Bildverarbeitung für die Medizintechnik

»Jeder Brillenträger hat wohl schon in eine IDS-Kamera geschaut«

5. Juni 2025, 10:00 Uhr | Ute Häußler
Geschäftsführer Jan Hartmann
© IDS

Der Kamerahersteller IDS stellt sich strategisch in der Medizintechnik auf und verfügt bereits über viel Medical-Vision-Erfahrung. Geschäftsführer Jan Hartmann und Medical-Experte Phillip Schissler beleuchten den Branchenfokus sowie Kriterien und die Tech-Trends der medizinischen Bildverarbeitung.

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Was waren die Gründe für den verstärkten IDS-Fokus auf die Medizintechnik?

Hartmann: Wir sehen viel Entwicklung in der Medizintechnik. Bei unseren Maschinenbau- oder Automobilkunden läuft es aktuell eher schwierig. Im Bereich Medical hingegen, der mit über einem Viertel bereits jetzt einen wesentlichen Beitrag zu unserem Gesamtumsatz leistet, zeigt sich trotz der wirtschaftlichen Schwäche eine dynamische Entwicklung: Der Bedarf an Projekten und Neuentwicklungen ist nach wie vor deutlich spürbar. Dazu kommt, dass wir in Bezug auf Technologie und Knowhow bestens aufgestellt sind, wir haben ein gutes Standing im Medtech-Markt und zählen mehrere »große Namen« zu unseren aktiven Kunden. Deshalb möchten wir den Markt jetzt auch strategisch adressieren und schauen, wo wir zum einen Bestandskunden weiterentwickeln können und zum anderen neue Medizintechnik-Kunden gewinnen.

Aus welchen Bereichen der Medizintechnik kommen Ihre Kunden aktuell?

Schissler: *lacht* Das würde eindeutig den Rahmen sprengen! Eigentlich gibt es keine medizinische bild- und kamerabasierte Anwendung, die wir nicht umsetzen. Ein großer Bereich ist die Labortechnik. Das reicht von der automatisierten Verlaufskontrolle von Leberflecken in der Dermatologie bis hin zur Invitro-Diagnostik und PCR-Testing per Fluoreszenzauswertung. Wir sind auch sehr stolz, dass unsere Produkte in der Zellforschung und Mikroskopie laufen.

Auf Medizingeräteseite haben wir einige große Kunden in der Ophthalmologie, wahrscheinlich hat jeder Brillenträger schon einmal in eine IDS-Kamera hineingeschaut. Spaltlampen werden mit unseren Kameras hergestellt, OCT-Geräte oder auch Übersichtskameras für die korrekte Positionierung der Augen des Patienten in der Laserbehandlung bei Netzhautkrümmungen. In der Radiologie überwachen IDS-Kameras den Zustand von Menschen, die in CT-Scannern liegen und kommen für die Positionierung und das Tracking von Patienten in der Strahlentherapie zum Einsatz.

IDS-Kameras werden auch in der Medizintechnikfertigung eingesetzt, z. B. in der automatisierten Sichtprüfung starrer Endoskope oder zur Qualitätssicherung in der Produktion von Impfstofffläschchen.

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Der »Medizinmann« bei IDS Imaging: Medical-Experte Phillip Schissler.
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Mit welchen Erfolgsfaktoren wollen Sie die Medizintechnik ausbauen?

Hartmann: Wir sind stark im Customizing und können sehr individuell auf Kundenwünsche eingehen. Die Entwicklung eines Medizingerätes unterscheidet sich deutlich von einem Projekt im Maschinenbau, die Anforderungen sind größer und aufwendiger, die Projekte langwieriger. Wir haben sehr viele Möglichkeiten, unsere Produkte an die exakten Bedürfnisse der Medtech-OEMs oder -Zulieferer und der spezifischen Medizingeräte anzupassen. Mit unserer langjährigen Erfahrung können wir schnell die richtige Lösung finden und dem Kunden an die Hand geben.

Schissler: Mit den langen und dementsprechend kostenintensiven Entwicklungszyklen sowie dem hohen Zertifizierungsaufwand in der Medizintechnik müssen die fertigen Produkte unserer Endkunden lange auf dem Markt bleiben können. Das heißt, auch Bauteile und Kameratechnik müssen sehr, sehr lange lieferbar sein.

Langzeitverfügbarkeit gehört zu unseren Stärken: So haben wir beispielsweise bis 2024 die vielfach eingesetzte Framegrabber-Technik geliefert, die wir über 25 Jahre hinweg zuverlässig bereitgestellt haben. Selbst die von Sony bereits vor 10 Jahren abgekündigten CCD-Sensoren waren bei uns noch bis vor Kurzem verfügbar.

Hartmann: Als familiengeführtes Unternehmen haben wir die Freiheit, Entscheidungen nicht nur nach Zahlen, sondern nach den Bedürfnissen der Menschen hinter den Projekten zu treffen. Wir sehen nicht nur Produkte und Lagerbestände – wir sehen unsere Kunden mit ihren individuellen Anforderungen und langfristigen Projekten.

Während in börsennotierten Unternehmen der Lagerumschlag oft eine entscheidende Kennzahl ist, zählt für uns vor allem die Partnerschaft: Wenn wir wissen, dass hinter einem Bauteil ein konkretes Kundenprojekt steht, gehen wir im Zweifel in Vorleistung – und halten das Teil auch über Jahre hinweg für Kunden auf Lager. Gerade in der Medizintechnik ist dieses Entgegenkommen für eine langfristige Verfügbarkeit wichtig. Wenn ein Hersteller Sensoren abkündigt, schauen wir gemeinsam nach Alternativen oder wie wir das Produkt noch weitere fünf Jahre produziert bekommen.

Schissler: Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Unterstützung der Medizinkunden bei der Zertifizierung. Hier punkten wir mit eigenen zertifizierten Prozessen, sei es die Rückverfolgbarkeit von einzelnen Kameramodellen oder die 100-Prozent-Qualitätssicherung und -kontrolle.

Welche Trends und Funktionen sind in der medizinischen Bildverarbeitung ­gerade wichtig?

Schissler: Der Trend zu hohen Sensorauflösungen hält an, hohe Megapixel sind weiter wichtig.  Wenn eine Handy-Kamera bis zu 100 MP besitzt, warum sollte für eine Untersuchung des menschlichen Auges eine 1-MP-Kamera ausreichen? Jedoch ist es gerade im medizinischen Kontext wichtig, dass die Bilder nicht »schöngerechnet« werden, sondern die Realität widerspiegeln. Hohe Auflösungen bringen nicht in allen Bereichen bessere Ergebnisse. Es muss in erster Linie immer um eine reale Verbesserung der Anwendung gehen. 

Hartmann: Die Digitalisierung schreitet generell in der Medizintechnik immer schneller voran. Wir sehen in unseren Projekten, dass es einen Shift von der reinen Arzteinschätzung hin zu computerbasierten Systemen gibt, die die Mediziner unterstützen – gerade, wenn es um die Auswertung von medizinischen Bilddaten geht. KI und Arzt gemeinsam erreichen etwa bei der Begutachtung von Leberflecken deutlich höhere Erkennungsraten. Hier spielt die passende Kameratechnik eine sehr große Rolle. 

In der Chirurgie wandelt sich das Setting peu à peu weg vom einzelnen Operateur, hin zu robotergeführten OPs mit einer hohen Wiederholgenauigkeit. Hier geht es um Reproduzierbarkeit und Präzision sowie eine kamerabasierte Dokumentation. Die Bandbreite der medizinischen Systeme reicht vom einfachen Barcode-Scanner, über das bildbasierte Tracking von OP-Besteck bis eben zur chirurgischen Unterstützung – je nach Anwendung sogar im gleichen Vision-System. Diese Entwicklung vollzieht sich gerade wahnsinnig schnell – und gerade auf der Software-Seite ist KI omnipräsent.

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Für gute Sicht in Ophthalmologie-Geräten sorgen u.a. IDS-Kameras oder Embedded-Vision-Boards, meist in kundenspezifischen Ausführungen.
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Bei den diversen Medizin-Applika­tionen: Nach welchen Kriterien sollten Medtech-Entwickler ihre Vision-Kameras auswählen?

Schissler: Wichtig ist immer: Wieviel Licht gibt es? Fluoreszenz ist meist eine No-Light-Anwendung, ein Hersteller von Mikroskopen dagegen kann die benötigte Helligkeit selbst steuern und ist nicht auf super-lichtsensitive Sensoren angewiesen. Beim Eye-Tracking in der Ophthalmologie dagegen kommt es wiederum auf sehr schnelle Bildwiederholraten an – was für eine lichtschwache Anwendung mit zwei Sekunden Belichtungszeit absolut nebensächlich wäre. 

Die Kameraauswahl ist im Prinzip so variabel wie die Anwendungen und Krankheitsbilder, die damit untersucht werden sollen. Wir kommen mit einer riesigen Bandbreite an Sensoren und verschiedenen Standard-Kamerafamilien auf über 5.000 verschiedene Produkte – da ist meist für jeden was dabei. Für individuelle Medizingeräte ­können wir auch Anpassungen vornehmen und sehr flexibel auf die Anforderungen reagieren. Gerade in der Medizintechnik reden wir eigentlich meist über Sonderanfertigungen.

Haben Sie ein aktuelles Beispiel für solch ein Entwicklungsprojekt?

Schissler: Nehmen wir ein Handheld-Gerät in der Diagnostik – das muss dem Arzt für ein optimales Untersuchungsergebnis auch gut in der Hand liegen. Da haben Sie keine Chance, eine Standardkamera im 29-Millimeter x 29-Mllimeter-Gehäuse einzubauen. Für diese Kunden entwickeln wir dann eine eigene Platine, mit anwendungsspezifischer Hardware, anderer Bestückung, Schnittstellen und individuellen Sensoren. Das ist unser Vorteil – ein Großteil unserer IDS-Kollegen arbeitet in der Entwicklung, und zwar sowohl an unserem Standard-Portfolio sowie gleichzeitig in der Hard- und Softwareentwicklung für spezifische Kundenprojekte. Das kommt der Medizintechnik auch in dem Sinn zugute, dass wir mit Hinblick auf die lange Nutzungsdauer immer State-of-the-Art-Technologie auswählen.

Könnte ich als Entwickler für die nächste Geräte-Generation oder -Iteration den Sensor austauschen und upgraden?

Schissler: Bezüglich der Zertifizierung in der Medizintechnik kommt es darauf an, ob die Bildverarbeitung zur kritischen Anwendung gehört oder im Gegensatz dazu nur ein Übersichtsbild am Gerät liefert. In der Medizin dürfen wir laut Vertragswerk meist noch nicht mal die Firmware upgraden, weil das Gerät ansonsten re-zertifiziert werden müsste. 

Hartmann: Aus rein technischer Sicht ist ein Plattformansatz jedoch sehr sinnvoll in der Entwicklung, dafür haben wir ja auch unsere Kamerafamilien. Da kommen regelmäßig neue Technologien und Sensoren, die auf der gleichen Hard- und Software basieren. Medtech-Entwickler kennen die grundlegende Technik dann schon und können recht schnell – wie gesagt abgesehen von einer eventuellen Neu-Zertifizierung – auf neue Technologien und Funktionen upgraden. 

Mit dem jetzt offiziellen Fokus auf die Medizintechnik – was sind Ihre Pläne für dieses Jahr?

Hartmann: Im deutschsprachigen Raum haben wir uns bereits über viele Jahre ­einen Namen in der Medizintechnik gemacht. Jetzt wollen wir auch international stärker wachsen und als Bildverarbeitungsexperten im Bereich Medical wahrgenommen werden. 
Mit Phillip Schissler haben wir einen absoluten Medical-Experten am Start – dieses Wissen werden wir jetzt auch an die Kollegen im Ausland transferieren – damit wir die Medizintechnik-OEMs noch besser beraten können. Wir merken bereits jetzt, dass internationale Medtech-Kunden auf uns aufmerksam werden, die für ihre Projekte einen erfahrenen und verlässlichen Partner suchen. Unsere vielfältigen Customizing-Optionen geben uns – gerade gegenüber asiatischen Herstellern – eine richtig gute Ausgangslage.

Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg!


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