„Zwischen Störfeuer und Normalität - wie sieht die Zukunft der Supply Chain aus?“: Dieser Frage gingen die Teilnehmer am Round Table „Supply Chain“ anlässlich des Markt&Technik-Spitzentreffens auf den Grund.
Zur Diskussion traf sich diesmal eine interdisziplinäre Runde aus Distributoren, Elektronik-Dienstleistern sowie Bauelemente- und System-Herstellern. Sie kamen zu dem Schluss: „Wir werden eine neue Normalität in der Lieferkette haben, aber wie die genau aussehen wird, wissen wir schlichtweg noch nicht“, fasst Marie-Pierre Ducharme zusammen, Vice President Supplier Marketing und Business Development EMEA von Mouser.
Die Lieferkette mit all ihren Facetten war schon immer zyklischen Schwankungen unterworfen, musste auf geopolitische Eskapaden reagieren oder war von Umweltkatastrophen in Mitleidenschaft gezogen. Kurzum: Sie funktionierte mal besser und mal schlechter; diesmal haben die Auswüchse der Störungen aber ein noch nicht gekanntes Niveau erreicht. Darin ist sich die Diskussionsrunde weitgehend einig. Und die Gründe dafür sind so vielschichtig wie nie zuvor. Die Verfügbarkeit - oder vielmehr die Nicht-Verfügbarkeit - von Ware ist letztlich nur die sichtbare Spitze des Eisbergs, wie Ulf Timmermann, CEO von reichelt elektronik, unterstreicht. Und da gelte letztlich die Devise: „Nimm was Du kriegen kannst“. Das jedenfalls rät Timmermann aktuell auch seinen Kunden.
Zur aktuellen Situation der Lieferkette im Detail befragt, nennen die Teilnehmer zahlreiche Knackpunkte, die in der Gesamtschau die Probleme auf die Spitze treiben: Aus der Sicht von Dietmar Jäger, President Global Distributor Division von TDK, sind die Lieferketten und Transportwege wohl noch auf längere Sicht nicht richtig im Schritt: „Sowohl die See- als auch die Luftfracht haben durch die Pandemie an Kapazität verloren. Um ein Beispiel zu nennen: Durch die sechs Wochen längere Laufzeit der Seefracht fehlen dem Markt auch erheblich länger die so transportierten Waren. Luftfracht aus China dauert nun zwei Wochen - nicht dass die Flugzeuge so lange in der Luft wären, aber es fehlt auf beiden Seiten an Personal für Zolldurchlauf und Handling.“
Ein weiteres Problem sieht Helge Puhlmann, European President von Yamaichi, in der „wahnsinnigen Umschichtung von Geld in Grundservice-Provider und Grundmaterialhersteller und -lieferanten“. Zu den Grundservice-Providern zählen laut Puhlmann unter anderem die Transportdienstleiser und Reedereien. An einem Beispiel erläutert Puhlmann die Tragweite: Die Reederei Hapag Lloyd, einer der größten Seefracht-Anbieter, hat ihren Gewinn seit 2017 von 27 Millionen auf satte 9 Milliarden Dollar im Jahr 2021 gesteigert. Mit seiner Gewinnsteigerung steht Hapag Lloyd nicht alleine, auch andere Carrier wie DHL fahren derzeit Rekordgewinne ein. „Das ist alles Geld, das aus der Supply Chain rausgeht“, gibt Puhlmann zu bedenken. Zudem warnt er vor einer rezessiven Phase, verursacht durch Preiserhöhungen und den zu erwartenden Zinssteigerungen.
Von derartigen Gewinnsteigerungen können hingegen Systemhersteller angesichts der Kostensteigerungen in den Lieferketten nur träumen, wie Hermann Püthe, geschäftsführender Gesellschafter von Inpotron, bestätigt: „Unsere Gewinne sind bei steigenden Umsätzen deutlich zurückgegangen“. Er bemängelt darüber hinaus, dass die Garantien der Komponenten-Hersteller „nichts mehr wert“ seien: „Sie sagen zwar Liefertermine zu, die werden aber nicht eingehalten.“ Erst auf Nachfrage werde der Liefertermin um ein halbes Jahr nach hinten geschoben. Um die eigenen Kunden dennoch weiter beliefern zu können, setzt Püthe strikt auf Lagerhaltung und den Einsatz von Alternativ-Komponenten, was wiederum die eigenen Entwicklungs-Ressourcen massiv bindet. Und der Ausblick? Eine Entspannung sieht Hermann Püthe zumindest bis Ende 2023 nicht. Im Gegenteil: Er rechnet damit, dass noch größere Schwierigkeiten auf die Branche zukommen werden. Was die mangelnde Verfügbarkeit anbelangt, äußern auch die anderen Diskussionsteilnehmer ähnliche Bedenken.
„Nicht mehr beeinflussbar“
Ein großer Teil dieser Schwierigkeiten in den Lieferketten ist bedingt durch die zunehmenden globalen Unwägbarkeiten, wie Karsten Bier erklärt, CEO von Recom: „Wir sehen in den letzten beiden Jahren, dass die Globalisierung an geopolitischen Themen hängt. Es gibt viele Faktoren, die wir als Manager gar nicht mehr steuern können. Und das ist die neue Realität. Die verändert alles. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir zur Normalität, wie wir sie kennen, zurückkehren werden.“ Aber, so Karsten Bier, das sei im Grunde gar nicht so schlecht, wenn auch „heftig“. „Viel zu viele Variablen, die wir nicht mehr beeinflussen können“, sieht auch Andreas Mangler, Director Strategic Marketing und Mitglied des Extended Executive Boards von Rutronik, in der Lieferkette. „Angefangen beim Rohmaterial bis hin zu den Transportdienstleistern“.