Der Halbleitermarkt umfasst nicht nur ICs, die mithilfe von kleinsten Prozessstrukturen gefertigt werden. Wo steht China, wenn es um größere Prozessstrukturen oder More-than-Moore-Technologien geht? Michael Haidar, Global Vice President of Sales Americas and EMEA von GigaDevice Semiconductor, ist überzeugt, dass die chinesischen Ingenieure in diesem Bereich bereits bewiesen haben, dass sie durchaus einige der besten Designs realisieren können. Als gutes Beispiel gelte GigaDevice, das Unternehmen hält mittlerweile im Commodity-Memory-Bereich einen Marktanteil von 20 Prozent, »und das nach relativ kurzer Zeit und obwohl wir mit Unternehmen konkurrieren, die schon seit Jahren am Markt aktiv sind. Das zeigt, dass chinesische Unternehmen das Know-how und die Expertise haben, um das zu entwickeln und zu designen, was sie brauchen, um unter Umständen selbstversorgend zu werden. Aber auch wenn diese Bausteine in chinesischen Fabs hergestellt werden, gibt es immer noch eine unüberwindbare Abhängigkeit von ausländischen Firmen beim Equipment, fortschrittlichen Prozessen, Software, etc. Aus meiner Sicht bedeutet das, dass chinesische Unternehmen definitiv wettbewerbsfähig sind, aber nicht autark.«
Das beurteilen die anderen Panel-Teilnehmer genauso, wobei Jiao glaubt, dass es in den More-than-Moore-Technologien für China leichter ist, hier eine größere Unabhängigkeit von ausländischen Lieferanten zu bekommen. In diesem Zusammenhang verweist Jiao beispielsweise auf Hersteller von Leistungshalbleitern, die beispielsweise die Dienste von SMIC oder TSMC nutzen. »Diese Produkte sind beispielsweise auch für unsere Schnellzüge wichtig, weshalb die chinesische Regierung auch in dieses Segment viel investiert.«
Jiao ist außerdem der Überzeugung, dass China bei den CMOS-Bildsensoren durchaus eine führende Stellung einnimmt. Auch wenn es um applikationsspezifische Prozessoren geht, könne China durchaus punkten. Eine weitere Erfolgsgeschichte ist RISC-V. GigaDevice war das erste Unternehmen überhaupt, das eine General-Purpose-MCU auf Basis von RISC-V auf den Markt gebracht hat. Ein außergewöhnlicher Schritt, denn Prof. He weist darauf hin, dass alle Entwickler mit ARM und dem dazugehörigen Ecosystem vertraut sind und aus Time-to-Market-Gründen ungern auf eine andere Architektur wechseln wollen. Prof. He: »GigaDevice hat hier großartige Arbeit geleistet und es ist damit gelungen, auch das Ecosystem für diese Architektur aufzubauen, in dem jetzt auch Unternehmen wie IAR und SEGGER zu finden sind.«
Darüber hinaus sei Alibaba mit seinem 64-bit-RISC-V-Prozessor auch ein Beweis, welche Leistungsfähigkeit chinesische Unternehmen aufweisen können. Auch wenn es um kostengünstige IoT-Chips mit Funkanbindung gehe, seien viele chinesische Firmen aktiv und auch durchaus erfolgreich, auch weil sie oft mit niedrigeren Kosten am Markt auftreten. Haidar erklärt, dass sich GigaDevice aufgrund der Marktnachfrage für die Entwicklung von MCUs mit RISC-V-Kern entschieden hat, »obwohl wir uns stark auf ARM-basierte Controllern und deren Entwicklung konzentrieren.« Es wäre viel schwieriger gewesen, in einen Markt mit viel weniger bekannten oder chinesischen MCU-Kernen einzudringen.
Derzeit sieht es ja nicht gerade so aus, als ob sich China und die USA auf dem Weg der Annäherung befinden. Besteht also die Gefahr, dass die Entity-Liste beispielsweise auf ARM-Prozessorkerne ausgeweitet wird? Muss sich zeigen, die Meinungen hierzu sind unterschiedlich: Haidar kann sich das nur für die fortschrittlichsten Cores und Ähnliches vorstellen, aber nicht für die weitverbreiteten Varianten. Jiao wiederum hält diesen Schritt für durchaus möglich.
Ein weiter Weg
Alle Panel-Teilnehmer sind sich einig, dass eine Autarkie in keinem Bereich, also egal ob modernste Prozesstechnologien oder More-than-Moore-Technologien, gegeben ist, wobei aber auch fraglich ist, ob das wirklich das Ziel sein sollte. Alle stimmen außerdem überein, dass das für keine Region der Fall ist. Haidar warnt: »Wenn die Welt wirklich stärker in die Richtung geht, alles im eigenen Land halten zu wollen, dann wird es für uns alle schwieriger.«
Außerdem: Selbst wenn es die Entity-Liste nicht gäbe und chinesische Firmen sowohl an das Equipment wie auch an die Tools kämen, ist es unklar, wie schnell chinesische Firmen es schaffen würden, beispielsweise zur ernsthaften Konkurrenz zu den Qualcomms, Intels etc. dieser Welt zu werden, das hat bislang kein ausländisches Unternehmen geschafft, auch ganz ohne Entity-Liste.