Genau das macht vor allem die zentraleuropäische EMS-Industrie so erfolgreich – und das auch in turbulenten Zeiten. »Die enge Zusammenarbeit mit den Kunden und Lieferanten unterscheidet uns von den großen Playern in Asien, die den deutschen Markt gar nicht in der Art wie wir bedienen könnten«, betont Rönisch. »Das partnerschaftliche Miteinander ist für uns DIE Chance, dass wir als Branche hier Bestand haben. Wenn uns das nicht gelänge, würde man uns nicht mehr brauchen.«
Dass es in Folge von Materialengpässen zu Abkündigungen kommt, ist systemimmanent, meint Michael Velmeden, Geschäftsführer von cms electronics. »Die Hersteller sind aus wirtschaftlichen Gründen oft nicht mehr bereit, den Weg der enormen Varianten-Vielfalt weiterzugehen. Die Folge sind Produktbereinigungen – sprich Abkündigungen. Das heißt für uns, dass wir uns bereits beim Design darauf einstellen müssen, aber dazu brauchen wir natürlich entsprechende Informationen. Wir müssen vorne anfangen und nicht hinten, wenn die Produkte schon im Markt sind.« Dazu beschäftigt sich cms electronics wie viele in der Runde vertretene Firmen seit einigen Jahren intensiv mit dem Obsolescence-Management, das im Idealfall bereits bei der Entwicklung und nicht erst bei der Beschaffung der Bauteile beginnt.
Trotz aller Schwierigkeiten: Aus der Bahn wirft die EMS-Industrie so schnell nichts: »Die deutschsprachige Industrie ist erfolgreich, weil es die Hidden Champions der EMS-Branche gibt, darum funktioniert die Wirtschaft so gut. Und dass wir als Branche Rezepte für die Schmerzen anbieten, die es eben in der Industrie gibt, das ist erfolgreich, und das sollten wir auch in Zukunft tun«, fasst Schmitt zusammen.
Die Probleme rund um die Materialbeschaffung sehen die Diskussionsteilnehmer sogar als weitere Chance für die EMS-Branche, um neue Kunden zu gewinnen: »So mancher OEM tut sich das nicht mehr an und vergibt das komplette Paket – inklusive Beschaffung – an einen Elektronik-Dienstleister«, erklärt Voigtsberger. »Die Logistik-Kette mit der Materialbeschaffung wird immer wichtiger im Dienstleistungsgeschäft eines EMS, Bestücken hingegen ist „Brot & Butter“.
Wichtig wird auch in diesem Zusammenhang die Wertschöpfung bis hin zur Entwicklung, denn je mehr Wertschöpfung ein EMS im Haus hat, umso flexibler ist er, etwa wenn es um ein Ersatzbauteil geht. Wo ich das nicht habe, ist immer wieder Rücksprache erforderlich.« Je länger ein EMS mit einem Kunden zusammenarbeitet, umso weniger Reibungsverluste gibt es nach Ansicht von Albrecht Faber auch bei der Materialverfügbarkeit, »weil wir im Zuge einer gewachsenen Partnerschaft viel früher in die Designphase mit eintreten und unser Bauteil-Know-how mit einbringen. Das ist schließlich auch unser Mehrwert.« Kann der EMS seine Bauteile-Expertise mit einbringen, kann er auch die Materialverfügbarkeit dahingehend beeinflussen, dass Bauteile für mehrere Kunden-Designs eingesetzt werden. Dadurch lassen sich Mengen bündeln und Win-Win Situationen für alle Beteiligten erzeugen. Erst durch eine enge Verzahnung zwischen Dienstleister und Kunde lasse sich auch das Wachstum innerhalb eines Projektes managen, unterstreicht Rainer Wagner: »Wir haben Kunden mit einem Wachstum um 100 bis 400 Prozent. Ohne stabile Lieferkette wäre das gar nicht machbar.«
Aber nicht für jeden EMS ist die frühe Entwicklungszusammenarbeit mit dem Kunden auf breiter Front umsetzbar. Denn Entwicklungsleistungen sind nicht gleich Entwicklungsleistungen, sondern erfordern eine Spezialisierung auf Anwendungsbereiche, Technologien usw. und damit einhergehend viel Personal. Kleinere EMS-Firmen haben es da deutlich schwerer, merkt Roland Hollstein an. »Ein Eckpfeiler unserer Risikovorsorge ist, dass wir möglichst breit aufgestellt sein wollen. Aber ich kann als kleiner EMS nicht 50 Entwickler vorhalten, die sich in allen Branchen auskennen.«
Letztlich wird vom EMS rund um das Materialmanagement ein immer breiteres Dienstleistungsangebot erwartet – oft noch ohne dass Mehrwert-Leistungen auch extra entlohnt werden. »Wir müssen das ganz nüchtern sehen und das Dienstleistungsangebot des EMS noch besser verkaufen«, sagt Michael Velmeden. »Klagen hilft aber nichts, sondern wir sollten uns überlegen, wie wir in der Kette unsere Rolle finden. Bezahlen tut der Kunde nur das, was wir einfordern.«