Sander Rotmensen, Siemens: Ein großer Unterschied zwischen beiden Technologien ist das Spektrum. WLAN nutzt ein unlizenziertes, 5G ein lizenziertes Band. Das ist ein Pluspunkt für 5G, weil die Unternehmen entscheiden können, welche Endgeräte im lizenzierten Band funken dürfen. Ein Vorteil von WiFi 6 ist dagegen, dass WLAN in der Industrie bereits etabliert ist. Diese installierte Basis von Bestandsgeräten kann auch mit einer WiFi-6-Infrastruktur kommunizieren.
Klaus-Dieter Walter, SSV Software Systems: Der große Vorteil von 5G in einer industriellen Anwendung ist die exklusive Nutzung eines Frequenzbereichs. WiFi-Bandbreiten- und Latenzzeitprobleme, weil der jeweilige Nachbar die gleichen Frequenzbänder nutzt, sind somit bei 5G-Campusnetzwerken nicht zu erwarten. Bei einer gezielten Cyber-Attacke bietet ein 5G-Netz in puncto Bandbreiten- und Latenzzeitgarantie natürlich auch keinen Vorteil, weil Angreifer sich nicht an die Regeln zur Nutzung von Frequenzbändern halten. Im Hinblick auf die Herstelleranzahl, die eine Funktechnologie unterstützt, ist allerdings WiFi 6 ganz klar die bessere Wahl. Als Betreiber eines privaten 5G-Netzes begibt man sich schon in einige Abhängigkeiten, die bei WiFi nicht existieren. Ich würde mir das also sehr gut überlegen, ob die 5G-Vorteile für meinen Anwendungsfall dieses Risiko wert sind.
Des Weiteren, und das möchte ich an dieser Stelle einmal anmerken, finde ich es sehr bedenklich, dass sich Regierungen mit fadenscheinigen Begründungen öffentlich darüber Gedanken machen, welcher Hersteller in welchen Ländern 5G-Technologie liefern darf und wer nicht. Was daraus im Extremfall werden kann, sieht man ja schon bei einem bestimmten Smartphone-Betriebssystem und einem großen chinesischen Hersteller. Auch über diesen Sachverhalt würde ich mir vor der Entscheidung für ein 5G-Campusnetzwerk ein paar Gedanken machen.
Für welche Anwendungen in der Industrie eignet sich WiFi 6 besonders, für welche 5G? Warum?
Wicki Winzer, Atlantik Elektronik: Um den Startknopf für die intelligente Fabrik drücken zu können, braucht es neue Konzepte und Technologien – von der Produktion bis hin zur Intralogistik und zum Transportwesen. Anwendungen wie mobile Roboter in der Fertigung, autonome Fahrzeuge im Transport- und Logistikbereich, IIoT, Augmented-Reality-Applikationen für Service- und Wartungstechniker sowie Virtual-Reality-Applikationen für die Anwender sind bereits im Gespräch. Doch all das stellt Anforderungen, bei denen heutige Netzwerke schnell an ihre Grenzen stoßen würden. Die Zuverlässigkeit und sehr kurzen Latenzzeiten sowie die umfassende IIoT-Connectivity von Industrial 5G ebnen hier den Weg für richtungsweisende Anwendungen in der Industrie. Dazu gehört beispielsweise auch der Betrieb fahrerloser, autonom agierender Transportsysteme – sogenannter Automated Guided Vehicles (AGVs) – für eine smarte Produktionslogistik und hochflexible Fertigung.
Sander Rotmensen, Siemens: Beide Technologien bedienen die gleichen Use Cases, in denen drahtlose Kommunikation erforderlich ist, beispielsweise die Kommunikation fahrerloser Transportsysteme, mobile, kooperierende Roboter sowie Arbeitsunterstützung durch Zusatzinformationen in Virtual-Reality-Brillen. Bei 5G ist es einfacher, mehr unterschiedliche Applikationen gleichzeitig über die gleiche Infrastruktur zu bedienen, weil wir bei 5G über lizenziertes Spektrum verfügen, das weniger überfüllt ist. Beide Technologien eröffnen jedoch neue Möglichkeiten für die umfassende drahtlose Vernetzung von Produktion, Instandhaltung und Logistik und versprechen eine erhebliche Effizienzsteigerung und Flexibilisierung in der industriellen Wertschöpfung. Zudem werden sie durch höhere Datenraten, niedrigere Latenzzeiten und höhere Zuverlässigkeit Applikationen ermöglichen, die bis jetzt noch nicht möglich sind.
Klaus-Dieter Walter, SSV Software Systems: Unabhängig von den Campusnetzen würde ich zunächst einmal WiFi 6 als den drahtlosen Vernetzungsstandard für lokale Umgebungen und 5G als die nächste Generation der Mobilfunknetze mit entsprechender räumlicher Ausdehnung einordnen. Ein lokaler Condition-Monitoring-Sensor in Ihrer Fabrikhalle kann also beispielsweise per WiFi 6 mit dem MES kommunizieren. Ein Antriebselement in der Maschine, die Sie nach Korea ausgeliefert haben, ist dagegen per 5G mit einer Cloud verbunden, um den jeweiligen digitalen Zwilling mit aktuellen Daten zu versorgen. Bei Campusnetzwerken denke ich, dass in den meisten Fällen wegen der Kostenvorteile WiFi 6 die bessere Lösung sein könnte und auch den größten Teil der Anforderungen erfüllen wird. Wenn nun aber unbedingt das TSN-Ethernet einiger Fertigungszellen drahtlos miteinander verbunden werden muss, ist eine Investition in ein 5G-Campusnetz sicherlich durchaus sinnvoll.
Wie können sich WiFi 6 und die anderen industrietauglichen Drahtlos-Kommunikationsstandards einschließlich 5G in industriellen Anwendungen ergänzen?
Wicki Winzer, Atlantik Elektronik: WiFi 6 unterstützt das lokale Netzwerk, und 5G ermöglicht die Vernetzung mehrerer Standorte. Edge-Computer mit 5G-Anbindung dienen dabei zum Übergang in das globale Mobilfunknetz.