Die Theorie des optimalen Transports kombiniert mit KI: Mit der Moscot-Technologie beobachten Forscher erstmals Millionen Zellen gleichzeitig. Die entschlüsselte Zellentwicklung macht komplexe Krankheitsprozesse sichtbar und neue Therapien möglich. Wie knackten die Wissenschaftler den Zell-Code?
Ein Blick durch das Mikroskop offenbart für Biomediziner eine faszinierende Welt: Millionen von Zellen, die sich teilen, bewegen und entwickeln. Doch wie genau dieser komplexe Tanz des Lebens funktioniert und wie sich die Zellen eines gesunden Menschen von kranken Personen unterscheiden, blieb Forschenden lange Zeit verborgen. Nun verspricht eine Technologie namens Moscot dieses Geheimnis zu lüften.
Moscot steht für »Multi-Omics Single-Cell Optimal Transport« und ermöglicht es erstmals, die Entwicklung von Millionen Zellen gleichzeitig zu beobachten und zu analysieren. Die neue Methode von Helmholtz Munich und der TU München überwindet die Limitationen bisheriger Forschungsansätze, die lediglich Momentaufnahmen einzelner Zellen lieferten und die dynamischen Prozesse in Raum und Zeit nicht erfassen konnten.
Das Herzstück von Moscot bildet die Theorie des optimalen Transports, ein mathematisches Konzept aus dem 18. Jahrhundert, welches beschreibt, wie sich Objekte möglichst effizient von einem Ort zum anderen bewegen lassen. Die Forschenden adaptierten dieses Prinzip für die Zellbiologie, indem sie es mit künstlicher Intelligenz kombinierten.
Dominik Klein, Doktorand am Institute of Computational Biology bei Helmholtz Munich und Wissenschaftler an der Technischen Universität München (TUM) erklärt als einer der Erstautoren der Studie: »Wir haben unsere mathematischen Modelle so angepasst, dass sie die molekularen Informationen und die Position der Zellen im Körper während ihrer Entwicklung präzise abbilden können«.
Die Möglichkeiten, die Moscot eröffnet, sind vielfältig. In der Pankreasforschung gelang es dem Team bereits, die Entwicklung hormonproduzierender Zellen in der Bauchspeicheldrüse zu kartieren. Dies könnte zu einem tieferen Verständnis der Mechanismen von Diabetes führen und neue Therapieansätze ermöglichen.
Prof. Fabian Theis, Professor für die mathematische Modellierung biologischer Systeme am Helmholtz-Institut, betont: »Moscot verändert die Art und Weise, wie wir biologische Daten verstehen und nutzen. Es ermöglicht uns nicht nur, die Dynamik der Zellentwicklung in bisher unerreichter Detailtiefe zu erfassen. Wir können auch präzise Vorhersagen über die Entwicklung von Krankheiten treffen mit dem Ziel, personalisierte Therapieansätze zu entwickeln«.
Die Analyse einzelner Zellen erzeugt enorme Datenmengen. Um diese zu bewältigen, setzen Forschende zunehmend auf Methoden des maschinellen Lernens. Ein vielversprechender Ansatz ist das Selbstüberwachte Lernen, das in einer Studie der beiden Forschungspartner an über 20 Millionen Zellen getestet wurde.
Die Methode arbeitet mit unbeschrifteten Daten und kombiniert zwei Techniken: Maskiertes Lernen, bei dem das Modell lernt, fehlende Teile zu rekonstruieren, und kontrastives Lernen, das ähnliche Daten zusammenbringt und unähnliche trennt. Die Ergebnisse zeigen, dass Selbstüberwachtes Lernen besonders bei der Übertragung von Informationen aus großen auf kleinere Datensätze und bei der Vorhersage unbekannter Zelltypen Vorteile bietet.
Die Kombination von Moscot und fortschrittlichen KI-Methoden eröffnet neue Perspektiven für die biomedizinische Forschung. Wissenschaftler arbeiten bereits an der Entwicklung »virtueller Zellen« - umfassende Computermodelle, die die Vielfalt von Zellen in verschiedenen Datensätzen abbilden.
Diese Modelle könnten in Zukunft eine Schlüsselrolle bei der Analyse von Zellveränderungen, wie sie bei Krebserkrankungen auftreten, spielen und den Weg für personalisierte Therapieansätze ebnen. Die Fortschritte in der Einzelzellanalyse und KI-gestützten Datenauswertung versprechen nicht nur ein tieferes Verständnis biologischer Prozesse, sondern auch neue Möglichkeiten in der Diagnostik und Therapie komplexer Erkrankungen. (uh)