Round Table Zukunft "Supply Chain"

"Zu viele Variablen, zu wenig Steuermöglichkeiten“

6. Juni 2022, 14:00 Uhr | Karin Zühlke

Fortsetzung des Artikels von Teil 1

"Von der Globalisierung zur Lokalisierung"

Die Erkenntnis stützt Mangler auf eine Simulation, die Rutronik über die Variablen, die den Markt beeinflussen, durchgeführt hat. Das Ergebnis: Wenn die Ausschläge zu groß werden oder nicht mehr beeinflussbar sind von Seiten Rutroniks, muss gehandelt werden. „Dann müssen wir an den Punkt kommen, wo die Ausschläge wieder geringer werden.“ Aber welche Einflussmöglichkeiten gibt es überhaupt? Eine Möglichkeit, so Mangler, sei, die Wertschöpfungskette wieder näher heranzuholen, um sie besser zu kontrollieren. „Aber die Oszillation werden wir in der Form nicht mehr bremsen können“, gibt Mangler zu.

Geopolitisch müsse man zurück von der Globalisierung zur Lokalisierung, fordert Karsten Bier, wie auch andere Teilnehmer am runden Tisch. Das heißt, die Supply Chain muss dort stattfinden, wo die End-Applikation bzw. der Endverbraucher ist. Ist ein Produkt für den chinesischen Markt bestimmt, muss die Supply Chain in China verortet sein. Analog gilt das genauso für ein Produkt, das in Europa oder den USA eingesetzt wird. In diesem Zusammenhang spielt nach Ansicht von Karsten Bier auch das Thema „Risk Management“ eine maßgebliche Rolle für die Zukunft der Lieferketten.

Hermann Reiter, Geschäftsführer Digi-Key GmbH Deutschland, weist indes darauf hin, dass man Visibilität und Transparenz der Lieferketten aktiv gestalten müsse und der Mittelstand bereits reagiert habe, indem er Auslagerungen teilweise wieder zurücknimmt: „Die Wertschöpfung steigt wieder in den Unternehmen. Besonders bei der Kabelkonfektionierung sieht man das bereits.“ Hier sei der Handlungsdruck besonders groß gewesen, weil im Automotive-Segment sehr viel dieser Dienstleistung in der Ukraine erbracht worden ist.

Dem pflichtet auch Carsten Ellermeier bei, CEO von Prettl Electronics, aber mit einer klaren Einschränkung: „Ich sehe absolut nicht, dass es beim Outsourcing von Elektronikdienstleistungen einen Trend zurück inhouse gibt. Aber wenn man die Lieferketten betrachtet, wie das genannte Beispiel der Kabelkonfektionierung, bin ich sicher, dass es in dieser Hinsicht künftig ein besseres Risikomanagement geben wird. Die Diskussion mit den Herstellern darüber, die Fertigungsschritte für den Local Content in Europa zu erhöhen, führe ich mit großen Endkunden durchaus.“ Laut Ellermeier seien die großen Konzerne in Deutschland auf Top-Management-Level damit beauftragt, eine Local-Sourcing-Strategie aufzusetzen. „Aus Gründen des Risikomanagements wird auch darüber diskutiert, wie viel mehr man zu bezahlen bereit ist, um die Supply Chain abzusichern.“

Die Forderung, mehr Wertschöpfung in der Lieferkette – wieder – nach Europa zu holen, wurde nicht zuletzt durch die Komponenten-Knappheit forciert, unter der die europäische Automobilindustrie öffentlichkeitswirksam litt und noch leidet. Zahlreiche Aktivitäten wie der European Chips Act sind diesbezüglich im Gange. Aber Fakt ist auch, dass ganze Lieferketten nicht von heute auf morgen transferiert werden können, weil der bloße Aufbau einer Fertigung an Ort und Stelle die globalen Herausforderungen nicht löst.

Marc Eichhorn, Product Marketing Manager Batteries von Avnet Abacus, veranschaulicht die Situation am Beispiel seines Produktbereichs: „Europa versucht aufzuholen. Alleine 38 Batteriewerke für Lithium-Ionen-Batterien sind bis 2030 in Europa geplant. Das ist ein ganz neuer Industriezweig, der hier entstehen soll. Allerdings ist das Rohmaterial wie Anoden- und Kathodenmaterial weiterhin in chinesischer Hand. Von daher wird es nicht so einfach, die globalen Verzweigungen zu entkoppeln - auch nicht mit einer lokalen Fertigung.“

Mehr Sicherheit im Sinne des Risikomanagements bieten darüber hinaus auf zwei Kontinente oder wenigstens unterschiedliche Länder verteilte Produktionsstandorte oder auch Second Sources bei der Bauteileauswahl. Aber auch hier gilt es, diverse Herausforderungen zu bewältigen. Gleichzeitig bieten Themen wie „Innovationsmanagement“ interessante Ansatzpunkte für die Lieferketten der Zukunft.

Die Aspekte dazu lesen Sie in einer der nächsten Markt&Technik-Ausgaben.


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