Interview / Kai Scharrmann, Hioki Europe

»Habt mehr Mut zur Digitalisierung!«

2. März 2023, 17:00 Uhr | Nicole Wörner
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Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Der "goldene Weg", Wettbewerbsumfeld, Fachkräftemangel und der Umgang mit Konfliktländern

Wo sehen Sie den „goldenen Weg“?

Ich glaube, in Hinblick auf den direkten oder indirekten Vertrieb gibt es keinen „goldenen Weg“. In der Messtechnik ist es wie bei einem Pendel – mal ist der Direktvertrieb das Mittel der Wahl, fünf Jahre später wechselt es wieder zum indirekten Vertrieb. Wahrscheinlich ist das so, weil man jedes Mal merkt, was gerade fehlt. Es hängt aber auch davon ab, um welche Produkte es geht. Für sehr erklärungsbedürftige Produkte macht ein direkter Vertrieb immer Sinn, weil der Hersteller einen großen Aufwand betreiben müsste, um den Distributor entsprechend zu schulen. Und wenn dieser auch noch mehrere Marken repräsentiert oder ein breites Produktportfolio hat, kann er nicht dasselbe tiefe technische Wissen haben, wie ein Vertriebsingenieur des Herstellers. Vor allem in Bezug auf die Anwendungen. Auf der anderen Seite gibt es eine Menge Produkte, bei denen es überhaupt keinen Sinn macht, sie direkt zu verkaufen. Wenn ein Vertriebler beispielsweise für ein 2000-Euro-Oszilloskop ins Auto steigt und damit zum Kunden fährt, bekommt er Ärger mit seinem Chef, weil es einfach unwirtschaftlich ist.

Aktuell sehen wir allerdings einen weiteren Trend, der mir persönlich ein wenig Sorgen bereitet. Immer mehr Vertriebspartner nehmen immer mehr Marken auf, weil sie versuchen, eine Art One-Stop-Shop zu sein. Das heißt, idealerweise bekommt der Kunde bei einem einzigen Distributor alles. Wenn dieser aber nicht gleichzeitig seine Vertriebsmannschaft vergrößert – was ja momentan aufgrund des Fachkräftemangels schwierig ist – bedeutet das, dass die Aufmerksamkeit des Vertriebsmitarbeiters pro Marke sinkt. Ich bin nicht sicher, dass dies der richtige Weg ist. Die großen „A-Marken“ werden schon für die entsprechende Aufmerksamkeit sorgen. Aber für alle anderen stellt sich die Frage, wo dann der Unterschied liegt, ob man über einen technischen Vertriebspartner oder über einen Katalogdistributor verkauft, dessen Kompetenz ja nicht die technische Beratung, sondern die schnelle Lieferung ist.

Stichwort Fachkräftemangel. Wie finden Sie bzw. Ihre Vertriebspartner qualifizierte Mitarbeiter für den technischen Vertrieb?

Für die Vertriebspartner kann ich diese Frage nicht beantworten. Es ist ihre Aufgabe, für qualifiziertes Personal zu sorgen. Für uns als Messtechnik-Hersteller ist das Finden von Fachkräften aber definitiv ein großes Problem. Wir sind zusätzlich auch noch in einer Bankenmetropole ansässig – vielleicht wäre es in einer anderen Region etwas einfacher. Denn eines ist sicher: In unserem Geschäft ist es enorm wichtig, auch „echte“ Messtechnik-Vertriebsspezialisten zu haben. Messtechnik ist etwas anderes als beispielsweise Halbleitervertrieb. Wir als Messtechnik-Hersteller müssen hinter die angestrebten Wachstumsraten eine Struktur, ein Fundament bauen, um die Kunden effizient unterstützen zu können. Wenn wir das nicht haben, weil die Leute fehlen, können wir nicht mehr den Service liefern, den wir als Premiumanbieter anbieten wollen. Und wenn wir dieses Problem nicht lösen, dann könnten wir im kommenden oder im übernächsten Jahr an eine Wachstumsgrenze stoßen.

Wie hat die Corona-Pandemie das Wettbewerbsumfeld in der Messtechnik verändert? Immerhin waren persönliche Produktdemos beim Kunden lange Zeit nicht möglich…

In den Zeiten der Lockdowns gab es jede Menge Webinare. Inzwischen breitet sich meiner Meinung nach aber eine Art „Webinar-Fatigue“ aus. Auch wenn Webinare kurzfristig eine gute Lösung waren, haben die Leute gefühlt mittlerweile einfach keine Lust mehr darauf. Das kann man auch an den sinkenden Teilnehmerzahlen sehen. Dennoch haben diese digitalen Kontaktmöglichkeiten vieles verändert. Man hat erkannt, dass man mit einer halbwegs professionellen Kameratechnik ein Produkt auch über Teams vorführen kann. Man darf aber nicht vergessen, dass Geschäfte von Menschen gemacht werden. Keine noch so gute Präsentationstechnik kann den persönlichen Kontakt ersetzen – bestenfalls ergänzen.

Neben Fachkräftemangel und Corona-Pandemie gibt es ja noch ein weiteres schwieriges Thema, den Krieg. Wie geht man bei Hioki mit Lieferungen in kritische Länder um?

Nun, Kriege und Konfliktländer hatten wir schon immer. Insofern ist das Thema für uns nicht neu. Wenn wir von jemandem mit einer Yahoo-Adresse eine Anfrage nach einem Leistungsanalysator bekommen, müssen wir schon immer aufpassen, wo die Ware hingeht. Spätestens wenn man bei seriös wirkenden Anfragen googelt und sieht, dass ein Reseller im Spiel ist, lässt man von so etwas schlicht und einfach die Finger – das gilt sowohl für uns als auch für unsere Vertriebspartner. In klassischen Konfliktländern, die mit Embargos belegt sind, ist das entsprechend gesetzlich untermauert. Hioki hat da ein besonderes Problem. Als japanisches Unternehmen müssen wir den japanischen Guidelines folgen. Die wiederum sind angelehnt an die amerikanischen, nicht aber an die europäischen. Das heißt, wir müssen sowohl konform zu den amerikanischen als auch zu den europäischen Regeln agieren.

Seit dem 24.2.2022 können wir übrigens erkennen, dass die Wirtschaft in den Ländern Kasachstan und Usbekistan brummt. Sie können sich nicht vorstellen, wie viele Anfragen aus diesen Ländern wir aktuell bekommen. Der Anstieg begann genau am 25.2. Aber da muss man klare Kante zeigen und „Nein“ sagen, oder – was wir machen, und damit erledigt sich das normalerweise – wir möchten die Bestellung und die Kontaktdaten des Endkunden sehen. Stellt sich dann heraus, dass der Endkunde tatsächlich in Usbekistan sitzt und das auch nachprüfbar ist, indem man beispielsweise einfach mal anruft, ist das ok für uns. Wir hatten aber noch keine Bestellung aus diesem Bereich.

Abschließend – würden Sie sagen, es ist ein Umdenken im Messtechnik-Vertrieb nötig?

Wenn es ein Umdenken geben muss, dann sicherlich im Bereich der Digitalisierung. Einige Vertriebspartner lösen das bereits wirklich sehr gut, andere wiederum haben hier echten Nachholbedarf. Es gibt technische Vertriebspartner, die haben 18 Außendienstler und eine halbe Person, die sich um Digitalwerbung, Website, Social Media etc. kümmert. Anscheinend stehen diese „Marketing“-Tätigkeiten als reiner Kostenblock in der Bilanz. Hier muss ein Umdenken stattfinden. Messtechnik-Vertrieb braucht mehr Mut zur Digitalisierung, um die Kunden abzuholen. Vor allem jüngere Kunden, die in der „Amazon-Welt“ aufgewachsen sind, informieren sich oft schon selbst, welches Gerät sie brauchen. Studien besagen, dass Kunden, die sich online informieren, bereits zu 60 Prozent eine Kaufentscheidung getroffen haben, bevor sie überhaupt schauen, wo sie ein Produkt bekommen können. Dieser Trend wird sich vermutlich in der Zukunft noch verschärfen. Hier sind wir gefordert, sicherzustellen, dass der Vertriebspartner sichtbar ist und einbezogen wird. Denn am Ende hat er gegenüber dem Internet doch handfeste Vorteile für den Kunden: Er ist Ansprechpartner in der Landessprache vor Ort, wickelt das Geschäft ab und sorgt für die technische Unterstützung – gerne auch mit uns zusammen.


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