Gelingen kann eine Diversifikation zum Beispiel mit nachhaltigen, neu strukturierten Lieferketten. Gerade Umweltschutzthemen müssen aufgrund des voranschreitenden Klimawandels mehr und mehr Berücksichtigung finden. Das sieht zum Beispiel Christian Blersch so: »Generell sollte man die Versandwege und die hiermit verbundene Umweltverschmutzung genau betrachten. Ein Produkt, das man in der Nähe zu vergleichbaren Kosten produzieren kann, muss nicht aus Asien kommen. Ebenso sind alternative Versandwege wie die Bahn, beispielsweise die neue Seidenstraße, zu prüfen – mit ein paar Tagen mehr Versandzeit ist die Luftfracht zu umgehen.« Das wäre ebenfalls im Sinne von Roland Chochoiek, der dafür ist, unnötiges Hin- und Herschicken von Gütern zu vermeiden – was heute leider jedoch noch viel zu oft Usus sei. Jedoch ließe sich das in wenigen, komplexen Produktfeldern realisieren. Ebenso meint Norbert Hauser hierzu: »Beschaffungs- und Absatzort müssen, wenn immer möglich, näher zusammenrücken.«
Auch für Tim Jensen sind eine längere Planung und Verpflichtungen über die gesamte Lieferkette hinweg am wichtigsten. »Wenn jeder langfristige Pläne macht und offen über die gesamte Kette kommuniziert, bedeutet das regelmäßigere Lieferungen mit verlässlichen Preisen der Komponentenhersteller. So kann das empfangende Unternehmen sein eigenes Fertigungs- oder Montagepensum effizienter planen. Wie wir gesehen haben, sind ultraschlanke, kurzfristige Lieferkettenmodelle nicht dafür ausgelegt, Unterbrechungen standzuhalten«.
Indes sieht Detflef Schneider kurze Lieferwege als zentralen Aspekt nachhaltiger Lieferketten. TQ-Systems vermeidet Wege zwischen den Werken, indem alle Schritte der Wertschöpfungskette in den einzelnen Niederlassungen angesiedelt sind. Außerdem nutzt TQ für die Fertigung erneuerbare Energien, um die CO2-Emissionen zu reduzieren. »Zudem sind langlebige und reparierbare Produkte der Schlüssel zur Ressourcenschonung.«
Nicht nur Ressourcenschonung, auch der von den USA gegen China ausgesprochene Technologiebann und nach wie vor bestehende Strafzölle zwischen den beiden Ländern könnten den Produktionsstandort Asien, und speziell China, verändern. Auf Dauer könnten diese Faktoren zu einem Umdenken in der Branche führen. Jedoch sind die Meinungen hier zweigeteilt. Viele Embedded-Spezialisten könnten sich vorstellen, ihre Produktion nach Europa zu verlagern oder haben das schon getan, andere wollen dagegen weiter auf China oder Asien im Allgemeinen setzen.
Martin Stiborski, Geschäftsführer von Bressner Technology, sieht China ungeachtet der Strafzölle und des Technologiebanns als wichtige Wirtschaftsmacht an. »Die Embedded-Computing-Branche ist zwar nicht ausschließlich auf chinesische Hersteller angewiesen, allerdings macht ein mittelfristiges Verschieben der Produktionsstandorte nach Europa lediglich Sinn, wenn Kosteneffizienz, Lieferketten und Nachhaltigkeit zu gewährleisten sind.«
Helmut Artmeier führt an, dass sein Unternehmen ausschließlich in Taiwan fertigt, Vorprodukte aus China oder den USA kommen. Somit segle EFCO Electronics unter dem Radar der Sanktionen und betrachte die Großwetterlage genau. »Sicherlich entdecken einige Unternehmen die Möglichkeiten in Europa wieder. Aufgrund der enormen Investitionen sehe ich jedoch nicht, dass leistungsfähige Prozessoren oder andere Chips für Industrie-PCs wieder mehr in Europa gefertigt werden. Ebenso ist das Know-how bezüglich der Boards und Module heute hauptsächlich außerhalb Europas angesiedelt. Dieses Rad wird sich nicht leicht zurückdrehen lassen.«
Tim Jensen sieht das anders: »Wir sehen bei bestimmten Branchen, dass sie genau aus den besagten Gründen nach einer europäischen Produktion suchen. Wir fertigen für unsere Kunden in unseren eigenen Fabriken in Deutschland – das ist ein attraktiver Faktor für viele Unternehmen, die uns für ihre Produkte beauftragen. Unsere Kunden haben die Gewissheit, dass wir in Deutschland im selben Gebäude wie die Konstruktionsteams fertigen und somit eine qualitativ hochwertige Produktion gewährleisten.«
Ebenso fühlt sich Congatec fertigungstechnisch stabil und flexibel aufgestellt: »Neben Fertigungsdienstleistern in Asien produzieren wir heute schon zu einem erheblichen Anteil in Europa«, so Christian Eder. »Für uns hat sich die Fertigung von Embedded-Technologien in Deutschland schon seit über 25 Jahren bewährt«, weiß Detlef Schneider zu berichten. »Gerade die automatisierte Produktion und Unterstützung von Cobots im Fertigungsprozess machen Deutschland zu einem attraktiven Standort. Der Stellenwert einer deutschen beziehungsweise europäischen Fertigung nimmt zu.«
Martin Steger von iesy glaubt indes nicht, dass der Trend zur Globalisierung und Arbeitsteilung in der Embedded-Computing-Branche nach Überwinden der Pandemie grundsätzlich abnehmen wird, sieht jedoch zwei Aspekte, die bei diesem Thema zu beachten sind. Einerseits werde die Kontinuität der Lieferketten bedeutender. Hierzu sei ein noch engerer Austausch mit den Lieferanten von Basistechnologien und den USA und China für jeden europäischen Anbieter von Embedded-Technik in Zukunft unverzichtbar. Andererseits werde es zunehmend nötig sein, Technologie- und Fertigungs-Know-how im Bereich Embedded in Europa weiter aufzubauen, insbesondere in den Bereichen Digital Defense und Cybersecurity.