Bauteileverfügbarkeit beim EMS

»Bauteile ohne große Ankündigung auf den Hof gekippt«

29. November 2023, 15:51 Uhr | Karin Zühlke
Roland Hollstein, Grundig Business Systems: »Auf der einen Seite haben wir in der Vergangenheit aufgrund der Bauteilsituation alles getan, um an Bauteile, die mit Lieferzeiten von mehr als 52 Wochen gehandelt wurden, heranzukommen, in Absprache mit den Kunden zu deutlich höheren Preisen. Viele dieser Bauteile – aber nicht alle – wurden uns nun nach langen Wartezeiten ohne große Ankündigung auf den Hof gekippt.«
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Wie schätzen die EMS-Firmen die Bauteileverfügbarkeit ein? Entspannung »ja«, aber längst ist nicht alles wieder im grünen Bereich. Und mancherorts quillen die Lager über, was zum Problem des Working-Capital wird.

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Thomas Zimmermann, Leiter Produkte, Dienstleistungen und Kundencenter bei der TQ-Group, beschreibt seine Sicht der Lieferfähigkeit: »Die Verfügbarkeitssituation hat sich in Summe zwar verbessert, wir kämpfen aber immer noch mit einigen Fehlteilen und langen Lieferzeiten. Es gibt zwar weniger Fehlteile, diese sind aber immer schwerer zu bekommen. Hier können wir leider noch keine Entwarnung geben. Unsere Task-Force zur Sicherstellung unserer Lieferfähigkeit arbeitet weiter – Hand in Hand mit unseren Kunden –, um unsere Lieferfähigkeit sicherzustellen. Zusätzlich helfen uns unsere Standorte in Asien, um direkt mit Lieferanten zusammenzuarbeiten.« Dass die Zahl der kritischen Bauteile stark abnimmt, bestätigt auch Markus Aschenbrenner, Mitglied des Executive Board von Zollner Elektronik. »Insgesamt betrachtet sind jedoch MOSFETs, Power-Segment-ICs und MCUs die ausschlaggebenden aktiven IC-Produkte, die Supply-Chain-Engpässe verursachen – die ICs für Automobil- und Industrieprodukte sind am stärksten betroffen.« In den Industriesegmenten Automotive, Industrie und Medizintechnik gibt es laut Aschenbrenner noch immer vereinzelte Engpässe. »Bei der Beobachtung der gesamten Supply-Chain kann man erhöhte Lagerbestände feststellen, weshalb die Auslastungsraten der Hersteller rückläufig sind.« Michael Velmeden, Geschäftsführer von cms electronics, sieht ebenfalls eine deutliche Verbesserung bei der Verfügbarkeit, beklagt aber, dass sich dies zum Teil auch als Belastung darstellt, da mehr Bauteile geliefert als benötigt bzw. bestellt werden: »Man hat hier das Gefühl, dass zum einen die Quartalsergebnisse einzelner Lieferanten aufgebessert werden müssen und zum anderen, dass die Verknappung zur Margenabsicherung weiterhin künstlich hochgehalten wird.« Und trotz allem müssten Lieferanten bzw. Hersteller von MCUs und speziellen Gehäusen zur Erfüllung der Liefer-Performance weiterhin aufwendig von cms electronics begleitet werden, so Velmeden weiter.

Die Praxis einiger Lieferanten sieht auch Roland Hollstein, Geschäftsführer von Grundig Business Systems, kritisch: »Auf der einen Seite haben wir in der Vergangenheit aufgrund der Bauteilsituation alles getan, um an Bauteile, die mit Lieferzeiten von mehr als 52 Wochen gehandelt wurden, heranzukommen, in Absprache mit den Kunden zu deutlich höheren Preisen. Viele dieser Bauteile – aber nicht alle – wurden uns nun nach langen Wartezeiten ohne große Ankündigung auf den Hof gekippt.« Andererseits gebe es nach wie vor Hersteller bzw. Bauteile, deren Versorgung mit langen Lieferzeiten jenseits von 30–40 Wochen versehen sind. »Manche Kunden von uns haben bereits vor geraumer Zeit auf diese Situation reagiert, und Alternativ-Bauteile mit deutlich besserer Verfügbarkeit in ihre elektronischen Komponenten eindesignt. Dort, wo dies nicht passiert ist und auch der Kunde durch direktes Eingreifen seine Bauteilkomponenten nicht erhält, sind wir als EMS-Dienstleister in der prekären Situation: 99 Bauteile im Lager, ein Bauteil fehlt, die Baugruppe kann nicht zum Kunden geschickt und in Rechnung gestellt werden«, berichtet Hollstein. Man könne zwar mit Vorfinanzierung durch den Kunden, Beistellung oder Ähnlichem arbeiten, so Hollstein, aber das störe die Prozesse und sollte auch nicht das Geschäftsmodell eines EMS-Anbieters sein, der Dienstleister für seinen Kunden sein möchte.

Eine Entspannung stellt auch Andreas Schneider, Geschäftsleiter Vertrieb von BMK, fest, weist aber wie seine Branchenkollegen darauf hin, dass es weiterhin Bauelemente gibt, die dauerhaft lange Lieferzeiten von mehr als 52 Wochen beibehalten.

Auch Tsuyoshi Wallner, Geschäftsführer des Geschäftsbereichs Lacroix Electronics, bestätigt die Entspannung bei der Verfügbarkeit: »Wenn wir in der Vergangenheit 50 Bauteile suchen mussten, sind es heute maximal fünf. Der Anteil der Brokerzukäufe ist extrem gesunken.« Spezielle Bauteile bereiten aber auch bei Lacroix Electronics nach wie vor Probleme. Eine Gefahr sieht Wallner insgesamt im weltweiten Rückgang der Elektronikproduktion, der seiner Ansicht nach zu einem reduzierten Produktionsvolumen bei den Halbleiterherstellern führen werde.
Könnten mit dem Rückgang der Produktion erneut großflächige Verfügbarkeitsprobleme einhergehen? Andreas Schneider hält dies eher aus einem anderen Grund für möglich: »Sobald die Bedarfe in China wieder anziehen, wird der Rest der Welt wieder das Nachsehen haben – auch abhängig davon, wie sich die geopolitische Lage entwickeln wird.«
Das Wunschdenken einer völligen Unabhängigkeit von China hält er wie viele seiner Branchenkollegen jedenfalls für illusorisch: »Noch lange wird es in der Elektronik nicht ohne China gehen«, stellt Schneider klar und weist auf Technologien, Rohstoffe, Fertigungskapazitäten hin und darauf, dass China der größte Absatzmarkt auch für nicht chinesische Hersteller ist.


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