Japanischer Chips Act

Freier Markt oder Autarkie bei Halbleitern

5. April 2022, 8:00 Uhr | Mariko Togashi, International Institute for Strategic Studies
© kimura2 / pixabay

Wie viele andere Regionen will auch Japan seine Halbleiterindustrie stärken. Mariko Togashi vom internationalen Institut für Strategische Studien kommentiert, ob es sinnvoll ist, die Prinzipien des freien Marktes zugunsten volkswirtschaftlicher Autarkie hintanzustellen.

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Der globale Wettbewerb im Bereich der Halbleiter verschärft sich. Befeuert durch den intensiven Wettbewerb zwischen den Vereinigten Staaten und China sowie durch eine weltweite Chipknappheit und Unterbrechungen der Lieferketten greifen Regierungen rund um den Globus zu aggressiven Finanzierungsmaßnahmen, um den Zugang zu Halbleitern zu sichern. Japan bildet da keine Ausnahme; die Stärkung der Lieferketten für Halbleiter ist ein Schlüsselelement seines jüngsten Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherheit.

Die USA stehen kurz davor, den CHIPS for America Act zu verabschieden, der 52 Mrd. US-Dollar bereitstellen wird, um die heimische Halbleiterfertigung zu subventionieren. Im Februar 2022 hatte die Europäische Kommission mit dem European Chips Act ein Investitionspaket in Höhe von 43 Mrd. Euro angekündigt, um Europas Marktanteil an der weltweiten Chipproduktion bis 2030 von 10 auf 20 Prozent zu verdoppeln. Auch Südkorea will ein Gesetz verabschieden, das Investitionen in die Halbleiterfertigung in Höhe von 450 Mrd. US-Dollar über einen Zeitraum von zehn Jahren vorsieht.

Japan erweitert heimische Fertigungskapazitäten

Da die japanische Regierung unter Premierminister Fumio Kishida den Schwerpunkt auf die volkswirtschaftliche Sicherheit legt, genehmigte sie im November 2021 ein Investitionspaket für Halbleiter in Höhe von 774 Mrd. Yen (5,71 Mrd. Euro), darunter eine Subvention in Höhe von 400 Mrd. Yen (2,95 Mrd. Euro) für die neue Foundry von TSMC in der Präfektur Kumamoto. Im Jahr 2021 genehmigte Tokio außerdem eine Subvention in Höhe von 19 Mrd. Yen (140 Mio. Euro) für TSMCs neues Forschungs- und Entwicklungszentrum für das Packaging und Testen moderner Halbleiter in der Präfektur Ibaraki. Ende Februar legte die japanische Regierung dem Parlament ein neues Gesetz zur volkswirtschaftlichen Sicherheit vor. Eine der wichtigsten Säulen des Gesetzes ist die Stärkung der Lieferketten für strategische Güter, einschließlich Halbleiter.

Ein Grund für die Bemühungen Japans, die heimische Halbleiterindustrie wiederzubeleben, besteht darin, dass sich die eigene Marktposition weltweit verschlechtert hat. Während der Anteil Japans an der weltweiten Chipproduktion 1988 noch bei über 50 Prozent lag, ist er heute auf etwa 10 Prozent gesunken.

Diese schwindende Vormachtstellung führt das Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie (METI) auf eine Reihe von Faktoren zurück, darunter den amerikanisch-japanischen Handelskrieg bei Speicherchips, das Versäumnis, ein horizontal integriertes Fertigungsmodell einzuführen, die Verzögerung bei der Digitalisierung und die daraus resultierende mangelnde Nachfrage, den Zwang zur Selbstversorgung und fehlende öffentliche Investitionen. Außerdem seien die heimischen Foundries überaltert und nicht in der Lage, Hochleistungschips zu produzieren. In Anbetracht dieser Situation veröffentlichte das METI im Juni 2021 eine Halbleiterstrategie, in der eine größere Widerstandsfähigkeit der heimischen industriellen Basis gefordert wird.

Der Preis der volkswirtschaftlichen Sicherheit

Während Regierungen weltweit die heimische Halbleiterproduktion forcieren, vernachlässigen diese Maßnahmen offensichtlich grundlegende marktwirtschaftliche Prinzipien. Die Halbleiterindustrie hat besonders von dem internationalen Wettbewerb und den Skaleneffekten profitiert, was zu einer horizontalen Arbeitsteilung geführt hat.

In Anbetracht der erforderlichen enormen Investitionen hat die Branche seit den 2000er Jahren einen Strukturwandel weg von einem vertikal integrierten Modell, bei dem mehrere Produktionsstufen in der Lieferkette konsolidiert sind, hin zu einem horizontal integrierten Modell vollzogen, bei dem die Fertigungsprozesse mit denen von Wettbewerbern zusammengelegt werden. Jedes Mal, wenn ein Land neue Gesetze verabschiedet, um die einheimischen Chipfertigung wiederzubeleben, stellt es die volkswirtschaftliche Sicherheit über die Marktwirtschaft. Das derzeitige Modell umzukehren, dürfte daher sehr teuer kommen.

Auch wenn die Regierungen angesichts der Bedeutung von Halbleitern für die nationale Sicherheit berechtigte Gründe haben, über die Fertigung besorgt zu sein, muss die Politik sorgfältig Kosten und Nutzen gegeneinander abwägen. Volkswirtschaftliche Sicherheit und Marktwirtschaft sind schließlich beides Grundlagen für die nationale Stärke. Auch wenn die Ausweitung der Kapazitäten zur Rohstoffproduktion die Autonomie erhöhen wird, bedarf es weiterer Analysen, um zu beurteilen, ob diese Maßnahmen zu einem optimalen Gleichgewicht führen werden. Derzeit gibt es kein klares Instrument, um die einzelnen Maßnahmen zu bewerten und zu priorisieren.

Eine zentrale Herausforderung für die Regierungen ist es, zu entscheiden, ob sie die strategische »Unverzichtbarkeit« oder die »Autonomie« bevorzugen sollen. Beide Konzepte stellen für die in Japan regierende Liberaldemokratische Partei eine zentrale Rolle dar, um volkswirtschaftliche Sicherheit zu erreichen. Strategische Unentbehrlichkeit bezieht sich auf die industriellen Kapazitäten einer Volkswirtschaft, die für andere Volkswirtschaften unentbehrlich sind; strategische Autonomie hingegen bezieht sich auf die erforderlichen Grundlagen, um das Wohlergehen der eigenen Bevölkerung sowie die sozialen und wirtschaftlichen Aktivitäten aufrechtzuerhalten, ohne von anderen Ländern abhängig zu sein.

Konzentration auf eigene Stärken

Zwar ist der Anteil Japans an der weltweiten Chipproduktion zurückgegangen, aber es ist immer noch ein wichtiger Akteur in der Lieferkette. Auf Japan entfallen weltweit mehr als 50 Prozent des Marktes für Halbleitermaterialien und etwa 30 Prozent des Marktes für Halbleiterausrüstungen. Will Japan seine strategische Unverzichtbarkeit ausbauen, wäre eine Konzentration auf diese Stärken eine gute Strategie. Die Halbleiterstrategie des METI unterstreicht zwar die Wichtigkeit, die in Halbleitermaterialien und -ausrüstungen eingesetzten Technologien zu verbessern, und bezeichnet diesen Bereich aber auch als Bremsklotz für die weitere Expansion, denn es gibt bislang kaum Anzeichen für Fortschritte in diesem Bereich.

Obgleich die Versorgung mit Halbleitern für die nationale Sicherheit von entscheidender Bedeutung ist, ist eine heimische Produktion nicht unbedingt die einzige Lösung. Sowohl multilaterale als auch unilaterale Ansätze eignen sich, die eigene volkswirtschaftliche Sicherheit zu erhöhen und überhöhte Investitionen zu vermeiden. Japan könnte seine Wettbewerbsfähigkeit verlieren, wenn dessen Regierung die begrenzten Ressourcen falsch einsetzt. Im schlimmsten Fall kann die derzeitige Konzentration auf die heimische Produktion die Innovationschancen beeinträchtigen, da sie den internationalen Wissensaustausch einschränkt. Eine derzeitige Stärke Japans und seiner Partnerländer ist ihre technologische Offenheit, weil diese zu Innovationen führt. Die japanischen Entscheidungsträger müssen Kosten und Nutzen abwägen, um eine Halbleiterpolitik zu entwickeln, die die wirtschaftliche Sicherheit nachhaltig erhöht.


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