Wer bisher dachte, mit Touchpanels als HMIs zukunftssicher aufgestellt zu sein, muss umdenken. Unternehmen, die innovativ sein wollen, sollten rechtzeitig über Sprachsteuerung, KI und AR nachdenken. Doch welche Innovationen bringen schon jetzt Vorteile im Wettbewerb?
Die Standards bei Robustheit und Auflösung sind so hoch, dass eine Differenzierung vom Wettbewerb kaum noch möglich ist. Zudem sind Remote Updates keine Kür mehr, sondern Pflicht: Updatefähigkeit ist auch für Display- und Bedieneinheiten in Form von Touchpanels spätestens seit dem letzten Jahr Pflicht. Wer keine USB-Sticks auf die Reise schicken will, kommt um Over-the-Air-Updates (OTA) über vorhandene oder neu zu schaffende Cloudportale kaum herum. Die Cyberresilienz-Verordnung (Cyber Resilience Act, CRA) der Europäischen Union, die im Dezember 2024 in Kraft getreten ist und im Dezember 2027 verbindlich sein wird, schraubt zudem generell die Ansprüche an die Cybersecurity in die Höhe. Das bedeutet unter anderem, dass die Systemsoftware aktuell gehalten, Sicherheitslücken geschlossen, Browser gepflegt und das Betriebssystem regelmäßig gepatcht werden müssen. Die Software von Touchpanels muss schon deshalb deutlich mehr beherrschen als ihren Basiszweck, die Visualisierung. Geräte, die auf diese Anforderungen nicht vorbereitet sind, werden schnell obsolet – egal wie schick und hochauflösend sie sein mögen. Hinzu kommt, dass die Cyberresilienz-Verordnung für Maschinen- und Anlagenbauer verpflichtend ist. Es geht hier um die Einhaltung regulativer Vorschriften – nicht darum, besonders innovativ zu sein oder im Wettbewerb mit anderen Anbietern zu punkten.
Wer sich durch innovative Bedienung seiner Maschinen oder Anlagen vom Wettbewerb abheben will, sollte schon etwas mehr bieten. Aus dem Kundenkreis der Grossenbacher Systeme AG trat beispielsweise die Otto Martin Maschinenbau GmbH & Co. KG mit einem unkonventionellen Konzept für die Bedienung und Steuerung ihrer Formatsägen und Tischfräsen hervor. Es besteht darin, die Maschinenbedienung neu zu organisieren und auf zwei Ebenen mit sich ergänzenden Display- und Bedieneinheiten zu verteilen. Einheit Nummer 1 ist als Bedienpanel fest mit der SPS-Einheit der Maschine verdrahtet und verfügt über einen Touchscreen und konventionelle Schaltknöpfe zur Einhaltung der Maschinenrichtlinie. Einheit Nummer 2 ist ein »ruggedized« Apple iPad Pro (mit robuster Schutzhülle) mit einer eigens entwickelten App für iPadOS. Es lässt sich zwar magnetisch an der festen Einheit fixieren, kann aber jederzeit abgenommen und – das ist der eigentliche Clou – mobil zur Bedienung mehrerer Maschinen eingesetzt werden. Damit wurden Anwenderbedürfnisse innovativ und nutzbringend umgesetzt, und zwar unter konsequenter Nutzung des Standard-Baukastens, den Grossenbacher für Touchpanels bietet.
Ein Operator kann mit dem iPad mehrere Maschinentypen gleichzeitig im Blick behalten – und das nicht nur im Kontrollraum, sondern auch während er durch die Produktionshalle geht. Damit dies nutzbringend funktioniert, muss die Software zum einen skalierbare Dashboards ermöglichen, die verschiedenste Anlagenzustände parallel überwachen. Zum anderen muss sie Rollen- und Rechtekonzepte umsetzen, damit der Operator nur die relevanten Informationen sieht und so den Überblick behält.
Noch innovativer ließe sich dieses Konzept durch die Einbindung einer Sprachsteuerung via Headset – beim iPad eine besonders einfache Übung – und den Einsatz eines auf industrielle Anforderungen abgestimmten Large Language Models (LLM) für KI-getriebene Kommunikation. Was auf diesem Gebiet möglich ist, zeigt beispielsweise die Lösung, die Sabo Mobile IT als Schwesterunternehmen der Grossenbacher Systeme AG anbietet. Es handelt sich dabei um eine Plattform für die Entwicklung KI-unterstützter Sprachassistenten (»Voice User Interfaces«) zur Maschinensteuerung über Dialoge in natürlicher menschlicher Sprechweise. Basierend auf einem Framework aus diversen unabhängigen Diensten sowie einigen wenigen Hardwarekomponenten zur Kommunikation, Verarbeitung von Audiosignalen und Abschwächung von Umgebungsgeräuschen, lässt sich die »SABOT« genannte Lösung in eine Vielzahl von Maschinensteuerungen integrieren. So können Maschinen auch im Zuge eines Retrofit mit einem zukunftsweisenden HMI ausgestattet und grundlegend modernisiert werden.
Die Kombination beider Konzepte und Technologien – Zweistufigkeit und Einbindung leistungsstarker und populärer Endgeräte einerseits sowie KI-Integration andererseits – setzt bis heute zumindest kein Kunde der beiden genannten Unternehmen ein. Aber es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis ein OEM den Reiz einer derartigen Lösung erkennt und den Startschuss zur Entwicklung gibt. Einer zügigen Umsetzung steht dann nichts im Wege.
Nicht ganz so schnell dürfte die nächste evolutionäre Stufe der Maschinenbedienung auf breiter Front verfügbar sein: Schließlich muss die mobile Bedienebene nicht nur aus einem weiteren, besonders leistungsfähigen netzunabhängigen Touchpanel bestehen. Erste Versuche werden bereits mit »Wearable Devices« wie etwa Headsets unternommen, also Kombinationen aus speziellen Brillen mit Kopfhörern und Mikrofonen.
Augmented-Reality-Headsets wie das Apple Vision Pro vereinen dagegen digitale Inhalte nahtlos mit der realen Umgebung, in diesem Fall allerdings indirekt mit Hilfe eingebauter Kameras. Sie blenden wichtige Informationen direkt ins Sichtfeld ein, sodass ein Operator Maschinenstatus, Fehlermeldungen oder Prozessparameter sofort erkennen und über den KI-unterstützten Sprachassistenten steuern kann. Mit mindestens 600 g Gewicht sind aber auch diese Geräte nicht ideal geeignet für lange Arbeitstage. Stattdessen zeichnet sich ein Trend zu »schlanken« Datenbrillen mit integriertem Text-Head-Up ab. Die einfachen Texteinblendungen erfordern deutlich weniger Leistung und damit auch Gewicht, was den Tragekomfort einer normalen Brille ermöglicht. Dabei gelten softwareseitig jedoch weiterhin die bereits skizzierten Anforderungen (skalierte Dashboards, Rollen- und Rechtekonzepte). Um eine Informationsüberlastung des Operators zu vermeiden, sind sie in diesem Szenario tendenziell sogar höher einzuschätzen.
Wer heutzutage als OEM in innovatives Bedienen und Steuern seiner Maschinen und Anlagen investieren will, sollte seinen Horizont erweitern und sich endgültig von der Vorstellung lösen, dass ein neuer Touch-Monitor die Lösung aller HMI-Probleme ist. Stattdessen stehen wir an der Schwelle zu mehr oder weniger disruptiven Bedienkonzepten, die den Operator mobil machen und die Steuerung mehrerer Maschinen ermöglichen. Integrierte KI-Assistenzen und AR-Features erfordern nicht nur software- und hardwareseitig neue Architekturen, sondern vor allem die Akzeptanz der Anwender. Letztere müssen mit Alltagstauglichkeit überzeugt werden – nicht mit vermeintlich coolen »Gadgets«. Wann die Zeit für disruptive Bedienkonzepte jedoch wirklich reif ist, ist eine Frage, die sich nur individuell beantworten lässt. OEMs aus dem Maschinenbau sollten sich deshalb schon heute mit möglichen Weichenstellungen befassen und rechtzeitig mit Partnern Kontakt aufnehmen, die bereits Kompetenz und Innovationsfähigkeit rund um die Themen Displays und HMI bewiesen haben.