Seit Juni 2022 leitet Adam White den Bereich Power & Sensor Systems (PSS) von Infineon. Wir fragten ihn, warum Infineon einzigartig positioniert ist, um die Dekarbonisierung und Digitalisierung voranzutreiben, wie er die Division weiterentwickeln will und warum Infineon ambitionierter werden soll.
Markt&Technik: »Driving Decarbonisation and Digitalization. Together.« Unter diesem Motto präsentiert sich Infineon auf der electronica. Was bedeutet das?
Adam White: Dekarbonisierung und Digitalisierung sind die Megatrends, die wir bei Infineon mit unseren Systemen und Produkten adressieren. Und der dritte Begriff, »gemeinsam«, beinhaltet mindestens zwei Aspekte. Zum einen gehen Dekarbonisierung und Digitalisierung Hand in Hand.
Bei der Digitalisierung geht es beispielsweise darum, die Umgebung zu erfassen und Systeme in den Schlafmodus zu versetzen, wenn sie nicht benötigt werden. Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben. Wenn wir jeden Raum in einem Bürogebäude überwachen, können wir die Beleuchtung in nicht genutzten Bereichen herunterfahren, die Klimaanlage in den Ruhezustand versetzen und so weiter. Und indem wir Energie sparen, können wir die Dekarbonisierung vorantreiben.
Ein anderes Beispiel: Viele Menschen schalten zu Hause morgens ihren großen Flachbildfernseher ein und lassen ihn den ganzen Tag über laufen, während sie ihrer Routine nachgehen. Mit einem eingebauten Präsenzsensor können wir den Bildschirm ausschalten, um Energie zu sparen, wenn sich niemand vor dem Gerät aufhält, und ihn wieder einschalten, wenn jemand den Raum betritt.
Und was ist der zweite Aspekt von »gemeinsam«?
Wir wollen gemeinsam eng mit unseren Leitkunden an diesen Megatrends arbeiten.
Mit Milliarden von intelligenten Sensoren in vernetzten Gebäuden und Haushalten sind Datenschutz und Privatsphäre ständig bedroht. Was unternimmt Infineon, damit all diese vernetzten Geräte nicht zum Einfallstor für Bösewichte werden?
Beim Thema Datenschutz und Privatsphäre spielen zwei Elemente eine wichtige Rolle. Erstens ist sicherzustellen, dass das intelligente Gerät nicht als Hintertür für Personen dient, die Sie nicht in Ihrem Haus haben wollen. Und zweitens muss man gewährleisten, dass Geräte wie Staubsaugroboter keine Räume betreten, in denen sie nichts zu suchen haben, oder dass Smart-TVs nicht erfassen, was Sie vor dem Gerät tun. Deshalb setzt Infineon für solche Anwendungen auf die Radartechnologie anstelle von optischen Kameras. Radarsensoren liefern die Daten, mit denen das System seine Aufgabe erfüllen kann, sammeln aber keine Informationen, die missbraucht werden könnten.
Zurück zu den Megatrends: Infineon ist mit allen drei relevanten Materialien für Leistungshalbleiter unter einem Dach gut aufgestellt. Obwohl Siliziumkarbid und Galliumnitrid auf dem Vormarsch sind, hat Infineon angekündigt, für fünf Milliarden Euro eine neue Waferfertigung in Dresden für Silizium-Bauelemente zu errichten. Für mich klingt das ein wenig seltsam.
Bei Infineon sind wir fest davon überzeugt, dass Silizium noch viel Zukunftspotenzial hat. In dieser neuen Fab werden nicht nur Silizium-MOSFETs und -IGBTs hergestellt, sondern auch Mixed-Signal- und Power-Management-Bausteine. Dies unterscheidet sich von der 300-mm-Fab in Villach, die ausschließlich für Leistungshalbleiter bestimmt ist.
Sie haben allerdings Recht, wenn Sie sagen, dass der Markt für Siliziumkarbid und Galliumnitrid schnell wächst – sogar schneller, als wir erwartet hatten. Wir sehen SiC-MOSFETs eher als eine Art Drop-in-Ersatz für Silizium-MOSFETs oder -IGBTs, da sich diese Bauelemente ähnlich verhalten. Bei Galliumnitrid sehen wir jedoch, dass unsere Kunden noch eine Lernkurve durchlaufen müssen, um das volle Potenzial dieser Technologie ausschöpfen zu können. Unsere Aufgabe ist es, sie in dieser Hinsicht zu schulen. Deshalb müssen wir selbst viel Anwendungswissen aufbauen sowie neuen Topologien und Techniken gegenüber aufgeschlossen sein. Nur so können wir unsere Kunden bei der Umsetzung dieser Topologien unterstützen, die mit Silizium-Bauelementen nicht realisierbar waren, und somit einen Mehrwert schaffen.
Was unternimmt Infineon im Hinblick auf die monolithische Integration weiterer Funktionen in GaN-Bauelemente?
Derzeit bieten wir diskrete Bauelemente an, aber wir arbeiten an einer monolithischen Integration weiterer Funktionen. Andererseits ist auch der Multi-Chip-Ansatz in unseren Halbbrücken-Bausteinen CoolGaN IPS interessant. In diesen Bauelementen vereinen wir zwei diskrete 650-Volt-GoolGaN-Transistoren – einen High-Side- und einen Low-Side-Schalter – mit einem Silizium-CMOS-Chip, der die Treiber- und Sicherheitsfunktionen sowie die Pegelumsetzung und die Totzeitregelung übernimmt.
Der Geschäftsbereich von Infineon, den Sie seit einigen Monaten leiten, heißt Power & Sensor Systems. Den Begriff »Systems« heben Sie dabei hervor. Warum?
Unser ehemaliger Vorstandsvorsitzender Dr. Reinhard Ploss und noch mehr unser jetziger CEO, Jochen Hanebeck, setzen auf den Ansatz »Vom Produkt zum System«. Es genügt nicht, den Ingenieuren ein neues Produkt auf den Tisch zu legen. Vielmehr müssen wir ihre Herausforderungen auf Systemebene verstehen, um ihnen die beste Lösung für ihre Herausforderungen bieten und einen Mehrwert schaffen zu können.
Um dies zu erreichen, müssen wir sicherstellen, dass wir dem Kunden alle erforderlichen Grundbausteine für sein System bereitstellen können – wie in einem One-Stop-Shop. Das beginnt bei den Sensoren, die die relevanten Daten für den Betrieb eines Systems sammeln.
Die nächsten Grundbausteine sind der Mikrocontroller und der Speicher, um diese Informationen zu verarbeiten. Wir haben eine lange Erfahrung mit den Cypress-Bausteinen und noch leistungsfähigeren Mikrocontrollern. Dann gibt es noch die Aktoren, die Power-Management- und Treiber-ICs sowie Leistungshalbleiter benötigen, um diese Systeme sicher zu betreiben. Und schließlich gibt es noch die Konnektivität und das Sicherheitselement, um diese Systeme sicher mit dem Internet zu verbinden. Zusammen – und hier taucht das »gemeinsam« aus unserem Leitsatz wieder auf – bilden diese Elemente ein intelligentes System, das in einer vernetzten, stärker elektrifizierten Welt reibungslos läuft, zur Dekarbonisierung der Gesellschaft beiträgt und einen Mehrwert für den Kunden schafft.
Was bedeutet das für das Halbleitermaterial und die Bauteiltechnologie?
Das bedeutet, dass wir aus Sicht des Halbleitermaterials und der Bauteiltechnologie agnostisch sein können. Wenn wir uns auf die Herausforderung des Kunden konzentrieren und die am besten geeignete Topologie wählen, ergibt sich das am besten geeignete Halbleitermaterial und die am besten geeignete Bauteiltechnologie von selbst, ganz gleich, ob es sich um Silizium, Siliziumkarbid oder Galliumnitrid handelt. Wir müssen uns nicht auf ein Halbleitermaterial oder eine Bauelementetechnologie festlegen, denn wir haben sie alle. Das unterscheidet Infineon von seinen Mitbewerbern.
Andreas Urschitz ist zum Chief Marketing Officer bei Infineon befördert worden, und Sie haben von ihm die Position des Division President PSS übernommen. Was wollen Sie fortführen, was er begonnen hat, und was wollen Sie weiter ausbauen?
Seit ich 2014 durch die Übernahme von International Rectifier zu Infineon kam, habe ich eng mit ihm zusammengearbeitet, um unsere Strategie zu entwickeln. Lassen Sie mich diese in zwei Abschnitte unterteilen – das Was und das Wie.
Zunächst zum »Was«. Infineon kann auf eine lange Tradition im Bereich der Komponenten zurückblicken, aber um für unsere Kunden relevant zu bleiben und einen Mehrwert auf Systemebene zu schaffen, müssen wir Systemwissen aufbauen. Daher arbeiten wir mit Leitkunden auf Systemebene zusammen, um ihre Herausforderungen besser zu verstehen. Auf diese Weise helfen sie uns, unsere eigene Produkt- und Lösungs-Roadmap für eine Win-Win-Situation zu gestalten, oder wie wir es nennen: »Win with the winners«.
Außerdem möchte ich sicherstellen, dass wir uns nicht zu sehr auf uns selbst konzentrieren, sondern unseren Blick nach vorne richten, um die Dekarbonisierung und Digitalisierung voranzutreiben. Dadurch bleiben wir bei Infineon offen für neue Lösungen und können unsere Energie und unsere sehr talentierten Mitarbeiter für die richtigen und relevanten Themen einsetzen.
Lassen Sie uns nun über das »Wie« sprechen. Ich möchte, dass unsere Division ein wenig ambitionierter agiert.
Was genau meinen Sie mit »ambitionierter«?
In der Vergangenheit war Infineon aus meiner Sicht zu konservativ. Leitkunden wollen wir unsere Innovationen ein bisschen früher zeigen. Wir wollen die Dekarbonisierung und die Digitalisierung aktiv gestalten, statt nur Mitläufer zu sein. Darüber hinaus ist unser Team bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen, Entscheidungen zu treffen und diese umzusetzen.