NanoIC-Pilotlinie in Belgien gebaut

Europa setzt auf IC-Fertigung mit Strukturgrößen unter 2 nm

9. Juni 2024, 14:00 Uhr | Iris Stroh
Luc Van den hove, President und CEO vom imec, während seiner Keynote auf dem diesjährigen ITF 2024.
© imec

Auf dem diesjährigen imec-Technologieforum ITF World 2024 in Antwerpen gab Luc Van den hove, President und CEO vom imec, bekannt, dass im belgischen Forschungszentrum die NanoIC-Pilotlinie für Europa aufgebaut wird.

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Auf dieser Pilotlinie sollen Prozesstechnologien entwickelt werden, mithilfe derer SoCs mit Strukturgrößen unter 2 nm gefertigt werden können. Für die Pilotlinie sind Investitionen in Höhe von 2,5 Mrd. Euro geplant, die aus öffentlichen sowie privaten Mitteln fließen sollen. So sollen EU-Funding-Programme wie z. B. »Horizon Europe« und »Digital Europe« über das Chips-JU (Joint Undertaking) und Flandern insgesamt 1,4 Mrd. Euro an öffentlichen Finanzmitteln beitragen. Der Rest soll von mehreren Industriepartnern des imec kommen, einschließlich natürlich ASML.

»Das Bewusstsein über die strategische Bedeutung von Chips ist infolge der Corona-Pandemie deutlich gestiegen und durch bestehende geopolitische Unruhen noch verstärkt worden«, erklärt Van den hove. Die Folge: diverse Chips Acts in den unterschiedlichen Regionen. Van den hove: »Wenn sie richtig umgesetzt werden, werden diese Chips Acts nicht nur dazu beitragen, eine widerstandsfähigere Mikrochip-Lieferkette zu erreichen, sondern auch helfen, die riesigen Innovationsherausforderungen zu bewältigen.«

Für das imec selbst hat der EU Chips Act zur Folge, dass das imec kräftig in seine Infrastruktur investieren kann. Van den hove: »Dank des European Chips Act beabsichtigen wir, unsere F&E-Pilotlinie erheblich zu erweitern.« Konkret spricht er von einem zusätzlichen Reinraum mit der Größe von 6000 m2 und mehr als 100 Tools. Der Ausbau soll in zwei Phasen erfolgen. Zunächst sollen Tools im erweiterten Rohbau der bereits bestehenden 300-mm-Fertigung installiert werden, einschließlich der nächsten Generation des High-NA-EUV-Scanners von ASML. Anschließend soll die bestehende Fertigung mit einem neuen Fab-Modul, Fab4, verbunden werden. Bei Fab4 handelt es sich um ein Modul mit einer Fläche von 4000 m2, die derzeit entworfen wird. Van den hove: »Wir werden im Laufe des nächsten Jahres mit dem Bau beginnen. Diese umfangreiche Erweiterung wird es uns ermöglichen, unsere Kapazität zu verdoppeln und alle fortschrittlichen Technologien zu installieren, die wir in den nächsten fünf bis zehn Jahren benötigen werden.«

Die Halbleiterindustrie ist und bleibt global

Wie Van den hove immer wieder betont, hält er es für absolut sinnlos, wenn sich die verschiedenen Regionen im Halbleiterbereich voneinander entkoppeln. Van den hove: »Wenn wir versuchen, alles in jeder Region zu machen, dann wird das die Innovation verlangsamen.« Und weiter: »Unsere Industrie ist global. Sie ist ein globales Ökosystem. Deshalb muss auch die Forschung und Entwicklung global sein. Wir sollten die Kontinente nicht voneinander abkoppeln. Wir müssen die großen Herausforderungen auf die effektivste Weise angehen. Ich bin davon überzeugt, dass die Einrichtung einer strategischen Partnerschaft zwischen den Chip-Acts, die Vermeidung von Doppelarbeit und die Förderung der Zusammenarbeit von entscheidender Bedeutung sind, um unsere globale Industrie wirksam zu unterstützen.« Laut seiner Aussage ist diese Erkenntnis mittlerweile auch in der Politik angekommen, sodass auch auf dieser Ebene stärker auf eine Zusammenarbeit der verschiedenen Regionen gedrängt wird.

Und wie sieht es mit dem Zugang für chinesische Firmen aus? Schwierig. In diesem Zusammenhang verweist Van den hove darauf, dass sich die Welt nun mal verändert hat, weshalb es sehr schwierig geworden sei, mit allen zusammenzuarbeiten – das liegt natürlich auch daran, dass das imec über sehr starke Partnerschaften mit vielen Unternehmen in den USA, in Taiwan und Japan verfügt. Van den hove weiter: »Wir wollen auch die Exportvorschriften vollständig einhalten, nicht nur unsere lokalen Exportvorschriften, sondern wir halten uns auch freiwillig an die US-Exportvorschriften.«

Auch innerhalb Europas soll die Zusammenarbeit funktionieren, sprich: die Forschungszentren arbeiten nicht gegeneinander, sondern miteinander. Laut Van den hove wird die neue Pilotlinie beim imec dementsprechend auch komplementär aufgebaut, bei dem jeder in Europa seine Stärken zuliefert. »Auch hier gilt: Wir werden nicht duplizieren, sondern zusammenarbeiten und diese Fähigkeiten einer großen Anzahl von Kompetenzzentren in ganz Europa zur Verfügung stellen, die sich auf Chipdesign, Design-Enablement und Kompetenzentwicklung konzentrieren«, so Van den hove.

Die verschiedenen Chips Acts sind seiner Meinung nach auch von entscheidender Bedeutung, um die Endnutzer und die Endanwendungen besser in den Chip-Innovationsprozess einzubinden, »wie z. B. die Automobilindustrie, die eine ihrer größten Umwälzungen überhaupt erlebt. KI-gestützte Fortschritte verändern auch die Gesundheitsbranche, indem sie komplexe Diagnosen beschleunigen, die Wirksamkeit neuer Medikamententests optimieren und die künftige Proteomics-Forschung ermöglichen – ein Bereich, der entscheidend sein wird, um personalisierte medizinische Behandlungen zu ermöglichen«, so Van den hove weiter.

Sich auf Most Advanced zu konzentrieren funktioniert nicht

»Ich möchte den Blickwinkel über nm und Angstrom hinaus erweitern«, betont Jochen Hanebeck, CEO von Infineon Technologies, während seiner Keynote auf dem ITF 2024. Denn die Welt der Halbleiter umfasst viel mehr als nur die ICs, die mithilfe kleinster Strukturgrößen gefertigt werden. In diesem Zusammenhang verweist er auf Leistungshalbleiter, Sensoren, HF-ICs, optische Sensoren. »Und die Vorstellung, dass es sich bei diesen Halbleitern um veraltete oder ausgereifte Technologien handelt, ist meiner Meinung nach völlig irreführend. Denn wir brauchen Innovationen in all diesen Bereichen, um die Systeme zu bauen, die wir in Zukunft brauchen«, so Hanebeck weiter.

Das ist auch aus einem anderen Gesichtspunkt für Europa wichtig, denn »wir haben in Europa in vielen dieser Bereiche eine sehr gute Position. Wenn wir über Leistungshalbleiter sprechen, dann sind die wichtigen Player hier in Europa angesiedelt. Bei den Mikrocontrollern liegen 50 Prozent des Marktanteils bei europäischen Unternehmen. Und wenn wir über Sensoren sprechen, werden wir in vielen Fällen auch bei europäischen Sensoren landen. Die Welt der Halbleiter ist also vielfältig, breit gefächert, und wir brauchen sie alle zusammen«, so Hanebeck.

Die Leistungshalbleiter sind aus der Sicht von Hanebeck ein gutes Beispiel dafür, dass auch hier enorme Innovationen vorangetrieben werden. Derzeit arbeiten die Unternehmen mit drei Materialien, die sie verwenden und weiter erforschen. Silizium bezeichnet er als das Arbeitspferd, und das wird es seiner Meinung nach auch noch eine ganz Weile bleiben, weil es sehr kostengünstig ist. Dazu kommt noch SiC dank seiner hervorragenden Wärmeleitfähigkeit und GaN dank seiner hervorragenden Elektronenbeweglichkeit. »Mit diesen Materialeigenschaften muss man aber auch umgehen können, denn beispielsweise endet die Wärmeleitfähigkeit nicht am Halbleiter, die Wärme muss nach außen gebracht werden. Auch die Ansteuerung von Systemen mit breiter Bandlücke ist eine ganz andere Sache, das bedeutet andere Treiberstufen, andere Berechnungsansätze einschließlich des entsprechenden Algorithmus«, so Hanebeck. Aber der Aufwand lohnt sich, was er am Beispiel GaN belegt. Derzeit handelt es sich dabei zwar noch um einen relativ kleinen Markt von gerade mal 200 bis 300 Millionen Euro Umsatz. Aber die Aussichten sind enorm. Heute wird GaN zwar hauptsächlich in Ladegeräten für Smartphones eingesetzt, aber »wir erwarten, dass GaN in vielen wichtigen Anwendungen bis 2030 zur bevorzugten Technologie wird«, erklärt Hanebeck.

In diesem Zusammenhang verweist er beispielsweise auf Onboard-Ladegeräte im Auto – hier findet ein Übergang von SiC zu GaN statt. Das Gleiche erwartet er für Motorsteuerungen mit geringem Stromverbrauch oder im Bereich Solartechnik für Privathaushalte. Hanebeck: »Alle drei Elemente, alle drei Technologien sind also von entscheidender Bedeutung, und wir werden sehen, wie sie miteinander konkurrieren und sich im Laufe der Zeit in ihrer Bedeutung verändern. Das ist natürlich auch eine Herausforderung bei der Herstellung, denn diese Materialien erfordern unterschiedliche Fertigungsstrukturen. Aber ich denke, das ist genau der Weg, der zum Erfolg führen wird.« Und weiter: »Die Wachstumsrate im Bereich Leistungshalbleiter ist enorm. Denn wenn die Welt dekarbonisieren will, müssen wir elektrifizieren.«

EU fördert nicht nur Moore’s Law

Thomas Skordas, Deputy Director-General der Europäischen Kommission, erklärt während seiner Rede auf dem ITF 2024, dass Europa Investitionen in Höhe von 11 Mrd. Euro tätigen will, um die technologische Führungsposition Europas durch Forschung und Innovation zu stärken. Er ist überzeugt, dass Europa, gerade wenn es um R&D im Halbleiterbereich geht, durchaus führend ist. Denn in allen wichtigen europäischen Forschungszentren – imec, CEA Leti und Fraunhofer, wobei Skordas noch anmerkt, dass das bei Weitem nicht alle wichtigen Forschungszentren in Europa sind – wären bahnbrechende technologische Fortschritte und Durchbrüche in den letzten Jahrzehnten erzielt worden, wodurch sie »zu einer Art unverzichtbaren Drehscheibe in der Welt geworden sind«, so Skordas.

Es reiche jedoch nicht aus, in Forschung und Innovation exzellent zu sein. »Deshalb baut Europa jetzt auch seine Infrastruktur-Kapazitäten aus, um seine verschiedenen Forschungsfortschritte in Produktionskapazitäten umzusetzen. Ziel ist es, Europa zu einem bedeutenden Akteur sowohl bei den Front-End- als auch bei den Back-End-Halbleiterproduktionstechnologien und -einrichtungen zu machen«, erklärt er weiter. Dabei sollen zwei Initiativen helfen: Pilotlinien und eine paneuropäische Design-Plattform, »die von Halbleiterkompetenzzentren in allen Mitgliedsstaaten ergänzt werden.«

Neben der Pilotlinie beim imec für Prozessentwicklungen unterhalb von 2 nm sind noch drei weitere geplant: eine Pilotlinie für FD-SOI mit 7 nm, die Koordination liegt beim CEA Leti in Frankreich. Das dritte Projekt befasst sich mit fortgeschrittenen Packaging- und heterogenen Integrationstechnologien; die dazugehörige Pilotlinie wird vom Fraunhofer in Deutschland koordiniert. Skordas weiter: »Und dann war die Überraschung, dass wir es geschafft haben, auch die vierte Pilotlinie festzuzurren, bei der es um die Vorbereitung von fortgeschrittenen Halbleiterbauelementen geht, die auf Halbleitermaterialien mit breiter Bandlücke basieren werden.« Für alle vier Pilotlinien ist über die nächsten Jahre ein Investment von 3,3 Mrd. Euro budgetiert, worauf sich die EU und die Mitgliedsstaaten geeinigt haben.

Skordas: »Wir planen aber bereits weitere Pilotlinien. Eine, die ich bereits ankündigen kann, ist die Photonik-Linie, für die sich derzeit mehrere Konsortien und Partner zusammenfinden. Wir hoffen, bald eine Ausschreibung veröffentlichen zu können.« Darüber hinaus sei auch eine Pilotlinie für Quanten-Chips geplant. Skordas abschließend: »Mit all diesen Pilotlinien senden wir eine sehr deutliche Botschaft aus: In Europa erhalten die Entwickler Zugang zu modernsten Halbleitertechnologien, die nirgendwo sonst auf der Welt verfügbar sind.«


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