Damit AR-Brillen funktionieren können, müssen auf ihren Gläsern Ein- und Auskoppelstrukturen, sogenannte Waveguides, strukturiert werden. Was steckt hinter dieser Technik?
Die virtuellen Bilder zu erzeugen, die schließlich dem Bild der realen Welt zu überblenden, um dem Träger der AR-Brille zusätzliche Informationen live zu liefern, ist das eine. Sie über die Brillengläser so aufzubereiten, dass der Betrachter sie wie gewünscht sieht, das andere. Dies geschieht über Nanostrukturen, die auf die Brillengläser aufgebracht oder in das Glas geätzt werden. Auf den Gläsern müssen Ein- und Auskoppelstrukturen aufgebracht werden. Das Glas selber fungiert dann als Waveguide und leitet das Bild zur jeweils nächsten Struktur. Als »Waveguide« oder »Combiner« wird üblicherweise die Gesamtkomponente »strukturiertes Glas« bezeichnet.
Ein Waveguide besteht also aus dem Glas selber und einigen Polymer-Schichten, die auf einem Glas-Wafer abgeschieden und strukturiert werden. Dann werden die Brillengläser aus dem Wafer ausgeschnitten – je größer der Wafer, umso mehr Waveguides können parallel gefertigt werden. So sehen die Waveguides aus: In ein kleines rechteckiges Feld in der Nähe des Brillenbügels wird das Licht des virtuellen Bildes eingekoppelt. Lichtwellenleiter sorgen über interne Reflexionen dafür, dass das Licht auf ein großes rechteckiges Feld in der Mitte des Brillenglases aufgefächert wird. Dieses Feld lenkt das virtuelle Bild schließlich ins Auge des Betrachters. Sie bringen die virtuelle und die reale Welt zusammen, die Waveguides bestimmen schlussendlich oft das gesamte Produkt.
Die Display- und LSB-Hersteller (Laser-Beam-Scanner) müssen genau verstehen, welche unterschiedlichen Typen von Waveguides es gibt und wie sie sich verhalten, um ihre Techniken wiederum optimal darauf anpassen zu können. So haben sowohl OQmented als auch TriLite ihre LBS-Module so ausgelegt, dass sich der Laserstrahl direkt in die Waveguides einkoppeln lässt – ohne eine zusätzliche Optik, die dazwischengeschaltet werden muss. Das führt zu weiter reduziertem Platzbedarf, sodass die Projektionsmodule in den Bügeln der VR-Brillen noch unauffälliger untergebracht werden können, zusätzliche Komponenten entfallen, die Systeme vereinfachen sich und die Systemkosten sinken.
Grundsätzlich lassen sich drei Waveguide-Typen unterscheiden: diffraktive, reflektive und holografische Waveguides. Derzeit befinden sich die reflektiven Typen genauso wie die holografischen noch in der Entwicklung. Die diffraktiven Typen beruhen auf der Lichtbeugung, wozu die entsprechenden Gitter auf den Brillengläsern strukturiert werden müssen.
»Derzeit sind die diffraktiven Typen der heißeste Kandidat, um kostengünstige Waveguides zu realisieren«, sagt Ulrich Hofmann, CEO von OQmented. Einer ihrer großen Vorteile: Die sogenannte Eyebox ist groß. Das bedeutet, dass die Augen bewegt werden können, ohne dass das virtuelle Bild verloren geht. »Außerdem sind sie für die Massenfertigung geeignet, das Ökosystem dafür ist vorhanden. Das ist zwar nicht ganz billig, aber die Kosten sind akzeptabel«, so Hofmann. Außerdem weist er auf einen weiteren Vorteil hin: Diese AR-Brillen sind auch für die Mitmenschen transparent, sie können also die Augen derjenigen, die die Brille tragen, gut sehen. Dieser Augenkontakt wiederum ist für die Kommunikation der Menschen untereinander und damit für die Akzeptanz der Technik insgesamt sehr wichtig.
Zu den Nachteilen der diffraktiven Technik zählt ihre geringe Effizienz: Nur ein kleiner Teil des Lichts gelangt zum Auge, das meiste geht auf dem Weg verloren.
Dieses Problem haben die reflektiven Waveguides nicht. Sie sind aus halbdurchlässigen Spiegeln aufgebaut, und das führt zu einer weit höheren Effizienz; auch die Farbechtheit ist besser als bei den diffraktiven Typen. Allerdings ist ihre Produktion auch deutlich komplexer und damit teuer.
Die holografischen Combiner stehen in direktem Wettbewerb zu den diffraktiven Waveguides. Hier wird eine Folie belichtet, die das Gitter in das Volumen projiziert. Die Folien sind viel einfacher herzustellen, versprechen also die kostengünstige Massenproduktion und bieten außerdem eine hohe Effizienz und volle Transparenz. Die Mitmenschen können also die Augen der Benutzer ungestört sehen. Nachteile sind eine sehr kleine Eyebox und ein teilweise kleines Field of View sowie geringere Farbhomogenität und eine Auflösungsreduktion. Doch diese Probleme können voraussichtlich gelöst werden.
Denn noch stehen die holografischen Combiner noch ganz am Anfang ihrer Entwicklung. »Derzeit besteht kein Ökosystem rund um diese Technik, wie es etwa bei der diffraktiven, auf Imprint setzenden Technik heute bereits der Fall ist«, sagt Dr. Karl Bitzer, Geschäftsführer von Delo. Auch Ulrich Hofmann von OQmented ist dieser Ansicht: »Die holografischen Combiner sind sehr vielversprechend – allerdings für die Zukunft«; auf absehbare Zeit liegen wie gesagt die diffraktiven Typen vorne.
Doch wie werden die Waveguides auf den Brillen hergestellt? Diese Gitter bestehen aus komplexen Strukturen mit vorgegebenen Neigungswinkeln, Höhen und Vertiefungen, die herzustellen die herkömmliche optische Lithografiegeräte überfordert. Sie werden gefertigt, indem bestimmte Polymere über Spincoating oder im Inkjet-Verfahren aufgebracht werden. Die Strukturen werden dann zumeist mithilfe von Nanoimprint-Verfahren in das Resist eingebracht. Wie die Nanostrukturen genau aussehen müssen, damit ein schönes Bild beim Betrachter ankommt, ist wiederum eine Wissenschaft für sich.
Ein Unternehmen, das sich damit beschäftigt, wie die Strukturen von diffraktiven Waveguides aussehen müssen, ist die finnische Dispelix. Sie hat die Software entwickelt, mit deren Hilfe der Aufbau der Strukturen berechnet wird. Dabei arbeitet Dispelix eng mit Partnern zusammen, beispielswiese Applied Materials, die die Waveguides herstellen, und liefert ihnen auch die Messtechnologien, die an der Fertigungslinie erforderlich sind. Dabei arbeitet Dispelix mit allen gängigen Technologien für die Bilderzeugung, egal ob sie auf Basis von OLEDs, LCoS oder LBS arbeiten.
Dass das Unternehmen die LBS-Technik für vielversprechend hält, zeigt schon, dass das Unternehmen zu den Gründungsmitgliedern der LaSAR-Alliance (Laser Scanning for Augmented Reality) gehört. Außerdem ist Dispelix im Oktober 2022 mit ColorChip und mit Maradin, Hersteller von MEMS-Spiegeln und deren Steuerungselektronik, eine Partnerschaft eingegangen, ebenfalls mit dem Ziel, Consumer-AR-Brillen auf Basis von LBS-Modulen zu realisieren, in die die Technik der drei Partner einfließt.
Ein Unternehmen, das Materialien für die Fertigung von Waveguides liefert, ist der in Windach bei Landsberg/Lech ansässige Spezialchemie-Hersteller Delo. Das Unternehmen hat sich auf die Entwicklung von Klebestoffen spezialisiert, die unter anderem in weiten Teilen der Elektronik zum Einsatz kommen. Diese Materialien lassen sich aber auch dazu nutzen, Waveguides für AR, VR- und MR-Brillen zu fertigen – ein Gebiet, dem Delo große Zukunftschancen einräumt.
Das gilt für jeden Waveguide-Typ, unabhängig davon, ob es sich um diffraktive, reflektive oder holografische handelt. »Dem Polymer ist es grundsätzlich egal, um welchen Waveguide-Typ es sich handelt. Unsere Klebstoffe sind – selbstverständlich abgestimmt auf die jeweiligen Anforderungen – immer dabei«, sagt Dr. Karl Bitzer. »Zudem liefern wir die Materialien, die zum Schluss für die Integration der Waveguides in die Brille verwendet werden.«
Damit dürfte Delo nach seiner Einschätzung die Firma sein, die die breiteste Palette an Materialien für den Einsatz in AR-Brillen bietet, von den Kameras über die Lautsprecher und Sensoren bis zu den Projektionssystemen: »Da können wir die vielen Jahre Erfahrung einbringen, die wir auf dem Gebiet der Smartphones gesammelt haben, für deren Komponenten wir ebenfalls Klebstoffe, Vergussmassen oder optische Materialien entwickeln und liefern.«