Der Verteidigungsmarkt verspricht starkes Umsatzwachstum – und mit ihm steigt die Nachfrage nach sicheren Embedded-Lösungen. Viele Unternehmen suchen nun gezielt den Einstieg, darunter iesy, bislang als Spezialist für komplexe Embedded-Systeme in Industrieanwendungen bekannt.
CEO Martin Steger erklärt, welche Relevanz der Verteidigungsmarkt für iesy hat – und welches Personal er braucht.
Markt&Technik: Was gab konkret den Ausschlag für den geplanten Einstieg ins sicherheits- und verteidigungsnahe Geschäft?
Martin Steger: Wir haben die Entwicklung unseres Unternehmens und des Marktes in den letzten zehn Jahren genau beobachtet und umfassend analysiert. Wir sind ein Embedded-Spezialist mit hoher Entwicklungs- und Fertigungskompetenz. Mit rund 50 Mitarbeitenden ausschließlich in Deutschland können wir komplexe Projekte schneller und effizienter abwickeln als große Wettbewerber. Natürlich müssen unsere Kunden bereit sein, unser umfassendes Know-how und unsere langjährige Expertise auch zu bezahlen. In einigen Branchen – nehmen wir zum Beispiel die Konsumelektronik – ist das normalerweise nicht der Fall. Dort herrscht ein gewaltiger Kostendruck, und der Wettbewerb mit asiatischen Anbietern ist auf lange Sicht ruinös. In sicherheits- und verteidigungsnahen Märkten können wir unseren Kunden den Mehrwert unserer Strukturen und Leistungen viel besser darstellen. Deshalb haben wir uns entschieden, unser Portfolio und unser Fachwissen in diese Richtung zu erweitern.
Wie beurteilen Sie die Marktdynamik im Defence-Sektor?
Zwar hat der Markt in den letzten Jahren viele positive Signale empfangen, so wie zum Beispiel noch zuletzt mit dem am 23. Juli 2025 verabschiedeten Planungs- und Beschaffungsbeschleunigungsgesetz (BwPBBG), jedoch ist diese Dynamik zum Beispiel in der Cyberabwehr noch nicht vollständig angekommen. Viele Gelder sind zwar angekündigt, werden aber noch nicht in großem Umfang verteilt beziehunsgsweise werden momentan vorwiegend für marktverfügbare Lösungen ausgegeben. Lösungen für zukünftige Bedrohungen – zum Beispiel die Drohnenabwehr – müssen zunächst privatwirtschaftlich entwickelt und finanziert werden. Zum Glück zieht die Branche bereits viele Investitionen an. Sobald staatliche Mittel freigegeben werden, dürfte sich das Wachstum zusätzlich beschleunigen. Das heißt, wir sehen aktuell schon eine erheblich steigende Anzahl von Projektanfragen und erwarten in den kommenden Jahren ein deutliches Wachstum. Der zusätzliche Aufwand für Zertifizierungen und die daran hängenden Prozesse, unter anderem für den Geheimschutz, sind erheblich – von der Dokumentation über Sicherheitsprüfungen bis hin zur Betreuung durch die zertifizierenden Stellen. Doch diese Anstrengungen lohnen sich, da sie unseren Eintritt in verteidigungsnahe Märkte erst ermöglichen und unsere Kompetenz in einem hochregulierten Umfeld unterstreichen.
Ist der Verteidigungsmarkt somit mehr als eine strategische Ergänzung?
Ja, der Verteidigungsmarkt ist für uns mehr als nur eine Ergänzung. Wir gehen davon aus, dass künftig rund 75 Prozent unseres Umsatzes aus sicherheitsbedürftigen Industrien sowie Projekten der kritischen Infrastruktur und „Digital Defence“, wie wir den Verteidigungssektor nennen, kommen werden. Unser traditionelles Geschäft bleibt bestehen, aber der Schwerpunkt verschiebt sich deutlich. Signifikante Auftragseingänge erwarten wir in den Jahren 2025 und 2026, entsprechende Umsätze ab 2027.
Wie verändert sich dadurch die Unternehmensstrategie?
Wir bleiben Embedded-Spezialist, verlagern unseren Fokus aber auf Märkte mit einem erhöhten Sicherheitsbedarf. Wichtig ist hierbei für uns, dass wir Projekte bedienen, die unsere umfassenden Kompetenzen in den vielfältigen Kompetenzfeldern erfordern, also Hard- & Softwareentwicklung, Konstruktion & Systemdesign, Projektmanagement, Prüf- & Fertigungstechnologien sowie Einkauf & Logistik. Nur wenn wir Kunden gewinnen und etablieren, die diese Kompetenzen langfristig benötigen und auch bereitwillig finanzieren, können wir unsere Strukturen langfristig weiterentwickeln und ausbauen. In der Verteidigungsindustrie sehen dafür in der Zukunft die größten Potenziale.
Verändert das den Fokus Ihrer Entwicklungsarbeit?
Unser klassisches Geschäft bleibt erhalten, aber die Schwerpunkte verlagern sich. Die technologischen Anforderungen steigen: Höhere Sicherheitsstandards, strengere Dokumentationspflichten, mehr Datensicherheit und Security-by-Design sind grundlegende Bestandteile unserer täglichen Arbeit. Gerade im Defence-Bereich gilt häufig das „Need-to-know-Prinzip“: Entwickler dürfen nur jene Informationen kennen, die sie wirklich für ihre Arbeit benötigen. Das erhöht die Sicherheit, erfordert aber zugleich mehr Dokumentation und präzise ineinandergreifende Prozessschritte. Diese Anforderungen prägen unsere tägliche Arbeit auch in zivilen Projekten und professionalisieren sie.
Arbeiten Sie in sicherheits- oder verteidigungsrelevanten Projekten bereits mit OEMs oder staatlichen Stellen zusammen?
Ja. Meist über Generalunternehmer, die Großaufträge übernehmen und Teilprojekte an uns vergeben. Dabei arbeiten wir intensiv an der Aufnahme in die Geheimschutzbetreuung durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und in weiteren Technologiefeldern mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Diese Zusammenarbeit ist notwendig, um solche Projekte überhaupt realisieren zu können. Die Namen unserer Auftraggeber nennen wir aus Gründen der Vertraulichkeit hier nicht.
Stichwort Dual-Use: Wie gehen Sie und ihre Mitarbeiter mit der zivil-militärischen Schnittmenge um – auch ethisch?
Wir halten uns strikt an alle gesetzlichen Vorgaben und Exportregeln, damit geschützte Technologien – zum Beispiel für Waffensysteme – nicht in falsche Hände geraten. Die Sicherstellung und Überwachung der Lieferkette haben für uns oberste Priorität. Durch unsere konsequente Einhaltung aller Vorschriften handeln wir sicher, transparent und verantwortungsvoll in diesem stark regulierten Umfeld. Gleichzeitig legen wir großen Wert auf eine werteorientierte Umsetzung unserer Projekte: Unser Engagement im Defence-Bereich dient nicht als Selbstzweck, sondern trägt zur Sicherheit und Stabilität kritischer Infrastrukturen bei und schützt Menschen, Ressourcen und Technologien. So verbinden wir technische Exzellenz mit gesellschaftlicher Verantwortung.
Gibt es notwendige Neuinvestitionen oder Ausbau im Personal? Welche Profile sind gesucht?
Wir suchen kontinuierlich qualifiziertes Fachpersonal, insbesondere Ingenieure und Entwickler verschiedenster Fachgebiete sowie Spezialisten für Logistik und Prüftechnologien. Allerdings ist es weiterhin schwierig, geeignete Bewerber zu finden – wir setzen deshalb vorwiegend auf die Direktansprache. Als interessante Entwicklung beobachten wir, dass Fachkräfte aus anderen Branchen von der Verteidigungsindustrie angezogen werden, insbesondere zum Beispiel aus der Automobil- und Zulieferindustrie. Spannende Synergien entstehen dabei in den Bereichen Serienfertigungstechnologien und Lieferlogistik.
Ist die Beteiligung an europäischen Verteidigungsprojekten für iesy ein Ziel? Wie erfolgt die Anbahnung?
Ja, europäische Programme sind für uns sehr interessant, insbesondere weil diese Projekte oftmals die Wertschöpfung im eigenen Land verlangen. Die Anbahnung erfolgt auch hierbei meist über Generalunternehmer oder Konsortien. Hierin können dann auch kleinere, hoch spezialisierte Unternehmen wie iesy eingebunden.
Spüren Sie bei Kunden aus der Verteidigungsindustrie ein wachsendes Interesse an europäischen Embedded-Lösungen als Alternative zu US-amerikanischen Anbietern?
Ja. So wollen sich viele europäische Kunden nicht länger den US-amerikanischen Regularien unterwerfen, zum Beispiel den International Traffic in Arms Regulations (ITAR). Sie suchen europäische Lösungen, um möglichst unabhängig von außereuropäischen Vorgaben und Handelsbeschränkungen zu sein. Das stärkt die Nachfrage nach hiesigen Lösungen und Technologien.
Wo sehen Sie iesy in fünf Jahren im Verteidigungsgeschäft?
Wir sind bereits fester Bestandteil in vielen sicherheitskritischen Systemen und bauen diesen Anteil kontinuierlich aus. Unser Fokus liegt dabei auf den digitalen Anteilen, also höchster Datensicherheit bei deren Speicherung, Verarbeitung und Übertragung. Diese wachsen im Zuge der Digitalisierung innerhalb der Verteidigungsindustrie überproportional und sind für den Erfolg moderner Verteidigungssysteme entscheidend. Als Embedded-Spezialist wollen wir hier unseren Platz festigen und ausbauen und auch Technologiefelder besetzen, die in der Vergangenheit nur eine sehr untergeordnete Rolle gespielt haben, zum Beispiel in der Raumfahrt. Dieser Markt wächst dynamisch und wird in Zukunft sowohl für zivile als auch für militärische Anwendungen spannende, neue Potentiale aufzeigen. Und genau dort sehen wir unsere Chancen.