Feinheiten des vorgesehenen EU Chips Act

Nachbesserung gefordert

25. Juli 2022, 14:00 Uhr | Heinz Arnold
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So begrüßenswert der EU Chips Act insgesamt ist, die dritte Säule »Monitoring & Crisis Report« birgt eine Sprengladung, die dringend entschärft werden muss.

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Denn Supply Chain Monitoring sollten die Regierungen nicht selbst durchführen, sondern es sollte gemeinsam mit der Industrie durchgeführt werden. »Ich habe mich ein wenig gewundert, dass nicht nach dem Modell der Cybersecurity vorgegangen wird«, sagt Jan-Peter Kleinhans, Director Technology and Geopolitics der Stiftung Neue Verantwortung (SNV).

Seiner Meinung nach sollte das Supply Chain Management ähnlich reguliert werden wie Cybersecurity für Unternehmen, die im Bereich der kritischen Infrastrukturen arbeiten. Dazu müssen die Industrien – von den IC-Herstellern bis zu den Endkunden wie die Automobilindustrie – mit ins Boot geholt werden. Die Verantwortung liegt bei der Industrie. Die EU ist für die Vorgaben verantwortlich, die die Industrie erfüllen muss. Um zu überprüfen, ob sie erfüllt sind, müssen standardisierte Verfahren eingeführt werden und die Firmen, die den Vorgaben entsprechen, zertifiziert werden.

Falls etwas schief geht, könne dann genau überprüft werden, ob es daran liegt, dass sich ein Unternehmen nicht an die Vorgaben gehalten hat, und es kann zur Rechenschaft gezogen werden, aber eben nur dann. »Dieser Dreiklang aus Verantwortung, Vorgaben und Zur-Rechenschaft-ziehen wäre sinnvoller, als das Monitoring allein den Regierungen zu überlassen«, so Kleinhans.

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Jan-Peter Kleinhans, Stiftung Neue Verantwortung: »Die Regierungen sollten sich von vorneherein nicht mit dem Monitoring beschäftigen.«
© Stiftung Neue Verantwortung

Zudem sind die Daten, die abbilden, was in der Supply Chain wirklich vor sich geht, meist sensibel, und die Unternehmen geben sie nicht gerne heraus – umso weniger, als es ihnen keinerlei Vorteile bringen würde, sie an Regierungsstellen weiterzugeben.
Aber selbst wenn die Daten tatsächlich an die Regierungen gingen – was wäre damit gewonnen? »Es ist unmöglich, aus den Daten einfach mal die Zukunft abzulesen«, sagt Jan-Peter Kleinhans. Wie schwierig das Geschäft ist, in der Halbleiterindustrie die Zukunft abzuschätzen, lässt sich schon daran erkennen, dass die Experten, die sich hauptberuflich damit beschäftigen, oft ziemlich weit daneben liegen: »Abweichungen von 10 Prozent sind ganz normal«, so Kleinhans.

Doch was passiert, wenn tatsächlich ein besonderes – unvorhersehbares – Ereignis eintritt? Dann sind die Auswirkungen auf die vielen verschiedenen Abnehmer der Chips sehr unterschiedlich. Zuerst kommt es darauf an festzustellen, welche Arten von Chips überhaupt betroffen sind, für wen sie überlebenswichtig sind und für wen schlicht nicht relevant, und welche Auswirkungen die Lieferschwierigkeiten im Einzelnen auf die unterschiedlichen Akteure haben werden, beispielsweise OEMs, Tier-1, -2, -3, Distributoren und EMS. Dazu fehle den Regierungen schlicht der tiefe Einblick in die Lieferkette und sie haben relativ wenig Möglichkeiten, das zu ändern.

Die daraus resultierende Erkenntnis liegt für Kleinhans auf der Hand: »Die Regierungen sollten sich von vorneherein nicht mit dem Monitoring beschäftigen.«
Damit kritisiert Kleinhans insbesondere die dritte Säule des European Chips Act, in der unter der Überschrift »Monitoring & Crisis Response« zwei Handlungsfelder umrissen werden: Erstens »Monitoring to anticipate Shortages« und zweitens »Crisis Response Toolbox«. Aus den bereits genannten Gründen ist der erste Punkt durch die Regierungen nicht zu leisten, doch richtig ernst werde es im Punkt zwei: Denn die Regierungen sollen auf Basis der gesammelten Informationen Aufträge priorisieren, gemeinsam Großeinkäufe organisieren und zu den Mitteln der Exportkontrolle greifen dürfen. Das sei im besten Fall eine unnötige Bürde für die Industrie und mache die Versorgungssicherheit in der EU nicht sicherer, was ja das eigentliche Ziel sein soll. Vor allem wären diese Eingriffsmöglichkeiten nicht mit der Sozialen Marktwirtschaft vereinbar.

Vielmehr sollten die Regierungen, die Industrie und die Endkunden zusammenarbeiten, um mehr Transparenz in die Lieferkette zu bringen. Dafür müssen Standards etabliert werden; die heute vorhandenen Silos, in denen wertvolle Daten nebeneinander existieren, ließen sich aufbrechen, um den vollen Nutzen zur Erhöhung der Transparenz aus den Daten ziehen zu können.

Die Regierungen sollten die strategischen Schwächen der europäischen Industrie identifizieren und strategische Partnerschaften mit dafür infrage kommenden Ländern und den entsprechenden Unternehmen schließen. »Ein solches Vorgehen existiert bisher nicht, und es wäre sogar vergleichsweise sehr kostengünstig, in die Verbesserung dieses Wissens zu investieren«, rät Kleinhans. Denn es würde sich sehr schnell bezahlt machen.

Vorletzte Woche sorgte die Meldung für Aufsehen, dass STMicroelectronics und Globalfoundries in Crolles gemeinsam eine neue 300-mm-Fab bauen und damit laut eigenen Aussagen einen »starken Beitrag zum EU Chips Act« leisten wollen. Trägt damit das Ziel von Thierry Breton, EU Binnenmarkt-Kommissar, schon erste Früchte? Wohl eher nicht, denn Breton schwebte ja vor allem eine europäische 2-nm-Fab vor, was das neue Vorhaben ausdrücklich nicht sein soll.

Allerdings: Um das 20-Prozent-Ziel der EU zu erreichen – mal ganz abgesehen davon, wie sinnhaltig dies für die Sicherung der europäischen Chip-Versorgung ist – sei jede neue Fab hochwillkommen, so Kleinhans.

Dass es den Regierungen an einem tiefer gehenden Verständnis gegenüber der Halbleiter-Lieferkette fehle und es an Transparenz mangele, habe laut Julia Hess, Project Manager Technology and Geopolitics von SNV, die aktuelle Krise offenbar gemacht: »Jetzt ist genau der Zeitpunkt, dass die EU die geeigneten Maßnahmen ergreift, um die Halbleiterindustrie besser auf die nächste Krise vorzubereiten, wir dürfen diese Chance nicht ungenutzt vorbeiziehen lassen!« Die dritte Säule des EU Chips Act mit Monitoring und der Crisis Response Toolbox sei allerdings wenig zielführend. 


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