HMI im Blick des Patienten

Gekrümmte Deckgläser für schicke Medizindisplays

16. Juni 2025, 10:00 Uhr | Von Rudolf Sosnowsky, CTO bei Hy-Line
Seitenansicht des gekrümmten Displays zur Integration
© Hy-Line

Die Erde ist rund – warum müssen Bedienoberflächen für Medizingeräte also plan sein? Bisher bestehen funktionelle HMI meist aus ebenen Frontplatten und rechteckigen Displays – was organische Designs schwierig macht. Es ist an der Zeit, gebogenes Deckglas harmonisch in Medizingeräte zu integrieren.

Diesen Artikel anhören

Der Design-Ansatz stellt die Technik vor Herausforderungen: Displays sind plan und rechteckig, Flachglas ebenfalls. Die Verklebung ist Stand der Technik und wird vom Bedienpanel der Kaffeemaschine bis zum Medizingerät im OP praktiziert. Doch welche Alternativen für harmonisch gebogene Designs für funktionelle HMIs gibt es?

Beim Systementwickler Hy-Line möchte ein Medizingerätehersteller eine gebogene Frontplatte aus Glas in sein Display integrieren. Das Gerät kommt nicht nur nicht nur im Labor, sondern sichtbar für den Patienten zum Einsatz und soll ansprechend aussehen. U.a soll die Gerätefront in der im medizinischen Bereich vorherrschenden Farbe Weiß bedruckt werden. Soweit die Vorgabe der Designer, aber es gibt zudem einige technische Aspekte. Strenge Zertifizierungen sind für den weltweiten Vertrieb, besonders aber in den USA, zu erfüllen, hinzu kommen die üblichen elektrischen und mechanischen Vorschriften wie UL oder Sicherheitsglas. Da die Zertifizierung einen bedeutenden Anteil an den Einmalkosten hat, müssen alle Komponenten langfristig verfügbar sein, da jede Änderung zumindest eine teilweise Nachzertifizierung erfordern würde.

Die optimale Option

Aus mehreren Möglichkeiten, die Aufgabenstellung zu lösen, kristallisierte sich die hier vorgestellte heraus.

Systemdesign

Für den Aufbau kommt die klassische Anordnung infrage: Die PCAP-Technologie ermöglicht eine Glasfront, hinter der der kapazitive Touchsensor laminiert ist. Dahinter befindet sich ein TFT-Display. Die Abmessungen der Touch-Fläche und des Fensters im Deckglas sind auf die »Active Area« des Displays abgestimmt, so dass auch unter schrägem Winkel der gesamte dargestellte Inhalt ablesbar bleibt, ohne dass interne Strukturen wie Zuleitungen oder der Blechrahmen des Displays sichtbar werden.

Anbieter zum Thema

zu Matchmaker+
Hy-Line Display Medizintechnik gekrümmt Entwicklung Optical Bonding Medtech Medical Display Embedded
Querschnitt des gekrümmten Displays für ein Lifestyle-Medizingerät.
© Hy-Line

Deckglas

Glas kann mechanisch vielseitig bearbeitet werden. Die Konturen können mit CNC-Fräsen nahezu beliebig gestaltet werden. Bei starker Erwärmung wird es weich und kann in der dritten Dimension gebogen werden. Dieser Prozess erfordert Know-how, denn die Erwärmung muss über das gesamte Materialvolumen gleichmäßig erfolgen. Auch die Abkühlung muss kontrolliert werden, damit sich keine unerwünschten mechanischen Verspannungen im Glas ergeben. Die gleichmäßige Abkühlung sorgt auch dafür, dass keine Schlieren entstehen, die die Optik beeinträchtigen und das Bild verzerren.

Im Referenzbeispiel hat der Medical-OEM die Möglichkeiten der Glasbearbeitung genutzt und die Ecken und die Kanten des Displays dem Design entsprechend gerundet bearbeiten lassen. Durch den weißen Druck passt sich das Display besonders im aktiven Zustand optimal an das Gerätedesign an, während es ausgeschaltet durch das Bonding tiefschwarz wirkt.

Die Bedruckung des Deckglases erfolgt von hinten. Damit ist die Farbe vor mechanischen Einflüssen wie Kratzern und Abrasion durch Reinigungsmittel geschützt. Speziell die Farbe Weiß stellt den Designer vor Herausforderungen: Die Deckkraft muss ausreichend sein, um Licht, das von hinten kommt (etwa vom Backlight oder internen LEDs zur Funktionskontrolle), zu blockieren. Daher muss der Druck mehrfach erfolgen, und mit einem zusätzlichen Silberdruck abgedeckt werden. Eine weitere Eigenschaft des Glases ist, dass es spektral nicht gleichmäßig transparent ist, sondern eine Eigenfarbe hat. Im Alltag kann man dies beobachten, wenn man eine Glastür von der Kante her betrachtet: das Glas erscheint grün. Entweder muss spezielles Weißglas zum Einsatz kommen, oder das Erscheinungsbild gehört mithilfe des Farbtons der weißen Druckfarbe korrigiert.

Die Front des gesamten Geräts besteht aus fünf weiteren Gläsern, die identisch bedruckt sind, aber abgesehen von einem Fenster zum Arbeitsraum keine weiteren Funktionen haben. Das optische Erscheinungsbild muss auch ohne dahinter gebondeten Touchsensor und Display identisch sein.

Display

Das Display ist der komplexeste mechanische Aufbau. Auch wenn man immer wieder von biegbaren Displays oder Klapp-Smartphones liest, ist die hier verwendete Technik mit einer Diagonale von über 20 Zoll immer noch starr. Zu viele Schichten – vom Backlight über den Foliensatz und das TFT-Panel bis hin zum Rahmen – kommen hier zum Einsatz. Ein konzentrisches Biegen würde eine hohe mechanische Belastung bedeuteten. Der gesamte Aufbau des Displays, nicht nur des TFT-Panels, würde unter mechanischer Spannung stehen, die interne Beschädigungen und Kontaktprobleme hervorruft. Außerdem sind optische Beeinträchtigungen zu erwarten, da die TFT-Zelle je nach Technologie mit Farbverschiebungen und Mura (großflächigen Flecken) reagiert.

Touch-Sensor

Die Touch-Technologie, die eingesetzt wird, ist PCAP (projected capacitive). Bekannt von Smartphones bietet sie hinter der Glasfront die beste Funktion. Geeignete Sensoren bestehen aus zwei Folien, die miteinander verklebt sind und die Elektrodenstruktur tragen, anhand derer die Koordinate des Touch-Ereignisses ausgewertet wird. Die Folie kann sich der Biegung anpassen und wird in das konkav gewölbte Deckglas bündig und blasenfrei laminiert.

Die Herausforderungen liegen im elektrischen Bereich: Wird sich der Touchsensor so einstellen lassen, dass über die gesamte Fläche ein homogenes Touchgefühl entsteht? Werden die vom Display ausgehenden elektromagnetischen Störungen sowohl am Rand in größter Nähe als auch in der Mitte bei größtem Abstand beherrschbar sein?

Hy-Line Display Medizintechnik gekrümmt Entwicklung Optical Bonding Medtech Medical Display Embedded
Bild 2. Gestaltung der Gerätefront
© Hy-Line

Optik

Für den unterschiedlich starken Spalt zwischen Display und Sensor/Deckglas (siehe Bild 1) wird ein Material verwendet, das das Volumen ausfüllt und auch bei variierender Stärke einwandfrei aushärtet. Gleichzeitig bietet es hervorragende optische Eigenschaften, die die unvermeidliche Parallaxe bei schräger Aufsicht minimal halten.
Das Display muss trotz gewölbtem Deckglas aus allen Winkeln gut ablesbar sein. Für den Touchscreen muss die Parallaxe gering genug sein, dass man ihn aus allen Winkeln bedienen und die richtigen Schaltflächen treffen kann.

Trotz unterschiedlicher Stärke des Spalts am Rand und in der Mitte muss das Bonding-Material gleichmäßig aushärten und darf dabei nicht schrumpfen. Gleichzeitig muss es die auftretenden Scherkräfte des großen Deckglases aufnehmen. Dafür wurde der Bonding-Prozess so angepasst, dass trotz der in der Mitte hohen Schichtdicke eine blasenfreie Aushärtung erfolgt und die Scheibe sicher gehalten wird. Spezielle Umgebungsbedingungen während der Verarbeitung und eine lange Aushärtezeit gewährleisten eine optimale Stabilität und schlierenfreie Optik.

Visualisierung nicht ohne GUI

Auf dem Display wird das Interface für den Bediener dargestellt. Der Rechner dient nur zur Visualisierung, nicht zur Ansteuerung der Maschine. Dafür reicht ein schlankes Betriebssystem mit Grafik-Bibliothek aus, das die Eingaben über den Touchscreen entgegennimmt und die Visualisierung auf dem Display ausgibt. Durch die beschränkte Bauhöhe wird auf ein effizientes ARM-System zurückgegriffen, das ohne große Kühlmaßnahmen auskommt. Auf der Basis eines SOM (System On Module) von Kontron wurde ein eigenes Base-Board entwickelt. Dieses Konzept bietet nicht nur alle geforderten Interfaces, sondern auch die Designhoheit und damit den Einfluss auf die Produktlebensdauer für das Medizinprodukt. Das eigene Design ermöglicht auch die optimale Ausnutzung des hinter dem Display zur Verfügung stehenden Bauraums.

Hy-Line Display Medizintechnik gekrümmt Entwicklung Optical Bonding Medtech Medical Display Embedded
Bei der Entwicklung von Displays für Medizingeräte gibt es jede Menge Optionen: auch gekrümmte Displays stellen für erfahrene Entwicklungsdienstleister kein Problem mehr dar.
© Hy-Line

Herausforderung Systemintegration

Obwohl das Verkleben eines planen Displays recht konventionell erscheint, ergeben sich Fragen nach der Zuverlässigkeit des Systems. Das Display muss auch unter schrägen Betrachtungswinkeln ohne Verfälschung der Abbildungsqualität ablesbar und trotz Parallaxe bedienbar sein. Dazu wird das Material für das Optical Bonding des Raums zwischen Display und Deckglas mit einem transparenten Material aufgefüllt, das einen passenden Brechungsindex hat und dadurch die Reflexionen minimiert. Außer den optischen Eigenschaften muss es zudem so ausgewählt werden, dass es auch bei unterschiedlicher Schichtdicke (am Rand nahe Null, in der größten Wölbung über einen Zentimeter) aushärtet und für mechanische Stabilität sorgt. Ein eigens konstruierter Montagerahmen, der in Spritzgusstechnik gefertigt wird, hält nicht nur den gesamten Aufbau mit Deckglas und Display an der korrekten Stelle, sondern sorgt durch seine Steifigkeit auch für eine gleichmäßige Verteilung der Kräfte, um eine Delamination zu vermeiden.

Bleibt noch die Einstellung des Touchsensors für den medizinischen Einsatz. Im Normalfall wird die Betriebsart des Touchsensors festgelegt: er soll mit mehreren Fingern funktionieren, darf unter dem Einfluss von Flüssigkeiten wie Wasser und Reinigungsmitteln nicht fehlerhaft auslösen, soll unter dem Einfluss von EMV und Störstrahlungen des darunter liegenden Displays nicht reagieren und auch noch mit Handschuhen bedienbar sein. Für einen planen Touchscreen sind die Parameter schnell gefunden. Für den gewölbten Sensor, der zwar zur außen gelegenen Oberfläche immer den gleichen Abstand hat, aber nach hinten elektrisch variablen Verhältnisse, je nach Dicke des Bonding-Materials und Abstand zum Display, vorfindet, stellt dies eine Herausforderung dar: Für einwandfreie Bedienbarkeit braucht es ein sorgfältiges Abstimmen aller relevanten Parameter.

Krumm und schick: Medizindisplays

Wer sagte, dass alle technischen Geräte plan und rechteckig sein müssen? Mit dem einem erfahrenen Systementwickler- und Integrator, der wiederum auf verlässliche Kooperationen in Glasbearbeitung und Bonding setzt, können gekrümmte Deckgläser auch in der Medizintechnik Design-Maßstäbe setzen und den Ausspruch von Luigi Colani »Die Computerindustrie ist noch nie in der Nähe eines Designers gewesen, in ihrer Gesamtheit.« eines Besseren belehren. Mit der smarten Kombination bewährter Komponenten, nämlich Deckglas, Touch-Sensor und Display, lässt sich ein technisch und optisch attraktives Displaysystem für Medizingeräte erstellen. (uh)


Lesen Sie mehr zum Thema


Das könnte Sie auch interessieren

Jetzt kostenfreie Newsletter bestellen!

Weitere Artikel zu HY-LINE Systems

Weitere Artikel zu Medizinelektronik

Weitere Artikel zu Medizintechnik

Weitere Artikel zu Displays / HMI-Systeme / Panel-PCs

Weitere Artikel zu Design & Entwicklung