Die Delle hat mehrere Ursachen; auf eine verweist Dr. Ulrich Giese, Senior Director Automotive Solution Business Unit bei Renesas Electronics Europe: »Wenn ein Hersteller seine passiven Bauteile nicht liefern kann, dann geht das Auto nicht vom Band.« Wobei Siedhoff die Aussage allgemeiner formuliert: »Wenn das Endprodukt nicht gefertigt werden kann, dann werden auch die anderen Komponenten nicht benötigt, da leiden alle drunter.«
Dass die Kondensatoren knapp sind, weiß mittlerweile jeder. Einen Grund dafür benennt Weyer: »Wir Halbleiterhersteller nutzen für die Fertigung unserer ICs immer kleinere Strukturen, was wiederum die Nachfrage nach Kondensatoren nach oben treibt.« Das hat beispielsweise dazu geführt, dass die Anzahl von MLCCs in Smartphones um den Faktor 10 gestiegen ist und weiter: »In einem Smartphone sitzen ein paar hundert MLCCs, das ist ja kein normales Wachstum mehr«, so Weyer.
Dazu kommt noch ein anderer Punkt: Hat die Konsumgüter-Industrie längst auf kleinere Kondensatoren gewechselt, versucht die Automotive-Industrie bislang an den alten Größen festzuhalten. Und da im Automobilbereich außerdem gilt, dass die Preise pro Jahr 6 bis 7 Prozent gesenkt werden müssen, hat es sich für viele Hersteller nicht mehr gerechnet, in den Kapazitätsausbau für alte Kondensatoren zu investieren. »Tatsache ist, dass niemand investiert hat, und das wird uns mit anderen Komponenten auch noch passieren, weil die Unternehmen feststellen müssen, dass es sich bei den Preisen nicht lohnt, zu investieren.«
Viele Unwägbarkeiten
WSTS gilt typischerweise als konservativ, was bedeuten könnte, dass der Halbleitermarkt im nächsten Jahr sogar noch stärker wächst. Zieht man allerdings alle Unsicherheitsfaktoren in Betracht, dann unterscheiden sich die Aussagen der Halbleiterhersteller deutlich. Siedhoff ist überzeugt, dass die WSTS-Prognose zumindest den Trend vorhersagt, sprich: ein Wachstum; wie viele Prozent, sei dahingestellt. Adlkofer hält ein Plus im unteren Prozentbereich ebenfalls für realistisch – vorausgesetzt, dass »die bestehenden Unsicherheitsfaktoren nicht alle gleichzeitig zum Tragen kommen, denn dann wird die weltweite Wirtschaft und damit auch der Halbleitermarkt schrumpfen« ,so Adlkofer. Rauscher wiederum betont, dass es ausgeschlossen werden kann, dass der Halbleitermarkt im nächsten Jahr stark schrumpft, was Hrobarsch dahingehend kommentiert: »Ausschließen würde ich es nicht.« Und auch Giese weist darauf hin, dass selbst ein Vulkanausbruch schon ausreichen würde, um alle Prognosen über den Haufen zu schmeißen.
Daneben gibt es aber natürlich noch ganz andere Unsicherheitsfaktoren. Giese weist in diesem Zusammenhang beispielsweise auf Italien und erklärt, dass die dortigen Entwicklungen nicht ganz ungefährlich seien. Auch die Europawahl im Mai 2019 birgt Unsicherheiten, denn keiner mag heute schon vorhersagen, was bei dieser Wahl herauskommt. Aus Adlkofers Sicht ebenfalls nicht absehbar ist, ob es beispielsweise neue Investitionspakete geben wird, die die Wirtschaft ankurbeln. In die andere Richtung geht natürlich die Frage: Wie entwickelt sich der Handelskrieg zwischen China und den USA? Ist es möglich, dass noch weitere Handelsbarrieren hinzukommen? Adlkofer: »Die letzten sechs Monate haben mich aber eher positiv gestimmt, dass es nicht so heftig wird. Die Amerikaner kaufen immer noch deutsche Autos und sie kaufen auch immer noch chinesische Produkte. Es werden außerdem kreative Wege gefunden, die Zölle zu umgehen, indem die Produkte über andere Länder geliefert werden.«
Aber: »In China ist der Automobilmarkt in den letzten Monaten stark zurückgegangen«, so Rothhaupt weiter. Und der Grund dafür ist aus Adlkofers Sicht viel beunruhigender noch als die Trump-Politik: »In China gibt es viele Peer-to-Peer-Kredite, sprich: ein Privatmann gewährt einer anderen Privatperson einen Kredit. Diese Peer-to-Peer-Kredite haben eine enorm hohe Summe erreicht, bei uns würde man das Schattenwirtschaft nennen.«