Für medizintechnische Geräte gelten besonders strenge Standards in Bezug auf die Produktqualität. Die Anforderungen an die Elektronikfertigung sind dementsprechend hoch. Der EMS-Dienstleister Grundig Business Systems gewährt einen Einblick in den Validierungsprozess.
Als wir uns als EMS-Dienstleiter zu einer strategischen Ausrichtung für die Produktion von Medizintechnikprodukten entschieden haben, hat niemand vorhergesehen, wie viel Aufwand dahintersteckt«, erinnert sich Volker Seidel, Qualitätsmanager von Grundig Business Systems (GBS) aus Bayreuth. Als EMS-Dienstleister mit eigener Fertigung in Deutschland wollte man sich einen neuen lukrativen Wachstumsmarkt erschließen. Mit jahrelanger Erfahrung aus dem Automobilbereich schien es nur eine logische Weiterentwicklung. Die Erfüllung der strengen Anforderungen von IATF 16949 inklusive lückenloser Traceability und Null-Fehler-Strategie waren dabei eine Selbstverständlichkeit.
Die Sicherheit der Patienten ist bei medizintechnischen Geräten das Maß aller Dinge. Denn Ausfälle und Fehlfunktionen der Produkte können schwerwiegende Folgen für die Menschen haben. Aus diesem Grund gelten auch für die Elektronik der Medizintechnik die gleichen strengen Standards. Als erster Meilenstein hat GBS zunächst die Zertifizierung der Qualitätsmanagementsysteme nach der Norm ISO 13485:2016 erlangt.
Das Restrisiko trägt der Hersteller
»Das Haftungsrisiko, sollte es doch zu einem Fehler kommen, trägt der Hersteller bzw. Inverkehrbringer des Medizintechnikproduktes«, erklärt Seidel. »Als wir unseren ersten Kunden gewinnen konnten, war die bestehende Zertifizierung zwar Voraussetzung, wir mussten jedoch dann noch durch das Kunden-Audit.« Über ein Jahr wurden seither alle Prozesse im Unternehmen durchleuchtet, dokumentiert und immer weiter optimiert, bis das Restrisiko auf ein Minimum reduziert werden konnte. »Erst nachdem alle Bereiche in mehreren Prüfungsschleifen vom Kunden validiert und auditiert worden sind, kann nun die Produktion starten.«
Der Medizintechnik-Markt wächst seit einigen Jahren überproportional. Gerade in den letzten 10 bis 20 Jahren wurden viele neue Technologien entwickelt, um Krankheiten zu diagnostizieren und auch zu behandeln. Für viele Hersteller dieser Medizintechnik-Geräte ist ein Oursourcing von Produktionsleistung auf EMS-Dienstleister zur Entlastung der eigenen Fertigung unverzichtbar. Die Stückzahlen sind oft klein, der Wert der Gerätschaften dafür umso höher. Da die Aufstellung der Systeme in den Kliniken meist auch baulicher Veränderungen bedarf, muss die Auslieferung zeitlich exakt abgestimmt werden. EMS-Dienstleister müssen daher eine stringente Systematik einhalten, um gleichbleibend einwandfreie Qualität und eine zeitgerechte Lieferung zu gewährleisten. Im konkreten Fall wurde Grundig Business Systems von einem großen deutschen Medizintechnik-Hersteller als Produktionspartner, somit als Partner für die Fertigung von komplexen elektronischen Baugruppen, nominiert und ausgewählt.
Validierung laut Masterplan
In einem Master-Validierungsplan wurden zunächst sämtliche Prozesse im Unternehmen aufgeführt. Alle Prozesse mit messbarem Ergebnis mussten verifiziert und dokumentiert werden. Dazu gehören z. B. das AOI, SPI oder das Handlöten, Nieten, Schrauben u. v. m.
»Prozesse, deren Ergebnis sich nicht so einfach messen lässt, sind validierpflichtig«, erklärt Seidel. »Beispielsweise sehe ich einer Lötstelle äußerlich nicht an, ob sich die intermetallische Phase gebildet hat. Dafür ist eine Prüfung notwendig, die das Bauteil zerstört. Daher müssen alle Prozesse, die zur Entstehung dieser Lötstelle geführt haben, validiert werden. So wird gewährleistet, dass möglichst sicher das gewünschte Ergebnis erreicht wird.« Im Rahmen der Validierung wurden von Lötstellen Röntgenaufnahmen erstellt. Darüber hinaus wurden Platinen zersägt, in Harz gebettet, Schliffbilder erstellt und im Labor mikroskopisch bewertet.
Jeder einzelne Produktionsschritt an jeder einzelnen Maschine musste in der Risikoanalyse betrachtet werden, von der SMT zur THT bis zum Nutzentrennen. »Ein Kernteam von fünf bis sechs Kollegen hat oft auch an Samstagen die Testfälle durchgeführt, um die Produktion nicht zu stören.«
Qualifizierung für Installation, Operation und Prozess
Die Prozesse im Unternehmen lassen sich prinzipiell in drei Gruppen einteilen: IQ steht für Installation Qualification. Hier wird beispielsweise getestet, ob eine Maschine richtig angeschlossen ist. Wartungspläne müssen dokumentiert werden und geprüft, ob die relevanten Mitarbeiter ausreichend geschult wurden.
Bei der OQ (Operation Qualification) werden Grenzwerttests mit verschiedenen Parametern durchgeführt. Was ist normal, was ist das Minimum oder das Maxium. Beispielsweise bei der Validierung des Schablonendruckers musste immer wieder Lötpaste aufgetragen und wieder abgewaschen werden. Bei jedem Druckvorgang wurde ein Parameter geändert. Beispielsweise die Fahrgeschwindigkeit, mit der der Rakel über die Schablone zieht. So werden die Grenzen des Prozesses ausgetestet und festgelegt, was ein noch akzeptables Ergebnis produziert.
PQ steht für Process Qualification. Hier wird betrachtet, welche anderen Einflussfaktoren sich auf eine Produktion unter Serienbedingungen auswirken könnten. Das Fertigungsergebnis wird beispielsweise zu verschiedenen Tageszeiten betrachtet. So lässt sich herausfinden, ob z. B. durch den Stand der Sonne irgendwo eine Beeinträchtigung geschieht. Ebenso wird mit unterschiedlichem Personal sowie auf anderen Anlagen getestet, um auch hier etwaige Einflussfaktoren zu identifizieren.
Software-Validierung
Auch die Software im Unternehmen musste sich der Validierung unterziehen. Jede einzelne Applikation wurde zunächst erfasst und dann daraufhin bewertet, ob sie einen Einfluss auf die Sicherheit des Produktes haben könnte. Dabei werden direkte und auch indirekte Einflüsse auf die Produktqualität betrachtet. Dann wurde die Funktionsweise der Software beschrieben und dokumentiert, ob sie erwartungskonform reagiert. Die Mitarbeiter der IT-Abteilung wurden hierfür eigens geschult und ein externer Berater hinzugezogen.
»Wir haben uns ein Jahr Zeit genommen für die Validierung mit einer Deadline im Februar 2022, um ab dann erste Entlastungsaufträge für den Kunden übernehmen zu können«, erklärt Seidel. Die Validierung hat viele Ressourcen über das gesamte Unternehmen hinweg gebunden. »Der Abschluss des Prozesses ist für uns im Qualitätsmanagement, aber auch für alle Beteiligten ein großer Erfolg. Wir haben in diesem Jahr sehr viel über uns selbst gelernt und verstehen unsere Anlagen noch viel besser.«