Nach über 100 Jahren wird im Automobilbereich der klassische Außenspiegel durch digitale Außenspiegel in Form von Kamerasystemen ersetzt. Ihre größten Vorteile: Sie lösen das Problem des toten Winkels und verbessern die Nachtsicht. Vorreiter dieser Entwicklung sind neben Lkw moderne Elektroautos.
Digitale Außenspiegel – zum ersten Mal konkret nachgedacht wurde darüber bereits im Jahr 2000 von BMW. Technologieträger war damals das Konzeptfahrzeug Z22. 2014 war man bei VW schon einen großen Schritt weiter. Der Dieselhybrid XL1 war das erste Auto mit Kamera-basierten Außenspiegeln im Serieneinsatz. Wobei Serie in diesem Fall gerade einmal 200 gebaute Fahrzeuge bedeutete. Entscheidendes Kriterium war damals der reduzierte Windwiderstand – schließlich sollte das Fahrzeug mit einem Liter Diesel 100 km weit kommen.
Im Pkw-Bereich gibt es inzwischen eine Reihe von Fahrzeugen, die Kamera-Innenspiegel aufweisen. Dazu zählen beispielsweise der Cadillac CT6, Nissan Note, Toyota RAV4 und der Range Rover Evoque. Den Außenspiegel mit einer Kombination aus Kamera und Bildschirm zu ersetzen, bleibt dagegen bislang eine Seltenheit. Neben dem Audi E-Tron, Honda e und dem Hyundai Ioniq 6 waren bis vor Kurzem die Mercedes-Lkw Actros und Arocs die einzigen Fahrzeuge auf den Straßen, die die dafür notwendige aufwendig Elektronik einsetzen. Inzwischen haben jedoch auch andere Lkw-Hersteller wie etwa DAF die Vorteile dieser Lösung für sich erkannt.
Die Vorzüge liegen auf der Hand: Zum einen gibt es damit keine falsch eingestellten Spiegel mehr, durch das Kamerasystem lässt sich zudem das Sichtfeld der Rückspiegel nicht nur deutlich vergrößern, es ist auch an unterschiedliche Fahrsituationen anpassbar. Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang das Thema tote Winkel, gerade im Fall großer SUV oder Lkw. Virtuelle Außenspiegel verringern hier das tödliche Sicherheitsrisiko für alle Beteiligten um ein Vielfaches.
Volldigitale Spiegel im Lkw und Pkw
Mit am deutlichsten wird der Vorteil der virtuellen Außenspiegel nachts oder bei schlechter Sicht. Zum einen wird der Fahrer durch die neuen Spiegelsysteme, anders als bei klassischen Glasspiegeln, nachts nicht mehr geblendet. Stattdessen hellt Software im Bedarfsfall das Bild im Zusammenspiel mit der Linse sogar noch auf. Zum Teil in das Bild integrierte Distanzlinien helfen zudem beim Rangieren und dem Abschätzen von Abständen unter den oben genannten Sichtbedingungen.
Doch nicht nur das. Eine ausgeklügelte Software erlaubt es, das Kamerabild beim Lkw auch in Kurvenfahrten so anzupassen, dass der Fahrer immer das Ende seines Aufliegers sieht und im Blick behalten kann. Bei klassischen Außenspiegeln sieht er in dieser Situation nur die Planenwand seines Lkw. Da die digitalen Außenspiegel zudem deutlich kleiner sind als klassische Außenspiegel, lassen sich zwischen 1,3 und 1,5 Prozent Kraftstoff einsparen. Ein Einsparpotenzial, das sich im Lkw so nicht an allen Ecken finden lässt.
Mag die Verbrauchsersparnis durch geringeren Windwiderstand auch bei Elektroautos geringer ausfallen, so zählt dort noch ein anderer Punkt: Die kleinen Kameraaußenspiegel reduzieren die Windgeräusche deutlich – das spielt gerade bei Elektrofahrzeugen eine deutlich größere Rolle als bei Autos mit Verbrennungsmotor.
Das aktuell auf den deutschen Straßen am häufigsten anzutreffende System virtueller Außenspiegel ist das in den Daimler-Trucks verbaute System von Mekra Lang.
Für dessen Entwicklung hatte sich der Ergersheimer Spezialist für Sichtsysteme 2015 die Unterstützung von Solectrix gesichert, einem in Fürth ansässigen Experten für Hochleistungs-Embedded-Bildverarbeitung. Aktuell wird an einer zweiten Generation des Spiegelersatzsystems gearbeitet. Zu den Zielen gehören dabei unter anderem die Verbesserung der Bildauflösung (Schärfe) und der Nachtsicht. Außerdem soll die neue Plattform weitere neue Features ermöglichen. Neben Schwerlast-Lkw will man mit der zweiten Generation dann auch die Märkte für Busse und Kleintransporter adressieren.