Christophe Minster, Vice President Lidar von Valeo, zeigt sich im Gespräch mit Markt & Technik überzeugt, dass Lidar eine ähnliche Entwicklung wie Radar und Kameras vollziehen wird: Der Massenmarkt wird ganz sicher erobert.
Markt&Technik: 2021 hat Valeo mit Scala 2 bereits seine zweite Generation an LiDAR-Systemen auf den Markt gebracht, die dritte Generation, Scala 3, kommt in 2025. Nutzt Valeo für alle drei Generationen dieselbe Basistechnologie für den Sensor?
Christophe Minster: Ja, wir setzen bei allen drei Generation auf das dToF-Verfahren (Direct-Time-of-Flight) mit einem rotierenden Spiegel im Inneren des Sensors, nicht zu verwechseln mit MEMS-Spiegeln, die von konkurrierenden Unternehmen eingesetzt werden.
Unsere Technologie erfüllt die Anforderungen an Robustheit und Zuverlässigkeit, die die Automobilindustrie fordert. Eigene interne Untersuchungen haben das bestätigt: Unser Sensor ist dank der dToF- Technologie robuster als andere Technologien.
Scala 3 ist dennoch deutlich leistungsstärker als die ersten zwei Generationen, alles nur evolutionäre Verbesserungen?
Ja, wir verbessern natürlich mit jeder Generation die Genauigkeit, wir erhöhen die Anzahl der Punkte, wir verbessern die Empfindlichkeit, wir machen ihn viel effizienter und leistungsfähiger. Aber die grundlegenden Technologien, das Prinzip ist das gleiche. Es geht bei den Weiterentwicklungen immer darum, die bestehende Technologie im Laufe der Zeit robuster und leistungsfähiger zu machen, um die Funktionen zu erfüllen, die wir für das automatisierte Fahren anstreben.
Valeo setzt immer noch auf eine Wellenlänge von 905 nm. Warum wechselt das Unternehmen nicht zu 1550 nm, mit denen eine höhere Leistung möglich wäre?
Diese Frage wurde auch innerhalb von Valeo lange diskutiert. Aber es ist tatsächlich so, dass 905 nm tatsächlich die Wellenlänge ist, auf die die meisten im Markt setzen. Viele unsere Mitbewerber setzen mittlerweile auf 905 nm, um ein kostengünstiges Optimum zwischen Leistung und Kosten zu erreichen.
Das heißt nicht, dass 1550 nm nicht gut ist oder besser sein kann, aber in der Automobilindustrie muss sichergestellt sein, dass das System robust ist und einen Preis erreicht, zu dem sich das Produkt auf dem Markt verkaufen lässt.
Deshalb haben wir uns entschieden, 905 nm beizubehalten, weil wir immer noch glauben, dass dies der effizienteste Weg ist, um das zu erreichen, was wir erreichen wollen.
Valeo bietet auch die Perception-Software an...
Ja, seit eh und je bieten wir sowohl die Hardware als auch die Software, das gilt für Scala 1, Scala 2 und jetzt auch für Scala 3. Valeo ist kein Sensorlieferant, Valeo ist ein Systemlieferant. Wir möchten unseren Kunden, den Automobilherstellern, die Möglichkeit bieten, unsere Perception-Software zum Beispiel für Lidar zu nutzen. Wenn sie glauben, dass sie eine bessere Software haben oder von einem anderen Zulieferer die Software zu nutzen, dann steht ihnen das natürlich offen.
Aber mit der Kombination aus Software und Hardware können wir unseren Kunden zeigen, dass wir über die gesamte Bandbreite an Fähigkeiten verfügen. Außerdem hat es den Vorteil, wenn man beides inhouse entwickelt, dass bei der Hardware-Entwicklung bereits Software-Anforderungen berücksichtigt werden können. Benötigt die Software Unterstützung seitens der Hardware, wird das berücksichtigt; ist die Software leistungsfähig und braucht keine Hardware-Unterstützung fließt dies ebenfalls in die Entwicklung ein.
Es war mir gar nicht klar, dass Valeo schon immer die Perception-Software zu seinen Lidar-Sensoren angeboten hat…
Wir haben in der Vergangenheit nicht so viel darüber gesprochen, weil es weniger wichtig war. Aber mit KI und automatisiertem Fahren der Stufen zwei, drei und vier wird die Software immer wichtiger.
Wäre es auch möglich, dass ein OEM die Software von Valeo kauft, aber nicht den Lidar-Sensor?
Das könnten wir machen, die Möglichkeiten dazu haben wir. Aber bislang ist das nicht das, was wir heute auf dem Markt für Lidar allein sehen. Wenn wir das Gesamtsystem aus Radar, Kamera, Lidar etc. betrachten, dann ist es definitiv unser Ziel, auch nur die Software zu liefern, und hierfür verfügen wir auch über die notwendigen Fähigkeiten.
Wie steht Valeo zur FMCW-Technologie (FMWC: Frequency Modulated Continuous Wave)?
Wie bereits gesagt, wir schauen uns ständig 1550 nm an und wir schauen uns selbstverständlich auch die FMCW-Technologie an. Valeo verfügt über eine lange Historie in der Radartechnologie, und FMCW wird seit vielen Jahren in Radarsystemen verwendet. Das heißt, Valeo verfügt intern über einiges an Wissen über diese Art von Technologie, so dass wir die Vor- und Nachteile besser verstehen können. Ganz klar: Einer der großen Vorteile von FMCW ist die direkte Geschwindigkeitsmessung.
Wir beschäftigen uns mit FMCW, und wir haben auch öffentlich bekanntgegeben, dass wir für die FMCW-Technologie für die nächste Produktgeneration nach der Scala-Familie in Betracht ziehen.
Und was spricht zum jetzigen Zeitpunkt noch dagegen?
Mehrere Faktoren, zum einen ist FMCW mit Blick auf die Kosten noch nicht ausgereift, viele neue Parameter sind noch nicht automotive-»ready« oder auch noch nicht in großen Stückzahlen für Fahrzeuge genutzt worden.
Aber FMCW sollte Lidar deutlich günstiger machen, oder nicht?
Wenn das Volumen da ist, ja. Wenn das Volumen weiterhin bei den derzeitigen wenigen Millionen Einheiten pro Jahr liegt, glaube ich das nicht. FMCW hat wirklich ein großes Potenzial, die Kosten zu senken, wenn große Stückzahlen kommen. Aber die Vorabinvestitionen für FMCW sind deutlich höher als die, die wir heute für dToF mit 905 nm tätigen.
Schaut man zurück, waren die Kosten auch lange ein Punkt, der gegen den Einsatz von Kameras in Fahrzeugen sprach, aber die Kostenkurve ist sehr schnell gesunken, und heute sind oft gleich mehrere Kameras in einem Fahrzeug zu finden. Ist das bei Lidar nicht der Fall?
Doch, genau das wird auch bei Lidar passieren.
Aber bei Lidar scheint es länger zu dauern, die Technologie ist ja nicht ganz neu…
Stimmt, Lidar ist keine neue Technologie. Wenn ich mich richtig erinnere, war der SOP (Start of Production) vor fünf oder sechs Jahren. Lassen Sie mich ein anderes Beispiel als Kameras wählen: Radar. Es hat etwa 15 Jahre gedauert, bis Radar wirklich Einzug in den Massenmarkt hielt, und damit das Volumen erreichte, dass der Preis stark sank. Ich bin fest überzeugt, dass Lidar denselben Weg einschlagen wird.
Ich war auf der CES 2023. Damals waren wirklich viele LiDAR-Unternehmen auf der Messe vertreten. Der Hype ist vorbei, was war das größte Problem für Lidar-Anbieter, die Kosten, die Zuverlässigkeit, oder dass es auch OEMs gibt, die davon überzeugt sind, dass sie Lidar nicht brauchen?
Ich denke, dass auf einen Hype eine Ernüchterung folgt, gilt nicht nur für die Automobilindustrie, das ist in diversen Branchen weltweit zu sehen. Es gibt immer einige Konsolidierungen, und das ist ganz normal, insbesondere bei neuen Technologien. So auch bei Lidar, hier wurde noch nicht genau die Technologie gefunden, die genau die Automotive-Anforderungen erfüllt. Die gesamte Branche befindet sich noch in einer Konvergenzphase, die gesamte Branche spricht von FMCW, von 905 nm, von 1550 nm. Das heißt, dass die endgültige Lösung, die uns das beste Preis-Leistungs-Verhältnis bietet, noch nicht da ist.
Glauben Sie, dass es am Ende nur noch einen technologischen Ansatz für Lidar geben wird, der alle Anforderungen erfüllt?
Zumindest werden wir eine Konvergenz haben. Und wenn es nicht eine Technologie ist, dann vielleicht zwei, aber die wird es geben. Heute werden noch mehrere Technologien verfolgt. Start-ups verfolgen andere Technologien als wir. Aus meiner Sicht besteht heute die größte Konvergenz bei 905 nm. Wenn man sich die Lidar-Konkurrenten in der Automobilindustrie ansieht, arbeiten heute mehr als die Hälfte, wenn nicht sogar zwei Drittel der Firmen an 905 nm. Einige der Start-Ups arbeiten an anderen Technologien, und es gibt sie noch, das könnte heißen, dass das die Technologie der Zukunft ist. Aber es braucht Zeit, und eine Konsolidierung ist unvermeidlich – insbesondere, wenn wir über die Automobilindustrie und viele Start-ups sprechen. Die Anforderungen der Automobilindustrie an Zuverlässigkeit, funktionale Sicherheit, Qualität, großvolumige Fertigung etc. sind riesig. Das können kleine Unternehmen ohne Erfahrung nicht leicht realisieren, auch wenn sie großartige technische Ideen haben. Der Übergang von einem Muster, einem ersten Konzept zu einem Serienprodukt ist wirklich eine schwierige Sache.
Die Analysten sind aber überzeugt, dass Lidar eine gute Zukunft hat. Was halten Sie davon?
Ich bin ebenfalls davon überzeugt, dass Lidar vielversprechenden Zeiten entgegensieht. Nicht umsonst arbeitet Valeo seit Jahren hart daran, Lidar massentauglich zu machen. Und genau aus den bereits genannten Gründen ist Valeo auch in der besten Position, dies zu erreichen. Schauen Sie sich an, was in China passiert, dort wird Lidar immer häufiger eingesetzt. Und das wird auch in Europa und dem Rest der Welt kommen. Dafür gibt es gute Gründe, schauen Sie sich an, was mit Lidar erreicht wird: automatisiertes Fahren Level 2 und Level 2+ wird besser und sicherer. Dazu kommt noch, dass zusätzlich zu Radar, Kamera und Ultraschall eine vierte Technologie benötigt wird, um das autonome Fahren Realität werden zu lassen.
Lidar ist aber für Level 2 Plus oder wie dieses Level auch immer genannt wird, keine Notwendigkeit?
Nein, Lidar ist dafür nicht notwendig. Aber Lidar kann den Einsatzbereich erweitern, sprich die Verfügbarkeit von Systemen vergrößern. Ein Beispiel: Technologien wie Radar und Kameras weisen nachts gewisse Einschränkungen auf. Wird Lidar hinzugefügt, kann die Verfügbarkeit der Funktion auch bei Nacht ermöglicht werden. Darüber hinaus hat Lidar ein sehr großes Sichtfeld, was beispielsweise für Funktionen in der Stadt wichtig ist, beispielsweise kann der Komfort des Fahrers in Kreisverkehren erhöht werden. Das sind nur Beispiele. Wenn wir von Autonomiegraden wie Level 3 und Level 4 sprechen, ist Lidar aus Sicherheitsgründen obligatorisch.
Ein Teil des prognostizierten Lidar-Wachstums beruht auf Anwendungen im Bereich Smart Cities. Valeo ist hier nicht aktiv, aber Ihre Technologie könnte auch in diese Anwendungen wandern?
Ganz klar: Wir entwickeln unsere Sensoren für die Automobilindustrie. Aber klar kann Scala auch in anderen Bereichen eingesetzt werden, sei es in landwirtschaftlichen Anwendungen oder in Überwachungsanwendungen. In manchen Fällen kaufen Drittunternehmen unsere Scala-Sensoren und realisieren damit ihre Anwendungen, manchmal arbeiten wir auch direkt mit Unternehmen aus anderen Bereichen zusammen. Unser Hauptaugenmerk liegt auf der Automobilbranche, die Sensoren werden für diesen Anwendungsbereich optimiert.
Wie sehen denn die nächsten Schritte von Valeo im Lidar-Bereich aus?
Für Scala 3 konnten wir diverse Aufträge mit großen OEMs sichern, die müssen geliefert werden. Darüber hinaus werden wir mehrere Varianten von Scala 3 und mehrere Iterationen von Scala 3 entwickeln, um die Leistung oder den Preis zu verbessern.
Was heißt das?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Manchmal befindet sich die Intelligenz im Sensor, manchmal in einem separaten Computer, einer separaten ECU außerhalb des Sensors. Wir könnten also Scale 3 ohne Intelligenz anbieten und die Intelligenz in diese Steuergeräte integrieren.
Wir sind davon überzeugt, dass wir mit Scala 3 Leistungsparameter erreicht haben, die nahezu ausreichend sind. Dementsprechend geht es in naher Zukunft erst einmal darum, diese Leistung beizubehalten und sie entweder an die Anwendungsfälle der Kunden anzupassen oder die Kosten zu senken.
Langfristig betrachtet ist 1550, FMCW, oder 905 mit einem erneuten Upgrade möglich. Wie gesagt: Wir beschäftigen uns aktiv mit den Themen und arbeiten mit unseren Lieferanten und unseren Kunden zusammen, um auch in Zukunft den besten Kompromiss zu finden.