlüsselung neuronaler Signale, die für die Funktionalität von Neuroimplantaten entscheidend ist, erfordert oft den Einsatz von KI und maschinellem Lernen. Da die Hirnforschung noch vergleichweise am Anfang steht und neuronale Korrelationen geistiger Prozesse noch wenig verstanden sind, unterstützt KI die Verarbeitung und Interpretation dieser Signale.
Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in Hirn-Computer-Schnittstellen wirft jedoch ethische Fragen auf, da die Technologie direkte Auswirkungen auf das menschliche Gehirn hat. Neuroethiker verfolgen die Entwicklungen aufmerksam und wollen sicherstellen, dass ethische Aspektebereits in den frühesten Phasen der Entwicklung und bei der Anwendung berücksichtigt werden.
Insbesondere in den USA, aber auch in Europa hat sich mittlerweile eine milliardenschwere Industrie für Neuroimplantate gebildet.
»In Zukunft könnten Hirn-Computer-Schnittstellen so gewöhnlich werden wie Herzschrittmacher heute.« |
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Blackrock-Investor Christian Angermayer |
Mit der fast gleichzeitigen Gründung der Firmen Neuralink, Kernel und Synchron kann 2016 als das Geburtsjahr der kommerziellen Neuro-Implanat-Industrie angesehen werden, auch wenn dieser Durchbruch auf jahrzehntelanger Forschung fusst. Blackrock wurde bereits 2008 gegründet, die Firma fokussierte sich zunächst aber auf Forschungsprojekte und den Verkauf von Software und Hardware an andere Forschende.
Allein die beiden Unternehmen Neuralink und Synchron konnten seit ihrem Bestehen ein Investitionsvolumen von fast 500 Millionen US-Dollar einsammeln. Ingesamt flossen Schätzungen zufolge im Jahr 2021 über 1,7 Milliarden Dollar in die junge Medizintechnik-Industrie. Der Boom ist ungebochen, wie etwa die aktuelle Series-A-Finanzierung über 18,75 Millionen Dollar von Motif Neurotech für seinen Mini-Hirn-Schrittmacher gegen Depressionen zeigt.
Die beträchtlichen Investitionen spiegeln das wachsende Interesse an neurotechnologischen Innovationen und deren Potenzial zur Bewältigung von neurologischen Erkrankungen wider. Laut einem Bericht von Allied Market Research wird der weltweite Markt für Neurotechnologie bis 2026 voraussichtlich ein Marktvolumen von 30,8 Milliarden US-Dollar erreichen. Dies entspricht einer jährlichen Wachstumsrate von 13,3% im Zeitraum von 2019 bis 2026.
Das Einsetzen eines Musk'schen Neuralink-Implantes soll beispielweise knapp 10.000 Dollar kosten - einschließlich aller Untersuchungen und der Hardware. Nachdem sich nach der Freigabe durch die amerikanische Zulassungsbehörde FDA bereits tausende Menschen als Versuchsobjekte gemeldet haben, rechnet das Unternehmen mit einem jährlichen Umsatz in Höhe von 100 Millionen Dollar in den nächsten fünf Jahren.
Das Wachstum und die großen Erwartungen an die Neurotech-Branche basieren jedoch nicht allein auf seinem Einsatz in der Medizintechnik.
Neuroimplantate könnten über die reine Medizintechnik hinaus als weitläufigere Bioelektronik zusätzlich die Gesundheit, Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden von Menschen verbessern. Elon Musk propagiert die Verschmelzung von Mensch und Computer. Für die Ausweitung in die Bereiche Sport, Wellness und Wohlbefinden könnte eine Kombination aus Neurotech-Technologie und Wearbales sorgen. Tragbare Geräte wären dann in der Lage, die Gehirnaktivität in Echtzeit überwachen, die mentale Gesundheit zu verfolgen und personalisiertes Coaching sowie möglichweise auch eine automatisierte Gehirn-Stimulation basierend auf dem persönlichen Empfinden anzubieten oder zumindest bei Unregelmäßigkeiten frühzeitig warnen. Musk nennt das »Fitness-Tracker für den Kopf«.
Die Neurotechnologie verspricht nicht weniger als eine Revolution für die Medizintechnik und den gesamten Gesundheitsbereich. Neben den Gehirn-Computer-Schnittstellen spielen die Neuroprothetik, die Neuromodulation und die kognitive Verbesserung eine große Rolle für den Hype und das hohe Investionsvolumen - Start-ups spielen eine führende Rolle in der Entwicklung der Neuroimplantate, sowohl in der Forschung wie auch dem Go-to-Market. Wie bei dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz und anderen »neuen Technologien« müssen bei der Verbreitung der Neuroimplanate - insbesondere über die reine Medizintechnik hinaus - jedoch ethische Überlegungen und Herausforderungen mitgedacht werden. (uh)
Hinweis: Die Recherche zu diesem Artikel wurde mit der Nutzung von Perplexity AI unterstützt.