Das Smartphone bald per Gedanken steuern? Das Neurotech-Startup Synchron ist eine Partnerschaft mit Apple eingegangen. Noch 2025 will der Tech-Riese ein neues Protokoll vorstellen, dass Gedanken als Eingabequelle für iOS-Geräte akzeptiert. Ist das der Wendepunkt für Gehirn-Computer-Schnittstellen?
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Gefühlt sind Gehirn-Computer-Schnittstellen noch immer Science Fiction. Doch was in den 1960er-Jahren mit experimentellen Projekten begann, entwickelt sich dank milliardenschweren Investoren in atemberaubender Geschwindigkeit zu marktfähiger Alltagselektronik.
Elon Musk propagiert mit seinem Start-up Neuralink die Verschmelzung von Mensch und Computer. Im Januar 2024 bekam »Patient Eins« Noland Arbaugh ein erstes Implantat eingesetzt, die Probleme mit verrutschten Elektroden scheinen überwunden. Aber auch wenn »Patient Drei«, der ALS-Proband Brad Smith, mittlerweile KI-Videos rein über Nervensignale erstellt, ist dies alles noch Forschung an Einzelpersonen.
Doch die Kooperation der Neurotech-Firma Synchron mit Apple könnte die Steuerung von Smartphones per Gedanken jetzt in greifbare Nähe rücken. So will Apple noch 2025 einen Entwicklungsstandard vorstellen, der Signale von Neuroimplantaten über das Bedienungshilfen-Framework »Switch Control« zugänglich macht. Das dann über das »Made for iPhone«-Programm verfügbare Protokoll soll Gedanken als Eingabequelle für externe Geräte verwenden.
Sogar ganz ohne Operation am offenen Gehirn: Synchrons Implantat »Stentrode« wird als flexibles Elektrodengeflecht minimalinvasiv über die Halsvene eingeführt und in einem Blutgefäß oberhalb des motorischen Kortex platziert. Wie ein Stent legt es sich an die Innenwände der Venen, wo 16 Elektroden Veränderungen der Vene wahrnehmen, die bei Gedanken an Bewegungen entstehen – und übersetzt die neuronalen Signale in digitale Befehle.
Im Vergleich dazu liefert das Musk‘sche Implantat mit mehr als 1.000 direkt im Hirngewebe eingebetteten Elektroden zwar einen höher aufgelösten Datenstrom und erlaubt eine komplexere Steuerung, jedoch sind die erforderlichen Eingriffe viel risikoreicher. »Stentrode« funktioniert einfacher und ist gut getestet: Seit 2019 benutzen bereits zehn Patienten Apple-Geräte wie iPhones, iPads und sogar das Vision Pro-Headset als neue Schnittstelle zur Welt.
»Hirn-Computer-Schnittstellen können so normal werden wie Herzschrittmacher heute,« prognostizierte Investor Christian Angermayer schon 2021, also vor Lichtjahren des technologischen Fortschritts. Sobald Apple und Synchron eine verlässliche gedankengesteuerte Navigation und ein neues Standardprotokoll für die Kommunikation zwischen Gehirnimplantaten und Endgeräten Realität werden lassen, ist – trotz vieler technischer und regulatorischer Hürden – ein neuer Goldstandard für Brain-Computer-Interfaces wohl nicht mehr weit.
Laut den Analysten von Morgan Stanley könnten zunächst allein in den USA über 115 Millionen Patienten mit motorischen Einschränkungen von der neuen Hirn-Handy-Kommunikation profitieren. Von der medizinischen Notwendigkeit zum Gadget und einer neuen Bedienrealität für Consumer-Geräte ist es dann wahrscheinlich nur mehr ein Wimpernschlag – vielleicht wird Science Fiction noch dieses Jahr Realität.
Ihre Ute Häußler