Aktive Systemkomponente statt passiver Steckverbinder: Die Integration von Hochfrequenzelektronik in Rundsteckverbinder ermöglicht eine Reduktion der elektromechanischen Funktionsdichte im Steckergehäuse, eine kleinere Bauweise und schafft noch mehr Platz für eine optimierte Leistungsübertragung.
Die Miniaturisierung von Schnittstellen für Signale, Daten und elektrische Leistung stellt eine anspruchsvolle ingenieurtechnische Herausforderung dar. Bei Komponenten für die Medizintechnik sind die Anforderungen an die Entwickler noch einmal deutlich höher. Schnittstellen für die medizinische Gerätetechnik müssen eine Vielzahl an Funktionen auf einem eng begrenzten, durch eine IP-Schutzvorrichtung gesicherten Raum erfüllen. Die Konstruktion wirft häufig Probleme auf, wenn es darum geht, die erforderlichen Signal- und Datenpins, Power- und Schutzleiterkontakte sowie Schirm- und Schutzmaßnahmen zu integrieren. Die genannten Aspekte führen zu einer deutlichen Komplexitätssteigerung
der zu bewältigenden Designaufgaben, insbesondere im Hinblick auf Ausfallschutz, Signalintegrität sowie Funktions-, Bediener- und Patientensicherheit.
Die fortschreitende funktionale Komplexität begrenzt die Miniaturisierung von Schnittstellenkomponenten auf physikalischer Ebene. Ein Beispiel für die räumliche Nähe verschiedener Funktionselemente sind moderne Rundsteckverbinder der Bauform M12, die dem Normentwurf 63171-7 entsprechen. Dort finden sich auf engstem Raum Power-Pins, Schutzleiterkontakte, Schirmung und Datenports. Die Vielfalt der Gesamtfunktionalität ist zwar erwünscht, allerdings führt sie zu einer Einschränkung der Freiheit bei der Ausgestaltung einzelner Funktionen. Diese Entwicklung birgt für Medizingeräte eine besondere Problematik, da die Kompaktheit der Steckverbinder limitiert ist und viele dieser Schnittstellen die Grenzen des Realisierbaren bereits
erreicht haben.
Die Signal-, Daten- und Leistungsanbindung in Steckverbindern erfolgt traditionell über elektrische Kontakte, deren mechanische und chemische Beschaffenheit maßgeblich die Performance, Qualität und Effizienz der Übertragung bestimmt. Um den Verlust von Leistung möglichst gering zu halten, ist für die Leistungsanbindung eine direkte Kontaktierung unabdingbar. Für die Übertragung von Signalen und Daten hingegen ist eine solche direkte Kontaktierung nicht erforderlich.
Denn für die Datenübertragung existieren sowohl für die kabelgebundene als auch für die drahtlose Konnektivität bewährte Standards, die entsprechenden Technologien sind in erster Linie von der Art und dem Umfang der zu übertragenden Daten sowie von den Umgebungsbedingungen abhängig. Während sich das breitbandige kabelgebundene Ethernet mehr und mehr in der Geräte-, Mess- und Automatisierungstechnik etabliert, können die Low-Energy-Standards Zigbee und Bluetooth LE oder das schnelle Wi-Fi als gute Beispiele für verbreitete Wireless-Verbindungen betrachtet werden. Bei Datenraten, welche die zuvor adressierten Übertragungsraten übersteigen, oder in elektromagnetisch störbehafteter Umgebung, finden zudem optische Übertragungsmethoden, beispielsweise mit Lichtwellenleitern, Anwendung.
In Anbetracht der Vielzahl an Möglichkeiten stellt sich die Frage, inwiefern sie dazu beitragen können, das Problem der limitierten Verkleinerung von Schnittstellenkomponenten in der kombinierten Signal-, Daten- und Leistungsanbindung zu lösen. Ein möglicher Ansatz ist die Übertragung von Signalen und Daten zwischen Stecker und Gerät, ohne dabei Platz für elektrische Kontakte zu beanspruchen. Und ohne dass eine Abschirmung gegenüber Versorgungspins und -leitungen erforderlich wäre. Es stellt sich die Frage, ob der IP-geschützte Bauraum im Innern eines Steckverbindergehäuses künftig ausschließlich – oder zumindest in weit größerem Umfang als bisher – dem Leistungstransfer zur Verfügung stehen könnte. Oder könnte ein Steckverbinder auch weitere Funktionen übernehmen?
Im Rahmen der Technologiedemonstration NeaCo² hat sich der Steckverbinderhersteller Binder der Beantwortung der Frage gewidmet, ob und wie eine mögliche Verschmelzung der elektromechanischen und drahtlosen Schnittstellen erfolgen kann. Anhand des Demonstrators NeaCo² konnten die Ingenieure aus Neckarsulm erfolgreich aufzeigen, wie sich Elektromechanik und Hochfrequenzelektronik (HF) in einem kleinen Hybridsteckverbinder kombinieren lassen. Die Energieübertragung erfolgt über die traditionellen Pins, während die drahtlose Kommunikation mittels NFC (Near Field Communication) implementiert wurde. Im Vergleich zu anderen drahtlosen Kommunikationstechnologien wie Bluetooth oder Wi-Fi weist NFC eine deutlich geringere Reichweite auf. Dennoch eröffnet diese Technologie dem NeaCo² eine Vielzahl neuer Anwendungen, beispielsweise im Bereich der Geräteidentifikation, prädiktiven Wartung oder Fehlervermeidung.
Identifikation der Geräte
Die Geräteidentifikation basiert auf der Kommunikation zwischen einer aktiven und einer passiven Komponente. Die aktive Komponente fungiert dabei als Informationsbereitsteller, während die passive Komponente die Anfrage empfängt. Die Übertragung erfolgt drahtlos. Die Konstruktion der Steckverbindungen muss derart beschaffen sein, dass ein Fehlstecken nicht möglich ist. Eine Erweiterung dieser Sicherheitsschwelle ist mit NeaCo² möglich. Die elektronische Speicherung der Daten führt zu einer signifikanten Weiterentwicklung des Niveaus der Verschlüsselung. Des Weiteren ermöglicht NeaCo² die Codierung per Software, wodurch ein zusätzlicher Sicherheitsmechanismus implementiert werden kann.
Vorausschauende Wartung
Die jüngste Ausbaustufe eröffnet zudem die Möglichkeit einer bidirektionalen Kommunikation zwischen Gerät und angeschlossener Peripherie. Beispielsweise ist eine Identifikation von Originalkomponenten möglich, wobei zudem eine Abfrage des Status, von Funktionsfehlern und/oder des Erreichens von voreingestellten Nutzungsintervallen direkt möglich ist. Die verfügbaren Datenraten sind als moderat zu bezeichnen. Allerdings besteht bereits vor der Inbetriebnahme von Komponenten oder Geräten die Möglichkeit, die genannten Vorteile zu nutzen, um Betriebsausfälle und Wartungszeiten signifikant zu reduzieren. Ein weiterer Vorteil manifestiert sich in der Benutzerfreundlichkeit. Die intelligente Anwendung gewährleistet in diversen Szenarien eine optimale Unterstützung der Nutzer von modernen Geräten.
Die genannten Add-on-Funktionen erweitern die Individualisierbarkeit und die Nutzungsfelder für aktive Steckverbindungen in signifikantem Maße. In der Konsequenz lässt sich festhalten, dass durch die Integration von HF-Elektronik passive hybride Steckverbinderkomponenten zu aktiven Systemkomponenten, sogenannten Micro Devices, weiterentwickelt wurden.
Die Vorteile der nun aktiven Steckverbindungen sind erheblich. Entwickler können den gesamten zur Verfügung stehenden
Bauraum im Steckverbinder für die Power-Pins nutzen, was die konstruktiven Möglichkeiten deutlich erweitert. So kann die Effizienz des kompakten und geschützten Leistungsports optimiert werden. Außerdem eröffnet die Integration der Elektronik die Möglichkeit zur Entwicklung diverser Produktvarianten. Der betreffende Steckverbinder kann einerseits mit zusätzlichen Features ausgestattet werden, andererseits aber auch als Kommunikationsteilnehmer – oder sogar als steuerndes Element – fungieren.
Zu den möglichen neuen Features, die sich dank NFC in den Hybridsteckverbinder integrieren lassen, gehören:
Die Integration von Hochfrequenzelektronik in passive Steckverbinder erlaubt deren Weiterentwicklung zu aktiven Systemkomponenten. Dies eröffnet hybriden Schnittstellen zahlreiche neue Einsatzmöglichkeiten und verleiht ihnen neue Funktionen sowie Differenzierungsmerkmale. Zudem können die Leistungs- und Kommunikationsfähigkeiten verbessert werden. Die neuen Steckverbindungen sind nicht nur in der Medizintechnik, sondern auch in zahlreichen anderen Branchen einsetzbar, beispielsweise in der Industrieautomation oder in der Elektromobilität. (uh)