Klaus-Dieter Walter, SSV Software Systems: Eigentlich gibt es von der IEEE keinen WLAN-Standard, der speziell für Industrieanwendungen entwickelt ist. Alles, was vor WiFi 6 unter dem Oberbegriff „Industrial WiFi“ vermarket wurde und ja teilweise auch immer noch angeboten wird, beruht auf den Standards IEEE 802.11 a/b/g/n/ac. Die Industrietauglichkeit der jeweiligen Produkte bezieht sich eher auf Gehäuse, Antennentechnik, Spannungsversorgung, Funktionskombinationen, spezielle Wired-Schnittstellen sowie Management- und Monitoring-Funktionen.
Auch das zielgruppenspezifische Marketing für industrietaugliche WLAN-Baugruppen einiger Spezialanbieter darf man nicht vergessen – ein Maschinenbauer kauft schließlich nicht irgendeine WLAN-Komponente. Aus meiner Sicht besitzt WiFi 6 selbst keine Merkmale, die speziell für industrietaugliche Anwendungen entwickelt sind. Etwas anders sieht es auf der Anbieterseite aus: Die großen WiFi-Infrastrukturanbieter haben sich vor WiFi 6 primär auf Consumer- und klassische IT-Anwendungen konzentriert.
Nun adressieren sie mit ihren WiFi-6-Produkten auch Industriekunden, etwa durch spezielle Gehäuse für Industrieumgebungen. WiFi 6 besitzt allerdings einige Merkmale, um batteriebetriebene Sensoren in IoT-Anwendungen einzubinden und die Lebensdauer der Batterien zu verlängern. Ich denke hier an die Low-Data-Rate-Eigenschaften und beispielsweise die TWT, die ein Access Point mit den jeweiligen Sensoren aushandeln kann. Das wäre in Bezug auf Ihre Frage auf jeden Fall ein industrietaugliches Merkmal, das es bisher in den älteren WiFi-Standards so nicht gab.
Wie verhält sich WiFi 6 in puncto Datenübertragungsrate und Determinismus bzw. Reaktionszeiten? Wie schneidet WiFi 6 diesbezüglich gegenüber 5G nach dem neuen 3GPP-Release-16-Standard und dem künftigen 3GPP-Release-17-Standard ab?
Michael Demel, Atlantik Elektronik: Im Vergleich zu WiFi 5 erreicht WiFi 6 bis zu 1,5-mal höhere Geschwindigkeiten: Der neue Standard ermöglicht eine maximale Geschwindigkeit von bis zu 4,8 Gbit/s pro Client, bei WiFi 5 liegt sie bei maximal 3,12 Gbit/s. Ein entsprechendes MacBook Pro mit 3SS unterstützt beispielsweise 1,3 Gbit/s Brutto-Übertragungsgeschwindigkeit. In der Praxis lässt sich ein Nettodurchsatz von etwa 50 Prozent der theoretischen Übertragungsgeschwindigkeit oder leicht darüber erreichen. Die deutlich höhere Geschwindigkeit, die verbesserte Performance und die oben genannten weiteren Vorteile im Vergleich zu bisherigen Standards machen WiFi 6 gerade für den professionellen Einsatz attraktiv. Zudem erlaubt WiFi 6 den Unternehmen und Service-Anbietern, neue Anwendungen in derselben WLAN-Infrastruktur bereitzustellen wie ältere Anwendungen und dabei die Service-Qualität der älteren Anwendungen zu verbessern.
Für eine flächendeckende 5G-Versorgung müsste mindestens alle 1000 m ein Funkmast aufgebaut werden. Denn die Reichweite von 5G beträgt maximal rund 500 m. Damit wird 5G nicht überall innerhalb von Gebäuden verfügbar sein. WiFi 6 und seine Vorgänger bieten optimale Datenübertragungsmöglichkeiten innerhalb von Gebäuden. Selbst der Außenbereich lässt sich sehr gut mit WiFi versorgen, wenn der 5G-Empfang (noch) nicht möglich ist. Neue Endgeräte werden einen schnellen Wechsel zwischen 5G und WiFi anbieten, um die jeweils optimal verfügbare Zugangstechnologie zu nutzen.
Die endgültige Version von 3GPP Release 16 enthält Spezifikationen zur Verbesserung der Effizienz von 5G-Netzen, darunter auch Maßnahmen zum Stromverbrauch und zur Verringerung von Störungen. Zu den abgedeckten Technologien gehören erweitertes MIMO (eMIMO), verbesserte Dual-Connectivity und selbstorganisierende Netzwerke (SON).
Außerdem werden neue API-Rahmenwerke und der Zugang zu unlizenzierten Frequenzen festgelegt und Verbesserungen der Protokolle für Vehicle-to-Anything (V2X) und IIoT-Anwendungen vorgenommen. In Version 17 (verschoben auf Dezember 2021) werden voraussichtlich Spezifikationen für weitere RAN Upgrades, die Aktualisierung bestehender Protokolle und weitere neue Technologien behandelt.
Sander Rotmensen, Siemens: 5G und WiFi 6 werden bezüglich Datenraten und kurzer Reaktionszeiten in der gleichen Liga spielen. Die tatsächliche Performance ist dann abhängig davon, wie das Netzwerk aufgebaut ist, welche Frequenz verwendet wird und welche Bandbreite zur Verfügung gestellt werden soll.
Klaus-Dieter Walter, SSV Software Systems: Zunächst einmal versuchen meines Erachtens sowohl WiFi 6 als auch 5G hinsichtlich der Datenübertragungsrate das jeweils technisch Mögliche zu erreichen. Die Messlatte ist wohl derzeit das ruckelfreie Streamen eines 8K-Videos auf einem batteriebetriebenen Endgerät, das sich durch mehrere Funkzellen bewegt, in denen sich jeweils sehr viele Nutzer befinden. Auch hinsichtlich der Reaktionszeiten, also in Bezug auf die Latenzzeit, erreichen beide Kandidaten deutlich bessere Werte als ihre jeweiligen Vorgänger WiFi 5 und 4G. Objektive Vergleichswerte, die durch Messungen zustande gekommen sind, sind mir allerdings nicht bekannt. Das wäre auch gar nicht so einfach – nur Ping-Zeiten in unterschiedlichen Zelltopologien miteinander zu vergleichen hätte ja nicht wirklich eine Aussagekraft.