Nach heftigen Turbulenzen zu Beginn der Corona-Pandemie, als verschiedene Abnehmerbranchen unterschiedlich auf Lockdowns und Absatzeinbrüche reagierten, bewegt sich das MEMS-Business trotz Logistikproblemen in der internationalen Lieferkette wieder auf Normalniveau.
Im Bereich der MEMS-Sensoren für die Konsumelektronik läuft das Geschäftsjahr 2021 äußerst vielversprechend und besser als erwartet«, versichert Dr. Wolfgang Schmitt-Hahn, Senior Manager Strategic Marketing bei Bosch Sensortec. »Auch im Automotive-Bereich konnten wir im 1. Quartal eine positive Auftragslage und eine weiter steigende Nachfrage verzeichnen.« Damit gibt der Bosch-Sensortec-Manager die Tonalität der Antworten der übrigen Teilnehmer an der aktuellen Marktumfrage der Markt&Technik wider.
Verlängerte Lieferzeiten gibt es auch im MEMS-Bereich, doch die befragten Experten führen sie nicht auf überlastete Fertigungsstätten, sondern vor allem auf die bekannten Probleme der Lieferkette zurück – Stichwort Container-Kapazitäten. Auch bei Bosch-Sensortec liegen die Lieferzeiten aktuell auf einem höheren Niveau als in den vergangenen Jahren, gibt Dr. Schmitt-Hahn zu. Auch für Luca Fontanella, Product Marketing Manager der MEMS and Sensors Division von STMicroelectronics, sind die Lieferzeiten, »die aktuell über den Lieferzeiten des Jahres 2020 und 2019 liegen, eine Reaktion auf die allgemein bekannte Marktsituation«. Debbie Gibson, Inertial MEMS Product Line Director bei Analog Devices, sieht das genauso.
Auch Marktforscher wie Omdia weisen in ihren jüngsten Berichten darauf hin, »dass die Lieferengpässe in der Halbleiterbranche zuletzt von anderen Bauelementen verursacht wurden und nicht speziell von MEMS«, wie auch Manuel Tagliavini, Senior Associate und Principal Analyst MEMS & Sensors bei Omdia erklärt. In den Augen von Markus Lutz, CTO und Gründer von SiTime, lässt sich das durch die Lieferengpässe im allgemeinen Halbleiterbereich veränderte Kundenverhalten ziemlich klar daran ablesen, »dass unsere Kunden noch vor einem Jahr ihre Orders mit einem Vorlauf von 4 bis 10 Wochen bei uns platziert haben, heute dagegen geschieht das mit einem Vorlauf von sechs Monaten«.
Aus Sicht der MEMS-Branche war die Marktsituation in den ersten zwei Quartalen des Corona-Jahres 2020 vor allem von zwei gegenläufigen Entwicklungen gekennzeichnet. »Speziell im 2. Quartal kam der Autoverkauf fast zum Stillstand, gleichzeitig wurde die Halbleiterindustrie von lokalen Lockdowns getroffen«, so Fontanella. »Gleichzeitig kam es in anderen Bereichen zu Lieferengpässen, hauptsächlich in den Bereichen Computer, Peripherie und Komponenten mit Kommunikationsbezug.« Die veränderten Gewohnheiten der Menschen sowohl im Berufs- als auch im Freizeitbereich führten zu einer starken Nachfragesteigerung, die Dr. Schmitt-Hahn unter anderem in Form einer verstärkten Nachfrage nach Notebooks und Tablets festmacht.
Zu den Auswirkungen der Pandemie auf die MEMS-Branche gehört für Dr. Roland Helm, Senior Director MEMS bei Infineon Technologies, auch der Umstand, »dass wir eine leichte Verschiebung von High-End- zu Mid-End-Produkten beobachten konnten, eine Veränderung, die eindeutig auf ein geändertes Konsumverhalten wegen Corona zurückzuführen war«. Bei Laptops und Tablets, so Dr. Helm, »hat das eindeutig zu einer höheren Nachfrage geführt, als wir das erwartet haben«. Fontanella drückt die Veränderung durch das Jahr 2020 so aus: »Unser Produktmix wich am Ende des Jahres 2020 deutlich von dem ab, was wir vor Beginn der Pandemie erwartet hatten.«
Welche Auswirkungen dieser Nachfrageboom haben konnte, zeigt wiederum das Beispiel SiTime. »Unser Umsatz betrug 2019 rund 84,1 Millionen Dollar«, so Lutz, »im Jahr 2020 erhöhte sich unser Umsatz dann auf 116,2 Millionen Dollar«. Ein Umsatzwachstum um satte 38,2 Prozent, damit wuchs SiTime deutlich schneller als der Halbleitermarkt oder das Marktsegment der zeitgebenden Bauelemente im Allgemeinen. Das liegt unter anderem daran, dass in einem Fahrzeug heute bis zu 3000 ICs zum Einsatz kommen. Diese elektronischen Systeme im Fahrzeug benötigen bis zu 50 zeitgebende Bauteile. Während der Autoabsatz 2020 um 34 Prozent einbrach, stieg der Umsatz aus Automotive-Applikationen bei SiTime um 55 Prozent.
Nach Einschätzung von Fontanella dürfte die Bedeutung von MEMS-Oszillatoren in Zukunft mit der Einführung von Zukunftstechnologien wie 6G noch weiter zunehmen. Ein anderes Beispiel dafür, welche Bedeutung der Automotive-Markt für MEMS bekommen kann, die eigentlich nicht unter klassische Automotive-MEMS fallen, zeigt das Beispiel MEMS-Mikrofone. Schon in den letzten Jahren wuchs der Umsatz mit MEMS-Mikrofonen jährlich um etwa 10 Prozent. Ihr Anteil am Gesamtumsatz des MEMS-Marktes beträgt inzwischen nach Angaben von Dr. Helm 10 Prozent. Angesichts der Tatsache, dass es inzwischen erste MEMS-Mikrofone von Infineon gibt, die sowohl für den Innen- wie den Außeneinsatz im Fahrzeug geeignet sind, dürfte sich die Bedeutung dieses MEMS-Produkts in Zukunft noch vergrößern.
Gibt es andere MEMS, die zukünftig in der Lage wären, eine ähnliche Erfolgsstory zu liefern wie in den letzten Jahren die MEMS-Mikrofone? Ein Kandidat sind sicher die bereits erwähnten MEMS-Oszillatoren, deren Potenzial nicht nur in der Einschätzung von SiTime-Gründer Lutz »noch bei Weitem nicht ausgeschöpft ist«. Unter dem Eindruck der aktuellen Entwicklungen am Markt hält es Dr. Helm für möglich, »dass Ultraschall möglicherweise mit verschiedenen Anwendungsfällen eine Marktchance für MEMS darstellen könnte«.
Bei Bosch-Sensortec sieht man im Bereich der Konsumelektronik derzeit die interessantesten Entwicklungen im Bereich MEMS-basierter Laserprojektoren für Augmented Reality beziehungsweise Smart Glasses. »Hier werden in den nächsten Jahren völlig neue AR-Anwendungen mit einer normalen Brille ermöglicht«, berichtet Dr. Schmitt-Hahn.
Großes Potenzial wird von den MEMS-Spezialisten auch dem Thema MEMS-Sensoren mit künstlicher Intelligenz eingeräumt. Durch den Einsatz von Algorithmen, die maschinelles Lernen ermöglichen, erschließen sich komplett neue Anwendungsfelder für MEMS. So wäre ein inertialer Bewegungssensor dann in der Lage, nicht nur vorab im Algorithmus hinterlegte Bewegungsmuster wiederzuerkennen, sondern auch neue Bewegungsmuster im Betrieb und durch den Endnutzer zu lernen. Ähnliches gilt auch für den Freizeitbereich; selbstlernende KI-Sensoren für Wearables und Hearables würden dort hochgradig personalisiertes Fitness Tracking ermöglichen. Aber auch bei Gassensoren bietet maschinelles Lernen vielfältige Möglichkeiten. So ließe sich beispielsweise einem Gassensor beibringen, unterschiedliche Sorten Kaffee voneinander zu unterscheiden